Kein Kopftuch auf der Richterbank

Versetzen Sie sich in diese unangenehme Situation: Sie sitzen auf der Anklagebank vor einem Strafgericht. Der Richter thront dort in seiner schwarzen Robe. Dann gibt es da auch noch zwei Schöffen, also ehrenamtliche Richter. Wie üblich in Zivilkleidung. Allerdings: Eine Schöffin trägt ein Kopftuch. Darf sie das? Zu dieser Frage gibt es eine aktuelle Gerichtsentscheidung.

Schöffinnen und Schöffen sind ehrenamtliche Richter, die in Strafprozessen neben den hauptamtlichen Richtern mitwirken. Sie sitzen hinter der Richterbank, dürfen den Angeklagten oder Zeugen Fragen stellen. Und sie entscheiden über die Strafe mit. Die dahinter stehende Idee: Es wird den juristischen Profis lebensnaher Rat und Alltags-Perspektive an die Seite gestellt. So weit, so gut. Schließlich steht über jedem Urteil der Satz "Im Namen des Volkes". Wie ist es aber, wenn eine Schöffin ein Kopftuch tragen will? Wie in dem Fall einer Frau, die bereits für das Amtsgericht Dortmund als Schöffin gewählt worden war. Und dann ankündigte, sie wolle während der Gerichtsverhandlung ein Kopftuch tragen. Aus Bekenntnisgründen könne sie darauf auch in der gerichtlichen Verhandlung nicht verzichten. Sie verstehe das Tragen des Kopftuchs als religiöse Pflicht. Im Übrigen werde durch eine Kopftuch tragende Schöffin die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gerichtsurteilen erhöht.

Auf diese Ankündigung hin beantragte der Vorsitzende des für die Wahl der Schöffen zuständigen Jugendschöffenausschusses, die bereits gewählte Schöffin gerichtlich ihres Amtes zu entheben. Für ehrenamtliche Richter könne nichts anderes gelten als für hauptamtliche Richter. Im Hinblick auf juristische Profis in der Justiz ist die Kopftuch-Frage längst ausgeurteilt. So entschied das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2020, dass Rechtsreferandarinnen, die ja während ihrer Ausbildung auch hinter der Richterbank oder Anklägerbank Platz nehmen, bei Wahrnehmung dieser Funktionen kein Kopftuch tragen dürfen. Die Karlsruher Richter argumentierten:

"Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet. Auch Rechtsreferendare, die als Repräsentanten staatlicher Gewalt auftreten und als solche wahrgenommen werden, haben das staatliche Neutralitätsgebot zu beachten. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge durch Rechtsreferendare kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Auftrag der Rechtspflege und der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen. Ein islamisches Kopftuch ist ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf.

Darüber hinaus ist die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten zu berücksichtigen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Es erscheint nachvollziehbar, wenn sich Prozessbeteiligte in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen, wenn sie dem für sie unausweichlichen Zwang ausgesetzt werden, einen Rechtsstreit unter der Beteiligung von Repräsentanten des Staates zu führen, die ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennbar nach außen tragen."

Nun sind Referendarinnen und Referendare Beamte auf Widerruf, repräsentieren damit professionell die Staatsgewalt. Bei Schöffinnen und Schöffen ist dies anders. Sie werden nur für eine gewisse Zeit gewählt, um Richterinnen und Richtern bei ihrer Entscheidung zur Seite zu stehen. Doch schon in der Ankündigung der Schöffin, auch im Gerichtssaal ein Kopftuch zu tragen, sah der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses eine Amtspflichtverletzung. Und stützte seinen Antrag auf ihre Amtsenthebung auf § 2 des nordrhein-westfälischen Justizneutralitätsgesetzes. Dort heißt es: "Beschäftigte sowie ehrenamtliche Richterinnen und Richter dürfen in der gerichtlichen Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen."

Das Oberlandesgericht Hamm hielt der Schöffin zugute, dass eine für eine Amtsenthebung erforderliche "gröbliche Amtspflichtverletzung" hier nicht gegeben sei. Sie praktiziere vielmehr lediglich ihre durch Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Religionsausübungsfreiheit. Wohl aber gebe es eine Kollision der grundrechtlich geschützten Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben bei Ausübung des Schöffenamtes. Das Gericht könne bei dieser Rechtslage nicht selbst eine Amtsenthebung anordnen. Wohl aber dürfe der Vorsitzende des Schöffenausschusses sie von der Liste streichen, gab das Gericht in seiner Entscheidung deutlich zu verstehen. Was im Ergebnis dann in gleicher Weise bedeutet: Keine Kopftuch tragende Schöffin hinter der Richterbank. Denn der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses, der die Amtsenthebung vor Gericht durchsetzen wollte, hat es selbst in der Hand, sie unter Berufung auf das Neutraltitätsgebot von der Schöffenliste zu streichen.

Zum Thema Kopftuch gibt es übrigens auch eine unser Nachbarland Belgien betreffende neue Gerichtsentscheidung: Drei belgische Musliminnen unterlagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Mit ihrer Klage wehrten sie sich gegen ein Kopftuchverbot an ihrer Schule. Die Richter urteilten: Das Neutralitätskonzept des flämischen Bildungssystems, das das Tragen sichtbarer Glaubenssymbole generell verbietet, verstoße nicht gegen den Schutz der Religionsfreiheit.

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