Am 19. November 2019 hat das Verwaltungsgericht Köln eine wichtige Entscheidung im Kampf um das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende getroffen: Es erklärte das generelle Verbot des Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung für mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Deshalb setzte es sechs Klageverfahren aus und legte die einschlägigen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor (Az: 7 K 8461/18). Die Karlsruher Richter werden nunmehr also nicht nur eine – alsbald mit Spannung erwartete – Entscheidung über das Verbot ärztlicher Sterbehilfe (§ 217 StGB) treffen, sondern auch über die Pflicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befinden, den Erwerb des Betäubungsmittels Natriumpentobarbital (NaPB) in Fällen extremer Sterbensnot zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben.
Die aktuelle Entscheidung
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts, zu denen bisher nur eine Pressemitteilung des Gerichts vorliegt, ergingen im Rahmen der Verhandlung der Klage des ehemaligen Feuerwehrmannes Harald Mayer (49) gegen das BfArM. Mayer leidet seit zwei Jahrzehnten unter Multipler Sklerose und ist mittlerweile von der Schulter abwärts gelähmt. Er kann sich nur noch mittels eines Spezialrollstuhls fortbewegen und sich nur noch mittels eines mimikgesteuerten Computers verständigen. Acht Pfleger betreuen ihn rund um die Uhr. Um in Würde sterben zu können und nicht aufgrund einer im Endstadium auftretenden Lähmung der Atemwege qualvoll ersticken zu müssen, stellte er einen Antrag beim BfArM auf Herausgabe von NaPB zum Zwecke der Selbsttötung. "Ich bin der Regisseur in meinem eigenen Film und will den letzten Akt selbst bestimmen", erklärte er der Zeitung Express beim Prozess.
Sein Antrag wurde jedoch, ebenso wie alle weiteren 132 Anträge, vom Arzneimittelinstitut abgelehnt. Diese Entscheidung traf das BfArM aufgrund einer Weisung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) unter der Leitung von Jens Spahn (CDU).
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus 2017
Hintergrund dieser BMG-Weisung ist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 2. März 2017. Das Gericht hatte damals geurteilt, dass das staatliche Arzneimittelinstitut verpflichtet ist, einem Antragsteller die Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels NaPB zu erteilen, wenn dieser sich "wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet."
Die Entscheidung löste eine hitzige Debatte aus. Die Befürworter des Urteils feierten es als Stärkung des "letzten Menschenrechts". Die Kritiker argumentierten, dass das BVerwG eine staatliche Pflicht zur Unterstützung der Selbsttötung eines Menschen statuiert habe, was gegen die Grundprinzipien unserer Verfassung verstoße, allen voran der Menschenwürde und der Pflicht des Staates zum Lebensschutz. Dieser Einschätzung schloss sich das Gesundheitsministerium an. Dass sie unzutreffend ist, haben viele Rechtsexperten, darunter das ifw und der Bevollmächtige im Verfahren des ehemaligen Feuerwehrmannes Harald Mayer und Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Professor Robert Roßbruch, stets betont: … [E]s geht bei der hier in Rede stehenden Problematik nicht um die Unterstützung eines Suizidwilligen durch den Staat, sondern darum, dass der Staat nicht verhindern darf, dass in extremen Ausnahmefällen, also bei einer schweren und unheilbaren Krankheit ein zum Freitod bereiter Mensch ganz legal ein letal wirkendes Mittel erwerben können soll, um einen humanen Suizid begehen zu können." (siehe auch hier)
Die Weisung des Bundesgesundheitsministers
Die Weisung aus dem Gesundheitsministerium aus dem Juni 2018, die Maßgaben des rechtskräftigen höchsten deutschen Verwaltungsgerichts nicht zu befolgen, ist vom ifw auch als Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsatz der Rechtsbindung der Exekutive kritisiert worden. Dignitas Deutschland erstattete eine Strafanzeige gegen Minister Jens Spahn wegen Rechtsbeugung, die von der Berliner Staatsanwaltschaft aktuell noch bearbeitet wird. Seine Blockadehaltungen behielten das Gesundheitsministerium und das Arzneimittelinstitut indes bei.
Der Vorstoß der FDP zur Reformierung des BtMG
Auch der begrüßenswerte Vorstoß der FDP-Fraktion zur Schaffung von Rechtssicherheit durch eine Änderung des BtMG zugunsten des Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung (Drs. 19/4834) vom 9. Oktober 2018 wurde vom Bundestag nicht aufgegriffen und führte nicht zu einer Änderung der Situation. Dabei hatte sich u.a. der ifw-Beirat Reinhard Merkel im Rahmen der Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss im Februar 2019 explizit dafür ausgesprochen, der "rechtlich wie ethisch rundum überzeugende[n] Entscheidung" des BVerwG "in Gesetzesform ausdrücklich und zweifelsfrei Geltung [zu] verschaffen". Hinsichtlich des oft vorgebrachten Hinweises auf die Möglichkeiten einer palliativmedizinischen Behandlung betonte Merkel, dass Leid nicht dasselbe wie Schmerz sei und über dessen Präsenz und Wirkung weit hinausreichen könne.
