Kolumne: Sitte & Anstand

Köstliche Deppen

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Hygienedemonstranten vorm Mikro: Wieso dürfen immer mehr verwirrte Leute in den Medien ihre Erkenntnisse verbreiten?

"Ganz schlicht gefragt: Haben manche Journalist*innen nix zu schreiben oder ist das einfach so ein krass unwiderstehlicher Sog seit Pegida, das Mikro vor die Nase zu halten, von denen man einfach nichts lernen kann? #Hygienedemos" Jagoda Marinić, als Autorin und Kolumnistin für gar nicht so dumme Einlassungen bekannt und geschätzt, ist wohl mal für einen Moment an den Rand ihrer Belastbarkeit geraten, hat also wie oben referiert kürzlich getwittert und dabei eine Frage gestellt, die auf der Hand liegt: Warum kommen in den Medien immer öfter Deppen zu Wort?

Die Antwort ist so einfach wie beunruhigend: Deppen nehmen den Journalisten die Arbeit ab. Der Job von Journalisten ist es, das Auffällige, das Neue, vielleicht gar Besorgniserregende aufzustöbern. Damit die Menschen sich auf ihrer Welt und in ihrer Zeit verorten können. Nur wird Neues und Besorgniserregendes eher selten geboten, zumal in einem reichen Land wie unserem, auf Planet Erbe: Eher ist das Journalistenleben eine Abfolge von Pressekonferenzen, und in jeder Pressekonferenz werden meist mäßig spannende Dinge in langweiliger Form gesagt, die die Journalistin in die Lesbarkeit retten muss. Großer Beliebtheit erfreuten sich daher Politiker vom Schlag eines Wehner oder Strauß, die öfter und gern mal einen rausgehauen haben, und die heute in dieser Form in den deutschen demokratischen Parteien kaum noch auffindbar sind. Ein wenig neidisch lugt man daher über den großen Teich, wo sie in den USA einen Präsidenten haben, der den Journalisten gibt, wonach sie lechzen, fette Kracher und dreiste Dummheit, auf die sie dann mit routinierter Empörung antworten können.

Für den Journalisten und die Journalistin, die sich mit ihrem Job nicht gar zu viel Mühe machen mag oder kann, ist eine Figur wie Trump ein Glück. Denn einerseits liefert er verlässlich. Andererseits muss man sich niemals die Frage stellen: Wie relevant ist denn eigentlich der Typ, muss man den bringen? Klar muss man den bringen, er ist ja der Präsident der USA. Wer Präsident ist oder wenigstens reich oder Star, kann eigentlich sagen, was er will: Er erscheint den Medien als relevant. Wenn etwa ein Musikus wie Xavier Naidoo etwas sagt, lässt sich allein aus seiner Bekanntheit eine Bewandtnis stricken, die seiner kruden, verängstigten Gedankenwelt eigentlich nicht zukommen sollte – außerhalb einer therapeutischen Sitzung.

Ein Hilfskonstrukt war es immer schon, die zeithistorische Bedeutung der Zeilenaufsager selbst zu produzieren. Wer in eine Fernsehkamera spricht, erlangt allein schon dadurch öffentliches Interesse. So kann der Journalist zu einem beliebigen Thema einer beliebigen Passantin sein Mikro unter die Nase halten, damit der Mensch auf der Straße auch mal zu Wort kommt ("Was nehmen Sie bei Erkältungen?" – "Tee mit Rum! Oder noch lieber Rum mit Tee."), wobei die Qualität des Gesagten meist zweifelhaft ist, manchmal aber ein bisschen lustig.

Das Auftauchen von organisierten Mengen im öffentlichen Raum, deren Mitglieder gern bereit sind, wirklich schräge Ansichten aufzusagen oder wenigstens verstörend scheußliche Schilder in die Kameras zu halten, ist also für den Journalismus eine Arbeitserleichterung: Je mehr sich die Leute als ein politisches Subjekt geben – also als eine Demonstration, Partei oder Massenbewegung –, desto leichter kannst du ihnen eine Relevanz zubilligen, und je schlichter ihre Ansicht ist, desto bereitwilliger und lauter wird sie dann auch vorgetragen. So vermischt sich die politische Berichterstattung immer mehr mit der Unterhaltung, sie nutzt unfreiwillige Komik, gemischt mit jener erhabenen Selbstgefälligkeit, die im Bewohner von Planet Erbe wohnt: Hoho, ist ja erstaunlich, wo kommen nur all diese köstlichen Deppen her?

Der Journalist oder die Journalistin packt dann zufrieden ihren Kram zusammen. Warum aber hat man früher keine Deppen im Fernsehen gesehen, gab es sie nicht? Waren die Journalisten sich zu fein für sie?

Vielleicht waren sie es wirklich. Vielleicht haben sie einst eine Linie gezogen zwischen sich und der Welt der Ausgestoßenen, Abgehängten, der Sorgenvollen. Heute können sie es nicht mehr. Denn der Journalismus selbst ist ja längst ins gnadenlose Getriebe des Sparzwangs geraten, und wo es weniger Sparzwang gibt, dräut die Ersatzreligion der Einschaltquoten: Journalisten müssen immer mehr Aufreger liefern. Haben weniger Zeit. Haben immer mehr Druck. Ihre naturgegebene Aufgeregtheit, die man früher Hysterie genannt hätte, steigt an, seit die Zeitungen sterben und auch sonst allenthalben outgesourct, reduziert, schlecht bezahlt und abgebaut wird. Journalisten lernen oft: "Zuspitzung" sei eine Tugend, nämlich das bewusste Aufblasen einer These, das bewusste Außerachtlassen von Abwägung und Argumentation. In einer Zeit, da die Schlagzeile dir mehr Respekt im Job bringt als die gründliche Recherche, weil die Schlagzeile Einnahmen generiert; in einer Ära, da die Journalistin sich oft selbst im Kampf ums Überleben befindet – kann sie da widerstehen, wenn sich Menschen gleich ums Eck auf der Straße versammeln, um eine übersteile These nach der anderen frei Haus rauszuhauen? Man wünschte, der Journalismus hätte noch genügend Halt in sich, hätte genügend Selbstachtung, das Abseitige im Abseits zu belassen. Aber er ist ja längst selber am Trudeln.

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