Die Historikerin Deborah Lipstadt präsentiert in ihrem Buch "Der neue Antisemitismus" eine fiktive Kommunikation über unterschiedliche Aspekte der gegenwärtigen Judenfeindschaft. Dabei finden sich auch viele Anregungen und Einzelinformationen, die sowohl für Einsteiger wie Kenner interessant sind, auch zum Antisemitismus im universitären Raum und zur Frage von Boykottforderungen gegen Israel.
Wenn von dem "neuen Antisemitismus" die Rede ist, stellt sich die Frage, was jeweils neu sein soll: Geht es um eine neue Aktualität, eine neue Form, eine neue Trägerschaft? Eine klare und systematische Antwort findet man auch nicht in Deborah Lipstadts Buch "Der neue Antisemitismus". Der Autorin geht es um etwas anderes, was aber nicht aus dem Klappentext hervorgeht. Insofern ist man als Leser auch nach dem Vorwort etwas verwundert. Denn die Historikerin, die durch den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving weit über Fachgrenzen hinaus bekannt geworden ist, will darin für ein größeres Publikum das brisante Thema vermitteln. Dazu wählt sie eine ungewöhnliche Methode: Denn die einzelnen Kapitel bestehen aus einer fiktiven E-Mail-Kommunikation, die sie mit den beiden ebenso fiktiven Studierenden Abigail und Joe führt. Ihnen legt Lipstadt Eindrücke und Fragen in den Mund bzw. in die Tastatur, womit sie selbst wohl regelmäßig inner- und außerhalb der Hochschule konfrontiert wird. An diese Art der Erörterung muss man sich aber gewöhnen.
Bereits auf den ersten Seiten macht die Verfasserin auf wichtiges aufmerksam: Der Antisemitismus ist nicht nur eine Angelegenheit für bedrohte Juden, Judenfeindschaft gefährdet immer auch ganz allgemein eine pluralistische Gesellschaft. Danach folgen die fiktiven Dialoge, die sich zunächst auf die Problematik beziehen, etwas absurdes dann doch irgendwie rational erklären zu wollen. Antisemitismus definiert Lipstadt wie folgt: Er "ist nicht Hass auf Menschen, die zufällig Juden sind. Er ist Hass auf sie, weil sie Juden sind" (S. 34). Dass derartige Auffassungen in unterschiedlicher Form vorgetragen werden können, macht dann die anschließende Typologie deutlich. Lipstadt unterscheidet "den Extremisten, den antisemitischen Steigbügelhalter, den Salon-Antisemiten und den ahnungslosen Antisemiten" (S. 100), wobei die Grenzen fließend seien. Erläutert wird dies auch anhand prominenter Politiker, wozu hier Jeremy Corbyn und Donald Trump gehören. Die Autorin argumentiert demnach nicht abstrakt, sondern bringt für alles ausführlich Fallbeispiele.
So geht es dann auch weiter, wobei Antisemitismus und Rassismus ins Verhältnis gesetzt oder die besondere Opfer-Perspektive thematisiert werden. Letzteres meint die weit verbreitete Auffassung, dass Juden "in ihrer Mehrheit weiße, privilegierte Mitglieder einer Elite" eben "unmöglich als Opfer angesehen werden" (S. 122), was sie aber sehr wohl sein können. Eher knapp behandelt Lipstadt dann auf die Ignoranz gegenüber einer islamistisch geprägten Judenfeindschaft und die Kontinuität der Holocaust-Leugnung, auch bezogen auf eine abgeschwächte Form der Täter-Opfer-Umkehr. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie danach dem Antisemitismus an Hochschulen, welcher häufig im Gewand der "Israelkritik" von sich progressiv gebenden Intellektuellen vorgetragen werde. Dabei geht Lipstadt auch ausführlich auf die Boykott-Forderungen der BDS-Kampagne im universitären Kontext ein. Ausdrücklich betont sie: "Doch linker Antisemitismus hält sich hartnäckig" (S. 228). Das Buch endet mit einer wenig beruhigenden Gesamteinschätzung.
Man hat es mit einem Blick auf den Inhalt nicht im engeren Sinne mit einem wissenschaftlichen Werk zu tun. Zwar werden alle Informationen und Zitate auch nachgewiesen. Aber es gibt keine entwickelten Fragestellungen und klaren Strukturierungen. Gleichwohl verdient das Buch aus unterschiedlichen Gründen besonderes Interesse: Es kann als eine Einführung ins Thema gerade für junge Akademiker dienen, und es liefert viele Einzelinformationen aus dem englischsprachigen Raum. Darüber hinaus nimmt die Autorin differenzierte Einschätzungen vor, wofür etwa folgende Erörterung steht: "Ist Jeremy Corbyn ein Antisemit? Ich würde antworten, dass das die falsche Frage ist. Die richtigen Fragen lauten: Hat er Bekundungen von Antisemitismus ermöglicht und ihre Reichweite erhöht. … Werden es seine Handlungen erleichtern, dass sich Antisemitismus im progressiven Lager institutionalisiert?" (S. 87). Dies macht exemplarisch deutlich, dass das Buch sowohl für Einsteiger wie für Kenner viele anregende Reflexionen enthält.
