Astronomie

Kollision der Sternruinen – Gravitationswellen und Gammablitz

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Kosmische Kollision: Wenn zwei Neutronensterne zusammenstoßen, bebt der Weltraum
Kosmische Kollision: Wenn zwei Neutronensterne zusammenstoßen, bebt der Weltraum

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Stellare Erschütterung: Wenn zwei Neutronensterne sich umkreisen, erzeugen sie Gravitationswellen und kommen sich immer näher.
Stellare Erschütterung

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Das optische Entdeckungsfoto vom Swope-Teleskop in Chile.
Das optische Entdeckungsfoto vom Swope-Teleskop in Chile.

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Konzertierte Aktion: Rund 70 Teleskope weltweit beobachteten das elektromagnetische Gegenstück des Gravitationswellen-Signals GW170817. Am Südpol suchte der IceCube-Detektor nach Neutrinos – doch die Quelle war zu weit entfernt, sodass nicht genügend dieser Geisterteilchen zur Erde kamen.
Rund 70 Teleskope weltweit beobachteten das elektromagnetische Gegenstück des Gravitationswellen-Signals GW170817

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Blick aus dem All ins All: Die Galaxie NGC 4993 mit der Kilonova AT 2017gfo, aufgenommen mit dem Hubble-Weltraumteleskop. Deutlich sichtbar ist, wie schnell die Helligkeit abnahm.
Blick aus dem All ins All

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Elektromagnetische Gegenstücke: Das Nachleuchten des Crashs im Ultraviolett-, Infrarot- und Radio-Bereich, aufgenommen von den Teleskopen Swift, Gemini-South und Very Large Array.
Das Nachleuchten des Crashs im Ultraviolett-, Infrarot- und Radio-Bereich

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Lichtkurve der Kilonova AT 2017gfo in der Galaxie NGC 4993 in verschiedenen Wellenlängen im Lauf eines Monats. Im blauen Bereich nahm die Helligkeit stark ab, im roten und infraroten langsamer.
Lichtkurve der Kilonova AT 2017gfo in der Galaxie NGC 4993

Eine neue Ära der Astrophysik hat begonnen: Erstmals wurden Gravitationswellen von der Annäherung und dem brachialen Zusammenprall zweier Neutronensterne gemessen – und zudem das elektromagnetische Spektakel, das sich anschloss. Dieser Meilenstein in der Erforschung des Universums ist eine Bestätigung von teils Jahrzehnte alten Vorstellungen. Die neuen Erkenntnisse zeigen auch, woher die schwersten Elemente stammen – etwa Gold, Platin und Uran. Und sie erlauben es auf neue Weise, die Allgemeine Relativitätstheorie zu testen und die Ausdehnung des Weltraums zu messen.

Zwei Wochen, nachdem der Physik-Nobelpreis 2017 für drei Pioniere der direkten Messung von Gravitationswellen verliehen wurde – an Rainer Weiss, Kip Thorne und Barry Barish für ihre entscheidenden Beiträge zum Bau des amerikanischen Detektors LIGO – kamen die Kräuselungen der Raumzeit erneut in die Schlagzeilen. In einer fernen, aber für Astronomen gar nicht so fernen Galaxie waren zwei ultradichte Ruinen ausgebrannter Sterne mit einer unvorstellbaren Wucht kollidiert und miteinander verschmolzen.

Dieser vehemente Vorgang hat die Welt buchstäblich erschüttert: Er brachte das Gefüge der Raumzeit zum Schwingen. Dabei entstanden charakteristische Gravitationswellen, wie sie erstmals Albert Einstein 1916 im Rahmen seiner nur wenige Monate zuvor formulierten Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben beziehungsweise vorausgesagt hat. Diese superfeinen Signale der Schwerkraft hat LIGO (Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory) erhascht. Mehr noch: Erstmals wurde nahezu zeitgleich auch ein optisches Gegenstück aufgespürt. Diese von Wissenschaftlern lang ersehnte Koinzidenz ist der Beginn einer "Multi-Messenger-Astronomie", wie sie sagen: der Beobachtung desselben Ereignisses auf qualitativ völlig verschiedene Weisen.

