Erzbischof Marx und der Papst:

Kardinal mit Knebelvertrag

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Kardinal Reinhard Marx

Am 4. Juni verkündete Kardinal Reinhard Marx, dass er Papst Franziskus seinen Rücktritt als Erzbischof von München und Freising angeboten habe. Mit diesem Schritt wolle er persönlich Verantwortung für den Missbrauchsskandal übernehmen, so Marx. Vergangenen Donnerstag folgte prompt die Antwort des Pontifex: Rücktritt abgelehnt. Über die Beweggründe sowohl des Kardinals als auch seines Dienstherrn wird seitdem fleißig spekuliert.

"Die Antwort des Heiligen Vaters hat mich überrascht", erklärte Kardinal Marx. Das dürfte auch anderen so gegangen sein, denn Marx hat in seinem Rücktrittsgesuch eine durchaus selbstkritische Analyse der Missstände in der katholischen Kirche Deutschlands geliefert. Er hat auf das eklatante "institutionelle oder systemische Versagen" hingewiesen und pointiert identifiziert, "dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen".

Bei all den ernüchternden, ja teilweise wirklich frustrierenden Mauscheleien im Erzbistum Köln, über die in den letzten Wochen und Monaten berichtet worden war, wirkte Marx Rücktrittsgesuch überraschend authentisch und aufrichtig. Das erklärt auch die durchweg positiven Reaktionen darauf. Deshalb scheint es auf den ersten Blick verwunderlich, dass Franziskus den Wunsch des Kardinals nun abgeschmettert hat.

Dem Theologen Martin Kirschner fehlt im Brief des Papstes eine klare Positionierung. Marx Zeichen sei eindeutig gewesen, das des Papstes nicht. "Ich bin unsicher, ob sich der Papst selbst wirklich genug mit der Reichweite der Krise und der Perspektive der Betroffenen auseinandergesetzt hat, gerade, wenn es um Deutschland geht", erklärt Kirschner.

So sieht es auch die Opferinitiative Eckiger Tisch: "Marx zielte mit seiner Erklärung auf die Verantwortung aller Bischöfe, auch die des Bischofs von Rom, für das System aus Missbrauch und Vertuschung, das die Katholische Kirche weltweit prägt. Der Papst moderiert diese erschütternde Einsicht jetzt einfach weg und entlastet damit auch sein eigenes Amt."

Franziskus verweist in seinem Brief auf die vielen "historischen Fehler in der Vergangenheit", obwohl man an dieser "historischen Situation nicht teilgenommen" habe. Der Papst schreibt, jeder Bischof müsse sich fragen, "was muss ich angesichts dieser Katastrophe tun?" und "jede Reform beginnt bei sich selbst". Doch dieser an sich richtige Hinweis auf die Verantwortung Einzelner für die Taten, die in ihrem Bistum begangen oder gedeckt worden sind, greift zu kurz. Damit verkennt der Papst seine eigene Verantwortung ebenso wie die des Systems "Kirche" an sich, das dem Missbrauch Vorschub geleistet hat.

"Der Papst spricht von Fehlern der Vergangenheit und früherer Zeiten, aber es geht ja auch um eigene Fehler, die auch die jüngere Vergangenheit und die Aufarbeitung in der Gegenwart betreffen." Wenn eine Reform schon bei sich selbst ende, "ist es keine wirkliche Reform, zumal wenn man ein öffentliches Amt bekleidet", resümiert der Theologe Kirschner.

Doch Marx Rücktrittsgesuch hat noch eine weitere Dimension. Zwischen 2002 und 2008 war der jetzige Erzbischof Würdenträger im Bistum Trier. 2006 ging eine Anzeige wegen Missbrauchs gegen einen örtlichen Pfarrer ein, doch Marx soll die nötige kircheninterne Untersuchung nicht veranlasst haben, wie eine Recherche der Zeit feststellte. Weiterhin habe Marx den Missbrauchsfall nicht nach Rom gemeldet und nicht verhindert, dass der Pfarrer weiteren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen habe. Legt man die heutigen Maßstäbe an, wären das grobe Pflichtverletzungen.

Sein damaliges Verhalten bedauere er sehr, sagte Marx der Zeit und spricht von einem "Lernprozess". Vor kurzem soll Marx den Brief eines Betroffenen aus Trier erhalten haben. Der Trierer Verein MissBit – Missbrauchsopfer im Bistum – erhebt schwere Vorwürfe gegen Marx. Der Bischof soll Gespräche verweigert, Vorwürfe gegen Priester verharmlost und Täter bisweilen aktiv gedeckt haben, zitiert der Südwestrundfunk den Betroffenenverband.

Über Marx schwebt allerdings noch ein weiteres Damoklesschwert. Im Laufe des Jahres soll ein Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl erscheinen, das Marx in Auftrag gegeben hat. Es beschäftigt sich mit dem Umgang kirchlicher Amtsträger mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising, wo Marx seit 2008 als Erzbischof tätig ist. Und da Papst Franziskus seinen Rücktritt abgelehnt hat, wird er sich mit den Ergebnissen dieses Gutachtens dienstlich auseinanderzusetzen haben. Spätestens dann wird der Erzbischof die Frage beantworten müssen, ob er sich mit seinem Rücktrittsgesuch aus der Verantwortung stehlen wollte.

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