Bewertung
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts rundherum zu begrüßen. Unabhängig davon, ob man die rechtliche Einschätzung der 7. Kammer teilt und – entgegen dem BVerwG – von einem Willen des Gesetzgebers, den Erwerb für Selbsttötungszwecke im BtMG generell auszuschließen, ausgeht oder nicht: Für die Bejahung der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des BtMG, wie sie das BVerwG 2017 vorgenommen hat, streiten gute Gründe (siehe hierzu die Beiträge von Neumann und Merkel in: Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht, 2019, S. 175 ff. und 197 ff.).
Die Entscheidung der 7. Kammer ist jedoch strategisch sinnvoll. Denn die Blockadehaltung des Arzneimittelinstitutes führte zu einer für die Betroffenen unerträglichen Patt-Situation, mit der aus Sicht des BMG und BfArM effektiven, jedoch zynischen Folge, dass viele der antragsstellenden, sterbenskranken Menschen bereits während der laufenden Antrags- und Klageverfahren verstarben. Eine Prozessführung durch alle Instanzen dauert in der Regel mehrere Jahre. Zeit, die die Betroffenen in ihrer Sterbensnot nicht haben. Das Verwaltungsgericht hat mit seinem Normenkontrollantrag zu ihren Gunsten nunmehr eine Abkürzung genommen. Damit haben Professor Roßbruch und die DGHS juristisch einen wichtigen Durchbruch erreicht. Es wäre schön gewesen, wenn der Berliner Arzt Uwe Christian Arnold den Ausgang dieses Verfahrens sowie die Entscheidung zu § 217 StGB noch hätte miterleben können. Fest steht jedenfalls, dass sein Wunsch, fortzusetzen, was er begonnen hat, erfüllt wird.
Alle Blicke sind nun nach Karlsruhe gerichtet.
Siehe dazu auch:
- DGHS-Vizepräsident Roßbruch: "Unerträgliche Hinhaltetaktik" – Erste Antragsteller bereits verstorben
- Kommentar zum Suizidbeihilfe-Gutachten von Udo Di Fabio – Auch das Gesundheitsministerium sollte sich an geltendes Recht halten
- Sterbenskranke sollen weiter leiden – Minister ruft zum Rechtsbruch auf
- Spahn verbaut Schwerstleidenden letzte Chance auf legales Suizidmittel
- Interview: Der Staat darf Menschen nicht in den "harten Suizid" treiben
- Wie das BfArM ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ignoriert – "Gott" ist wichtiger als das Leben
- DIGNITAS wirft dem Gesundheitsminister Meineid und Rechtsbeugung vor – Strafanzeige gegen Jens Spahn
- Gesundheitsminister Spahn weist offenen Rechtsbruch an – "Inakzeptabel" und "grob rechtswidrig"
Erstveröffentlichung auf der Webseite des Instituts für Weltanschauungsrecht
7 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
" Gott ist wichtiger als das Leben " das ist mit Abstand der unsinnigste Satz den ich je gehört habe. Ein erfundenes Geistwesen ist wichtiger als das Leben als solches ?
Wem fällt denn so ein hanebüchener Blödsinn ein ?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Habe nochmal über diesen Satz nachgedacht, vielleicht sollte er ja als Rechtfertigung für die Hinrichtung von Atheisten in den Ländern welche im vorherigem Artikel genannt sind dienen.
Dr. Klaus Roggendorf am Permanenter Link
Freiheit ohne Verantwortung ist Willkür.
G. Hantke am Permanenter Link
Da quälen sich also 132 namentlich bekannte sowie ungezählte weitere Menschen Tag für Tag, Stunde für Stunde und Minute für Minute mit einer Situation herum, die dermaßen belastend ist, dass einzig der Tod als Erlösun
Jeder Mensch, der – nicht nur aus einer aktuellen Situation heraus, sondern andauernd den dringenden Wunsch zu sterben hat, leidet unsäglich, egal wie begründet oder dramatisch dieser Wunsch für den Außenstehenden erscheinen mag. Wer sich anmaßt, solchen Leidenden die ersehnte Erlösung zu verweigern, handelt in einer Weise, die nach meinem Empfinden tausendmal schlimmer ist als Mord.
Gita Neumann am Permanenter Link
"Rundherum zu begrüßen"?? Diese Bewertung des ifW kann ich nicht nachvollziehen:
Köln hält ein generelles Verbot zum Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung für nicht verfassungsgemäß. Also genau wie im März 2017 schon – völlig zu recht – das Leipziger Bundesverwaltungsgericht. Das ist also unstrittig. Dass das jetzt nochmals verfassungsrechtlich zu prüfen ist – mit unsicherem Ausgang – soll also so positiv bewertet werden?