Ein neuer Star am Gravitationswellen-Himmel

GW170817, wie das Gravitationswellen-Ereignis nach seinem Datum heißt, wurde am 17. August 2017 um 14.41 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit und 4 Sekunden gemessen. Alarm gab zunächst nur der Detektor in Hanford im US-Bundesstaat Washington. Die automatischen Software-Analysefilter hatten eine typische Wellenform gefunden, die zwar im Detail berechnet, aber nie zuvor gemessen worden war: das Signal kollidierender Neutronensterne.

Der zweite LIGO-Detektor bei Livingston, Louisiana, 3000 Kilometer entfernt, schlug nicht an, weil er 1,1 Sekunden vor der Kollision eine weniger als fünf Millisekunden lange Störung hatte (solche "Glitches" unbekannter Herkunft geschehen alle paar Stunden einmal und lassen sich ignorieren, wenn sie nur in einem Detektor auftreten); das sättigte den Detektor für einen Augenblick, sodass die Software nicht sofort reagierte. Aber eine visuelle Inspektion zeigte gleich, dass auch der Livingston-Detektor GW170817 gemessen hatte – dank seiner damals größeren Empfindlichkeit sogar noch besser als der Hanford-Detektor.

Das Signal-zu-Rauschen-Verhältnis betrug 26,4 (Livingston) beziehungsweise 18,8 (Hanford) und zusammen 32,4. Das macht GW170817 zum stärksten oder lautesten Gravitationswellen-Signal, das jemals gemessen wurde. Außerdem währte es rund 100 Sekunden lang (ab der Nachweisgrenze bei 24 Hertz) und lief durch LIGOs gesamtes Frequenzband. 3000 Zyklen konnten die Forscher in den Daten erkennen. Das entspricht 1500 Umkreisungen der Neutronensterne vor dem endgültigen Crash.

Erschütterndes Signal

Nie zuvor hatten die LIGO-Forscher ein solches Signal entdeckt. Die vier bislang publizierten Gravitationswellen stammten von kollidierenden Schwarzen Löchern und dauerten nur Sekundenbruchteile. Diese Ereignisse – das erste wurde im Februar 2016 bekannt gegeben, das letzte im August 2017 – stammten aus über einer Milliarde Lichtjahre Entfernung. GW170817 war verglichen damit viel schwächer, aber auch viel näher.

Die spiralförmige Annäherung der Neutronensterne und die darauffolgende Karambolage hatte die Raumzeit derart malträtiert, dass die winzigen periodischen Stauchungen und Dehnungen noch auf der Erde nachgewiesen wurden. Einen statistischen Irrtum schließen die LIGO-Wissenschaftler aus: Zufällig ereignet sich eine solche Koinzidenz höchstens einmal alle 80.000 Jahre (nach einer anderen Berechnung sogar nur einmal alle 1,1 Millionen Jahre).

Aus dem Signal konnten die Wissenschaftler zahlreiche Informationen ableiten. So muss die Gesamtmasse des Systems rund drei Sonnenmassen betragen haben und die individuellen Massen lassen sich grob auf 1,2 bis 1,6 Sonnenmassen eingrenzen. Das passt hervorragend zur Annahme von Neutronensternen. Diese kollabierten Kerne ausgebrannter massereichen Sterne haben typischerweise 1,4 Sonnenmassen (der schwerste bekannte hat die Masse zweier Sonnen) – und das extrem verdichtet in einer Kugel aus Neutronen-Materie, die einen Durchmesser von nur etwa 20 Kilometern besitzt. (Dass einer der beiden Körper kein Neutronenstern, sondern ein Schwarzes Loch war, ist sehr unwahrscheinlich, lässt sich aber von den LIGO-Daten allein nicht vollkommen ausschließen.)

Suche nach dem Ursprungsort

Auch der Virgo-Detektor in Italien war im August in Betrieb. Seine Laser-Interferometer-Arme sind jedoch nur drei Kilometer lang, nicht vier wie bei LIGO; entsprechend ist Virgo weniger empfindlich. Tatsächlich maß der hauptsächlich von Instituten aus Italien und Frankreich betriebene Detektor kein signifikantes Signal (das Signal-zu-Rauschen-Verhältnis betrug nur 2,0). Dennoch konnte er entscheidend zur Lokalisierung von GW170817 beitragen, weil die Quelle im "toten Winkel" von Virgos Sensitivität lag, sonst hätte Virgo ein deutlicheres Signal erhascht.

