Der Humangenetiker Stefan Mundlos warnt vor Eingriffen in die menschliche Keimbahn

"Keine Genehmigung für solche Versuche"

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Stefan Mundlos forscht an seltenen Knochenerkrankungen, die durch veränderte Gene ausgelöst werden.
Stefan Mundlos forscht an seltenen Knochenerkrankungen, die durch veränderte Gene ausgelöst werden.

BERLIN. (mpg) Das neue Verfahren "Genschere CRISPR/Cas" eröffnet in der Medizin zahlreiche Möglichkeiten, die Chancen und Risiken bergen. Für die Gentherapie von schweren Krankheiten wie Aids werden Hoffnungen in die neue Methode gesetzt. Wissenschaftler können ein krankhaft verändertes Gen in Körperzellen einfach ausschneiden, und es durch ein gesundes ersetzen. In China und Großbritannien gehen Wissenschaftler indes einen Schritt weiter: Im Labor treiben sie Versuche mit menschlichen, embryonalen Stammzellen voran.

Ein Tabubruch, der weltweit Empörung und Diskussionen ausgelöst hat. Wie weit darf die Forschung gehen? Stefan Mundlos, Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik an der Charité sowie Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, steht den Eingriffen in die menschliche Keimbahn sehr kritisch gegenüber.

MPG: Mithilfe von CRISPR/Cas kann das Erbgut menschlicher Embryonen verändert werden. Welchen Nutzen erhoffen sich Wissenschaftler von diesen Experimenten?

Stefan Mundlos: Aus meiner Sicht gibt es keine medizinische Indikation für solche Experimente. Rein theoretisch könnte man damit Erbkrankheiten bereits im Stammzellstadium des Embryos korrigieren. Dieses Verfahren zu etablieren wäre allerdings nicht nur ein riesiger Aufwand, sondern auch überflüssig. Denn in der Präimplantationsdiagnostik können Embryonen bereits auf Mutationen getestet werden. Nur die gesunden würden dann in die Gebärmutter eingesetzt.

Zudem hat eine Manipulation an embryonalen Stammzellen weitreichende Folgen: Alle Zellen des Organismus werden diese Veränderung später in sich tragen. Zusätzlich ist sie ein Eingriff in die Keimbahn – die veränderten Gene werden also durch Ei- und Samenzellen an Folgegenerationen weitergegeben.

In Deutschland sind solche Experimente bislang durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Können Sie sich eine "Aufweichung" dieser Gesetze vorstellen, wie bereits in Großbritannien geschehen?

Zunächst einmal: In Großbritannien werden menschliche Embryonen zwar genetisch manipuliert, diese dienen jedoch nicht zur Implantation. Das wäre auch dort verboten.

Die Experimente, die momentan durchgeführt werden, sind reine Grundlagenforschung. Die Forscher wollen herausfinden, welche Gene für die frühe Entwicklung des menschlichen Embryos wichtig sind. Es ist sicher streitbar, ob diese Experimente einen bedeutsamen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bringen.

Und es birgt natürlich auch Gefahren: Was dort an Technik entwickelt wird, ist im Grunde ein Wegbereiter zur medizinischen Anwendung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Versuche in Deutschland kommen werden. Es ist ganz klar, dass es keine medizinische Indikation für eine Manipulation embryonaler Stammzellen gibt, und daher sollte diese Versuche aus meiner Sicht auch nicht genehmigt werden.

Wo sehen Sie dann überhaupt den Nutzen von CRISPR/Cas?

Das Potential für die Grundlagenforschung ist riesig. Indem man Veränderungen im Erbgut "nachbaut", kann man zum Beispiel testen, welchen Einfluss einzelne Gene auf den Organismus haben. Hier sehe ich auch das größte Potential für die Anwendung.

Der wesentliche Fortschritt dieser Technologie ist die große Präzision und Genauigkeit, mit der man das Genom verändern kann. Mit CRISPR/Cas kann man gezielt Mutationen und Veränderungen in eine Zelle oder einen Organismus einbringen, oder sogar neue Teile einfügen.

CRISPR/Cas bietet auch neue Chancen für die Gentherapie beim Menschen. Wie funktioniert das konkret?

Bei der Gentherapie geht es immer um Krankheiten, die durch mutierte, also veränderte Gene ausgelöst werden. Dabei werden dem Patienten erkrankte Zellen entnommen, zum Beispiel aus dem Blut. Im Reagenzglas werden diese genetisch verändert, sodass die krankheitsauslösende Mutation korrigiert wird, und wieder zurück ins Blut des Patienten gegeben. Da alle anderen Zellen – vor allem die Ei- und Samenzellen – nicht betroffen sind, kann die Veränderung auch nicht weiter vererbt werden.

Welche Vorteile bietet CRISPR/Cas für die Gentherapie?

Bislang hat man Virussysteme genutzt, um die Genomveränderung durchzuführen. Dabei infiziert ein künstliches Virus die Zellen und schleust DNA-Fragmente ein. Auf den Fragmenten ist genau das Gen kodiert, das bei dem Patienten verändert und damit nicht funktionsfähig ist. Das gesunde Gen wird dann in das Erbgut des Patienten eingebaut.

Virussysteme haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie bauen das gesunde Gen zufällig ins Genom ein. Das führt häufig zu Problemen. Denn wenn das Gen an der falschen Stelle landet, kann es zur Entartung der Zelle und zur Entstehung von Krebs führen. Daher wird die Gentherapie zurzeit nicht routinemäßig eingesetzt.

Könnte man das gesunde Gen zielgenau einbauen, so wie es die CRISPR/Cas-Technologie ermöglicht, wäre das ein großer Fortschritt. Auch wenn CRISPR/Cas im Grunde noch am Anfang steht, ist zu erwarten, dass diese Behandlung in nicht allzu ferner Zukunft kommen wird.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Mara Thomas für die Max-Planck-Gesellschaft.