Deborah Lipstadt, Der neue Antisemitismus, München 2018 (Berlin-Verlag), 304 S., 24,00 Euro
5 Kommentare
Kommentare
Friedhelm Mandt am Permanenter Link
Meine Kritik an der BDS-Kampagne:
Soll die BDS Kampagne Israel wirtschaftlich oder noch weiter gehend zerstören?
Unerträglich für Deutsche , deren manche Väter und Großväter den Holocaust initierten und nun den überlebenden
Juden, die den Todesmühlen in Richtung Israel entfliehen konnten, auch noch nach dem Leben trachten sollen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„Antisemitismus definiert Lipstadt wie folgt: Er "ist nicht Hass auf Menschen, die zufällig Juden sind. Er ist Hass auf sie, weil sie Juden sind" (S. 34).“
"Ist Jeremy Corbyn ein Antisemit?“ halte ich durchaus für eine richtige Frage, vielleicht kann sie nur nicht zuverlässig beantwortet werden. Jede Kritik an der jüdischen Religion oder des Staates Israels kann in einem hasserfüllten Kontext verwendet werden. Gleiches gilt auch für den Islam und die islamischen Staaten. Aber man muss doch trotzdem Verstöße gegen Menschenrechte wie Beschneidung, Unterdrückung von Frauen und Andersgläubigen, religiös begründete Landnahme … kritisieren dürfen, ohne in die antisemitische Schmuddelecke gedrängt zu werden. Genau das tun aber aktuell Vertreter des Judentums und Israels. Im Schulterschluss mit den katholischen Bischöfen verteidigt z.B. Dr. Schuster die Beschneidung mit der Religionsfreiheitskeule gegen Kritik und ordnet diese einem Neuen Antisemitismus zu. Und wenn ich mich noch zu folgenden Aussagen hinreißen lasse
- dass ich die Idee von einem „auserwählten Volk Gottes“ für eine theologische Absurdidät halte
- so manche Sabbath- und Speisevorschrift und erst recht die Praxis der Ausnahmeregelungen (Eruv) eher belustigend finde
dann werde ich mit Sicherheit von gewissen Leuten des Antisemitismus bezichtigt, obwohl ich keinerlei Hass empfinde, nicht gegen Menschen und schon gar nicht WEIL sie Juden sind oder WEIL sie Christen sind oder WEIL sie Muslime sind …
Muss ich mich deswegen wirklich auf eine Stufe stellen lassen mit Auschwitz-Leugnern und Neo-Nazis ? Muss ich mich dafür wirklich beschimpfen lassen von Leuten, die ihre traditionalistischen Machtrituale mit infamen Unterstellungen verteidigen und selbst einen veritablen Anti-Atheismus praktizieren ? Muss ich mir deswegen den Vorwurf gefallen lassen, das Menschenrecht der Religionsfreiheit nicht zu respektieren ?
David Z am Permanenter Link
"Aber man muss doch trotzdem Verstöße gegen Menschenrechte wie Beschneidung, Unterdrückung von Frauen und Andersgläubigen, religiös begründete Landnahme … kritisieren dürfen, ohne in die antisemitische Schmuddele
Das kann man selbstverständlich machen. Israel ist nicht sakrosankt und gehört kritisiert, wie jeder Staat. Allerdings muss man sich dann (in Abhängigkeit davon, was und wie man kritisiert) auch fragen lassen, ob hier nicht erneut die oft beobachtete merkwürdige Obsession vorliegt, sich unter all den Schurkenstaaten dieser Erde mit ihren unfassbaren Menschenrechtsverstößen und politischen Fehltritten ständig und immer wieder ganz spezifisch grade die kleine Mini-Demokratie im Nahen Osten von grade mal 8 Mio Menschen mit oberster Priorität kritisch vorzuknöpfen - als ob sie als Satan für all das Übel der Welt direkt verantwortlich wäre.
Vielleicht ist diese Obsession tatsächlich nicht antisemitisch begründet. Aber was dann? Ideologisch? Pathologisch? Mehr bleibt da eigentlich nicht als Erklärung...
Roland Fakler am Permanenter Link
Wir müssen hier und heute überall auf der Welt für Demokratie und Menschenrechte und gegen Diktatur und Verfolgung eintreten. Das ist die Lehre, die die Deutschen aus der Geschichte lernen müssten.
Werner Schmidt am Permanenter Link
Ein weiteres typisches Hasbara-Buch. Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und der Aufruf zum Boykott sind kein Antisemitismus.