Das aktuelle Buch zum Thema

Das aktuelle Buch zum Thema, GW170817 und Physik-Nobelpreis eingeschlossen: Unser Autor Rüdiger Vaas erklärt darin die Theorie und Beobachtungen der Gravitationswellen. Er war übrigens einen Tag vor GW170817 beim LIGO-Detektor in Hanford – und ist kräftig auf dem Parkplatz herumgehüpft. Vielleicht hatte die sensationelle Messung also einen ganz anderen Ursprung … 

Vor diesem Hintergrund gelang es den Wissenschaftlern, die Quelle von GW170817 auf zunächst 31 und dann 28 Quadratgrad am Himmel einzugrenzen (LIGO allein hätte das nur auf 190 Quadratgrad vermocht). Das ist immer noch eine riesige Fläche – zum Vergleich: Der Vollmond bedeckt 0,2 Quadratgrad. Doch ein großer Fortschritt – das Himmelsareal von LIGOs erster Entdeckung war 20-mal so groß. Auch die Entfernung von GW170817 ließ sich relativ genau errechnen: 130 Millionen Lichtjahre (mit einer Unsicherheit von plus 26, minus 46 Millionen). Das macht GW170817 nicht nur zum lautesten, sondern auch bislang zum nächstgelegenen und am besten lokalisierten Gravitationswellen-Signal.

Diese Verortung ist kein Selbstzweck, sondern erhöhte die Chance, ein elektromagnetisches Gegenstück zu finden – die Quelle also nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Das war bei den vorherigen Quellen nicht gelungen. Allerdings sind Schwarze Löcher per se unsichtbar. Und das sich noch Materie in ihrer Umgebung befand, die vor der Kollision aufleuchtete, ist unwahrscheinlich. Trotzdem hatten Dutzende von Teleskopen nach einem "counterpart" am Himmel gespäht – vergeblich.

Gammablitzlichtgewitter

Anders bei GW170817: Tatsächlich entdeckte das Weltraumteleskop Fermi unabhängig von den LIGO-Messungen und nur 1,7 Sekunden nach diesen einen kurzen Gammablitz am Himmel. Genauer: das GBM-Instrument (Gramma-ray Burst Monitor) an Bord von Fermi, das ständig den ganzen einsehbaren Himmel scannt.

Solche GRBs (Gamma-Ray Bursts) kennen Astrophysiker seit den 1970er-Jahren; inzwischen weiß man, dass es fast täglich irgendwo am Himmel aufblitzt. Diese energiereichen Feuerwerke gehören zu den größten Explosionen im Weltall. Allerdings sind sie in der Regel Milliarden Lichtjahre entfernt. (Käme es zu einem GRB in wenigen Lichtjahren Distanz zur Erde, wäre das das Ende der Menschheit.) Lange Gammablitze, die mehr als zwei Sekunden dauern, stammen von den brachialen Explosionen ausgebrannter Riesensterne. Kurze Gammablitze werden seit Jahren mit der Kollision von Neutronensternen in Zusammenhang gebracht – das schlagende Indiz dafür fehlte aber. Nun liegt es vor: Tatsächlich sind GW170817 und der von Fermi entdeckte GRB 170817A zwei Seiten derselben Medaille.

Der kosmische Aha-Effekt war da, als LIGO und Fermi unabhängig voneinander ihre Eilmeldungen an andere Astronomen verschickten. Die Koinzidenz konnte kein Zufall sein. Alarmiert von den E-Mails suchte auch das INTEGRAL-Team in seinen Daten. Das europäische Weltraumobservatorium INTEGRAL (INTErnational Gamma-Ray Astrophysics Laboratory) fahndet ebenfalls nach Gammablitzen und findet etwa 20 pro Jahr. Zum gleichen Zeitpunkt wie bei Fermi waren auch hier Gammastrahlen detektiert worden. (INTEGRAL beobachtete daraufhin noch fünfeinhalb Tage immer wieder das Himmelsareal, sah aber nichts mehr.)

"Selbst in meinen wildesten Träumen hatte ich nicht zu hoffen gewagt, dass wir gleichzeitig zur ersten Entdeckung eines Doppelneutronensterns durch Gravitationswellen den entsprechenden Gammastrahlenblitz und die elektromagnetischen Signale nachweisen würden", freut sich Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Mitglied des LIGO-Teams. "Ich dachte wir würden so etwas erst nach 20 oder mehr Beobachtungen von der Verschmelzung zweier Neutronensterne sehen, nicht mit der allerersten. Das ist fantastisch!"