Ewas anderes ist wohl, die Zulässigkeit der „Versagensnorm“ im Betäubungsmittelgesetz (§ 5) bei tödlich wirkenden Suizidmitteln prüfen zu lassen. Danach ist die Einwilligung zur Abgabe zu versagen, u.a. wenn der Zweck des Betäubungsmittelgesetzes nicht erfüllt wird, nämlich „die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen“. Darauf hat Prof. di Fabio abgehoben in seinem – insgesamt fragwürdigen – Gutachten: Dieses hatte das BfArM von ihm bestellt, um seine völlige Untätigkeit bei der NaP-Vergabe nach dem Leipziger Urteil vom März 2017 irgendwie rechtfertigen zu können.
Di Fabios ideologisch gefärbter Denkfehler besteht – wie bei vielen Kritikern des Leipziger Urteils – darin, der Staat müsse sich danach in irgendeinem Sinne an der Hilfe zum Suizid beteiligen (oder an seiner ja durch § 217 StGB – noch – verbotenen Förderung). Das ist natürlich Unsinn. Aber dessen ungeachtet sollte einer Prüfung des Betäubungsmittelgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht doch auch mit Sorge statt mit einhelliger Begeisterung entgegengesehen werden.
Gita Neumann
Robert Roßbruch am Permanenter Link
Liebe Frau Gita Neumann,
vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen. Zunächst möchte ich Ihnen den Wortlaut des Beschlusses des VG Köln vom 19.11.2019 mitteilen, damit wir wissen, worüber wir diskutieren. Der Beschluss lautet:
„Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, die den Erwerb von Betäubungsmittel der Anlage III zum Zweck der Selbsttötung ohne Ausnahme ausschließt, mit dem aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf Selbstbestimmung über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Todes als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vereinbar ist.“
Es geht mithin um die Prüfung, ob ein ausnahmsloses (generelles) Verbot des Erwerbs eines letal wirkenden Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Aussagen von Frau Dr. Neumann vom Institut für Weltanschauungsrecht geben somit inhaltlich zutreffend den Beschluss des VG Köln wider. Ich teile auch die Ausführungen und Einschätzungen von Frau Dr. Neumann voll und ganz.
Natürlich wird abzuwarten sein, ob die Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG Aussicht auf Erfolg haben wird oder nicht. Wenn ich jedoch die - übrigens berechtigte - Hoffnung auf einen Erfolg nicht hätte, würde ich wohl kaum meine Zeit und Energie in die von mir begleiteten Verfahren investieren. Berechtigt deswegen, weil sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber vor allem das Bundesverfassungsgericht mit generellen bzw. absoluten Verbotsnormen mehr als schwer tut. Es spielt daher nur eine begrenzte Rolle, dass das Betäubungsmittelgesetz grundsätzlich eine andere Zwecksetzung hat. Für meine berechtigte Hoffnung spricht auch der Umstand, dass die 7. Kammer des VG Köln, die bis dato das BtMG sehr restriktiv ausgelegt hat, nunmehr davon überzeugt ist, „dass ein generelles Verbot des Erwerbs auch für schwerkranke Menschen in einer existenziellen Notlage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist“. Ebenfalls dafür spricht – unterstellt, dass das BVerfG § 217 StGB in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgibt bei einer wie auch immer gearteten gesetzlichen Neuregelung die Möglichkeit eines professionell assistierten Suizids in bestimmten Fällen zuzulassen –, dass der Gesetzgeber, in den hier vorliegenden Fällen, an einer entsprechenden Änderung des BtMG nicht vorbeikommen wird. Denn die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG zu § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG wird sich auch an den noch ausstehenden Entscheidungen zu § 217 StGB zu orientieren haben. Viele renommierte Juristen, die die Verfahren vor dem VG Köln verfolgt haben, haben mir gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass wir mit dem in Rede stehenden Vorlagebeschluss weit mehr erreicht haben, als „nur“ ein obsiegendes erstinstanzliches Urteil. Ob man dies als Erfolg, Teilerfolg oder Misserfolg bewertet, lasse ich dahingestellt. Begrüßenswert ist diese Entscheidung jedoch allemal, da sie schlichtweg weitere Chancen eröffnet.
Abschließend sei noch erwähnt, dass durch den Beschluss des VG Köln auch der Klageweg für die schwerkranken Kläger nicht unerheblich verkürzt worden ist, denn die Kläger hätten über den üblichen Instanzenweg (Berufung, Revision) ein bis zwei Jahre mehr zuwarten müssen. Zeit, die die Kläger nicht mehr haben.
Robert Roßbruch
Alfons pfender am Permanenter Link
Materielrechtlich Stimme ich ihnen zu.praktisch scheint nur zu helfen dasz die lästige CDU langfristig Stimmen verliert!!