Rasch wurde deutlich, dass sich die groben Himmelkarten von GW170817 und GRB 170817A überlappten. Das wiederum war die große Chance für Astronomen, die das All in anderen Wellenlängen-Bereichen erkunden …

Quelle der Welle

Insgesamt beobachteten 70 Observatorien mit rund 100 Teleskopen (sieben davon in Erdumlaufbahnen) das elektromagnetische Gegenstück von GW170817. Das ist die größte konzertierte Aktion in der Geschichte der Astronomie und allenfalls mit der Beobachtungskampagne 1987 vergleichbar, als die Supernova 1987A in der Großen Magellan’schen Wolke aufflammte. Inzwischen sind mehrere Dutzend Forschungsartikel in den renommiertesten Zeitschriften (wie Astrophysical Journal, Science und nature) dazu erschienen.

Sechs Teleskope entdeckten unabhängig voneinander innerhalb von elf Stunden den Herkunftsort von GW170817 anhand der LIGO- und Fermi-Karten. Die Quelle befindet sich im Außenbezirk einer alten elliptischen beziehungsweise linsenförmigen Galaxie namens NGC 4993 auf der südlichen Himmelshemisphäre. Sie liegt im südlichen Teil des Sternbilds Wasserschlange und hat eine Entfernung von rund 130 Millionen Lichtjahren.

Als erstes gelang dies dem robotischen 1-Meter-Swope-Teleskop am Las Campanas Observatory in Chile. Die Quelle SSS17a (Swope Supernova Survey), später gemäß der Regeln der Internationalen Astronomischen Union in AT 2017gfo umbenannt, wurde dann auch vom Magellan-Teleskop, vom 8-Meter-Gemini-South-Teleskop, der Dark Energy Camera am 4-Meter-Blanco-Teleskop und diversen Teleskopen der Europäischen Südsternwarte anvisiert – sie alle sind in den chilenischen Anden positioniert.

Als die Nacht westwärts wanderte, kamen Fernrohre auf Hawaii an die Reihe, darunter Pan-STARRS und Subaru. Das war sechs Stunden später, und da hatte die Helligkeit von AT 2017gfo schon signifikant abgenommen. Das bewies, dass es sich nicht um eine Supernova oder einen veränderlichen Stern im Vordergrund handeln konnte.

Die Entdeckung der Kilonova

"Es war die Signatur einer Kilonova", sagt Ken Chambers, Direktor des Pan-STARRS-Observatoriums auf Hawaii und meint damit eine Erscheinung, die rund die 1000-fache Helligkeit einer gewöhnlichen Nova besitzt, aber nicht an eine Supernova herankommt. "Es ist eine seltene Gelegenheit, wenn ein Wissenschaftler Zeuge des Beginns einer neuen Ära wird."

Einen halben Tag nach der Kollision war die Trümmerwolke rund 8000 Grad Celsius heiß, so kann man aus der Farbe der optischen Emission schließen. Ihr Durchmesser entsprach der der Neptun-Bahn im Sonnensystem. Sie war so hell wie 100 Millionen Sonnen und dehnte sich fast mit einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit aus. Dabei kühlte sie sich ab, wurde röter und lichtschwächer. Zehn Tage später hatte sie nur noch die Leuchtkraft einer Million Sonnen.

"Es war eine Überraschung, wie genau das Verhalten der Kilonova den Voraussagen entsprach", sagt Nial Tanvir von der University of Leicester. Er hat AT 2017gfo wie auch andere Astronomen-Teams mit dem Hubble-Weltraumteleskop studiert. Dieses hatte bereits 2013 Indizien für Kilonovae als Relikte von Gammablitzen gefunden. Doch erst jetzt darf der Zusammenhang als gesichert gelten.

Herkunftsorte aller bisher gemessenen Signale von Gravitationswellen

Auf einen Blick: Herkunftsorte aller bisher gemessenen Signale von Gravitationswellen. Erst zusammen mit dem Detektor Virgo wurden die LIGO-Daten präziser. (Illustration: LIGO, Virgo, NASA, Leo Singer, Axel Mellinger)


Je später die Gäste…

Überraschend war, dass sich zunächst keine Röntgenstrahlung zeigte. Erst neun Tage nach der Kollision wurde das Weltraumteleskop Chandra fündig. "Zuerst war die Strahlung sehr schwach, aber nach etwa zehn Tagen wurde sie plötzlich sehr intensiv", sagt John J. Ruan vom McGill Space Institute in Montreal.

Noch länger dauerte es, bis Radiowellen gemessen wurden. Zuerst am 2. September vom Very Large Array in New Mexico, dann auch vom Australia Telescope Compact Array (ATCA) bei Narrabri in New South Wales und vom MeerKAT-Teleskop in Südafrika.

"Die Radiostrahlung kam spät zur Party, wird sie aber als Letztes verlassen", meint Gregg Hallinan vom Caltech. "Die Story, die sich gerade entfaltet, ist vollständiger als die jedes früheren Ereignisses in der Geschichte der Astronomie."

Vorbei geschossen

Auch wenn bislang viele Einzelheiten unklar sind und die Auswertung des GW170817-Ereignisses Astrophysiker wahrscheinlich noch Jahre beschäftigen wird, zeichnet sich doch bereits ein konsistentes Szenario ab. Und das ist keine Selbstverständlichkeit, spielen hier doch ganz disparate Phänomene zusammen: gravitative, elektromagnetische und nukleare.

Die beiden Neutronensterne sind wahrscheinlich schon vor über elf Milliarden Jahren aus Supernova-Explosionen entstanden. Damals war das Universum erst zwei Milliarden Jahre alt. Seitdem haben sie sich umkreist und sind sich allmählich näher gekommen. Die Ursache dafür: die Abstrahlung von Gravitationswellen. Solche Doppelsysteme aus Neutronensternen gibt es auch in der Milchstraße (ein Dutzend ist bekannt, doch keines davon wird in den nächsten Jahrhundertmillionen kollidieren!). Tatsächlich wurde bei ihnen erstmals indirekt die Existenz von Gravitationswellen erschlossen – eben weil ihre Umlaufbahn so schrumpfte, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie zu berechnen erlaubt.

Obwohl GRB 170817A der nächstgelegene Gammablitz überhaupt ist, den Astronomen kennen, war er nicht heller als viele andere – oder, anders gesagt, rund 100.000 Mal weniger leuchtkräftig als im GRB-Durchschnitt. Das bereitete den Forschern großes Kopfzerbrechen. Daraus, aber auch aus der erst spät aufgetauchten Röntgen- und Radiostrahlung, schließen sie, dass Fermi und INTEGRAL gar nicht direkt in den Jet blickten, der strahlenkegelartig in entgegengesetzte Richtungen vom Kollisionsort entwichen ist. Vielmehr dürfte die Achse des Gammastrahls gar nicht direkt in Richtung Erde gedeutet haben, sondern besaß wohl einen seitlichen Winkel von etwa 30 Grad. Entsprechend gering fiel die Intensität des Gammablitzes aus.

Die Relativitätstheorie bewährt sich wieder

Dass GRB 170817A und GW170817 nicht exakt zeitgleich waren, ist auch nicht verwunderlich. Die Strahlung musste sich zunächst durch die dichte, expandierende Trümmerwolke kämpfen.

Trotzdem sind 1,7 Sekunden Abstand in der kosmischen Perspektive nicht nennenswert. Das wiederum ist für Theoretische Physiker von großer Bedeutung. Daraus können sie nämlich ableiten, dass sich – wie von Einstein vorausgesagt – Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit c ausbreiten (und somit auch die Gravitation insgesamt lichtschnell wirkt). Wäre das nicht der Fall, wäre die Allgemeine Relativitätstheorie widerlegt.

Die Koinzidenz von GW170817 und GRB 170817A lässt darauf schließen, dass die Abweichungen der Gravitationswellen von c allenfalls in der Größenordnung von 1 zu 10 hoch 15 liegen können. Kurzum: ein neuer Test der Allgemeinen Relativitätstheorie, den Einstein wie alle früheren bravourös bestanden hat.

Himmlisches Gold

Beim Zusammenprall der Sternruinen wurde nicht nur die Raumzeit erschüttert, sondern ein Teil der Materie wurde davon geschleudert – vielleicht ein Prozent der Gesamtmasse des Systems. Diese extrem heiße Plasmawolke dehnte sich aus und kühlte sich dabei ab. Zunächst war die Materie so dicht und reich an Neutronen, dass es zu zahllosen nuklearen Reaktionen kam: Kernfusionsprozesse, bei denen schwere Elemente entstanden. Darunter die schwersten überhaupt in der Natur, bis hin zu Uran und Plutonium.

Schon länger nehmen Astrophysiker an, dass die Elemente schwerer als Eisen und Nickel nicht aus Supernovae stammen, weil diese Sternexplosionen nicht die dafür erforderlichen Dichten und Randbedingungen bereitstellen. Doch bislang konnte die Hypothese nicht getestet werden, dass die Karambolage von Neutronensternen die Fabriken dieser Element-Synthese sind. GW170817 hat das buchstäblich mit einem Schlag geändert.

Rund 10.000 Erdmassen an Materie ist dem Inferno entkommen. Darunter dürften jeweils eine Erdmasse Gold- und Platin-Atome sein. Eigentlich ein lukratives Geschäftsmodell für Goldsucher und Edelmetall-Spekulanten – doch unerreichbar für die irdische Habgier. LIGO-Direktor David Reitze hatte bei der Pressekonferenz die 100 Jahre alte goldene Taschenuhr seines Großvaters aus dem Jackett gezogen – das Gold davon, so meinte er, müsse aus einem kosmischen Crash stammen, der sich vor der Entstehung unseres Sonnensystems ereignet habe.

Dass sich tatsächlich schwere Elemente im Umfeld des GW170817-Crashs gebildet haben, können Astronomen nun bestätigen. Charakteristische Merkmale der gemessenen Spektren belegen es. Auch stammt die Energie der nachglühenden Kilonova hauptsächlich aus dem radioaktiven Zerfall der neu gebackenen Elemente.

"Die Quelle ist der Goldschatz am Ende des Regenbogens. Jetzt haben wir erstmals ein Gegenstück – Daten über das gesamte Spektrum –, die zeigen, dass Neutronensterne die Goldfabrik des Universums sind", sagt Christopher Berry von der University of Birmingham.

Die Herkunft der chemischen Elemente

Die Herkunft der chemischen Elemente: Die leichtesten stamen aus dem Urknall, die schwersten von der Kollision von Neutronensternen. (Jennifer Johnson/SDSS)


Die Ausdehnung des Weltraums

Auch anderweitig – nämlich kosmologisch – werden sich künftig Signale wie GW170817 als äußerst nützlich erweisen. Weil die Gravitationswellen eine von der optischen Astronomie völlig unabhängige Entfernungsbestimmung erlaubt, können sich die Methoden gegenseitig ergänzen, stützen oder korrigieren. So hat Bernard Schutz, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam gezeigt, dass man mit Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen die Hubble-Konstante auf eine neue Weise ermitteln kann. Diese Größe beschreibt die Ausdehnungsrate des Weltraums. Sie ist ein Schlüsselfaktor zur Beschreibung der Dynamik unseres Universums; davon hängt beispielsweise die Bestimmung des Weltalters ab.

GW170817 und seine Lokalisierung in NGC 4993 als Ursprungsgalaxie ergab eine Hubble-Konstante von 70 (plus 12, minus 8) Kilometer pro Sekunde und Megaparsec (und mindestens 68,3). Das passt gut zu den aktuellen astronomischen Daten (vom Planck-Satellit ist der abgeleitete Wert 67,9 plus/minus 0,55). Diese sind allerdings nicht eindeutig und manchen Forschern zufolge sogar mit einem problematischen Widerspruch versehen. Messungen weiterer Gravitationswellen werden hier in einigen Jahren buchstäblich weitreichende Konsequenzen haben.

Ein neues Schwarzes Loch?

Noch ist ungeklärt, was aus dem Kollisionsprodukt der beiden Neutronensterne wurde – ob es sich um einen kurz- oder langlebigen Neutronenstern handelt. Der Massenbereich ist nicht eindeutig, die Gravitationswellen verrieten auch nichts. (Ein längeres Nachzucken, Ringdown genannt, konnte nicht gemessen werden.) Und elektromagnetische Signale haben noch keinen Aufschluss ergeben. Entweder gibt es jetzt im Sternbild Wasserschlange einen der schwersten Neutronensterne überhaupt. Oder es hat sich ein Schwarzes Loch formiert, das dann das leichteste aller bekannten Schwarzen Löcher wäre.

Doch es gibt noch Chancen. Vielleicht verraten künftige Beobachtungen im Radiowellen-Bereich, was in der expandierenden Trümmerwolke steckt. Fest steht, und so lautet auch der letzte Satz der LIGO-Virgo-Veröffentlichung: GW170817 "markiert den Anfang einer neuen Ära der Entdeckungen".