Rezension

Eine komprimierte Geschichte al-Qaidas

Der Islamwissenschaftler Behnam T. Said liefert in "Geschichte al-Qaidas. Bin Laden, der 11. September und die tausend Fronten des Terrors heute" eine komprimierte historische Beschreibung der terroristischen Organisation bis in die Gegenwart hinein und bezogen auf unterschiedliche Länder. Der Autor erweist sich als guter Kenner der Materie, gliedert den Stoff auch klar und strukturiert, hätte aber hier und auch noch etwas mehr analytische Einschätzungen in den Text integrieren können.

Al-Qaida ist aus der medialen Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Das öffentliche Interesse richtete sich zuletzt mehr auf den "Islamischen Staat", wenn es um das Gefahrenpotential islamistisch-terroristischer Organisationen ging. Doch ist dies noch lange kein Grund, um die Gruppe, der man die Durchführung des opferreichsten Anschlags am 11. September 2001 zuschreibt, gegenwärtig zu ignorieren.

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Dies macht der Islamwissenschaftler Behnam T. Said, der im Bereich der Extremismusprävention für die Justizbehörde Hamburg arbeitet, in seinem jüngsten Buch deutlich. Zuvor hatte er bereits eine erste deutschsprachige Darstellung zum "Islamischen Staat" geschrieben und einen gewichtigen Sammelband zum Salafismus mit herausgegeben. "Geschichte al-Qaidas. Bin Laden, der 11. September und die tausend Fronten des Terrors heute" lautet der Titel des neuesten Werkes. Es versteht sich als "Versuch einer aktuellen, kompakten Annäherung an die komplexe Geschichte der mächtigsten terroristischen Organisation der Moderne" (S. 10).

Der Autor wählt den Einstieg über zwei Lebensbeschreibungen: Es geht zunächst um Osama bin Laden und Aiman al-Zawahiri als die bedeutenden Akteure in diesem Kontext, wobei am Rande auch auf deren Prägung durch islamistische Klassiker wie die Werke von Sayyid Qutb hingewiesen wird. Danach steht die Gründung von al-Qaida im Zentrum des Interesses, wobei der Jihad in Afghanistan die Rahmensituation bildete. Danach beschreibt Said Bin Ladens weitere Entwicklung und die Taliban-Herrschaft in Afghanistan. Als Besonderheit arbeitet er heraus: "Der Kampf gegen die USA sollte das Markenzeichen al-Qaidas werden, was sie von den lokal ausgerichteten Jihad-Gruppen, die gegen Ende der 2000er Jahre allesamt gescheitert waren, abhob und ihr Zuspruch sicherte" (S. 65). Die Planung des 11. September durch das "Mastermind" Khalid Sheikh Muhammmad steht anschließend im Zentrum. Der folgende "War on Terror" sei indessen ein strategischer Fehler gewesen, tappten die Amerikaner doch in die Irak-Falle, wodurch viele Jihadisten mobilisiert werden konnten.

Anschließend behandelt der Autor die Jagd auf Bin Laden und die ansonsten häufig weniger beachtete Zeit danach. Dabei wird deutlich, dass al-Qaida sich in verschiedenen Regionen der islamisch geprägten Welt verankern konnte. Kapitel für Kapitel wird diese Dimension deutlich bezogen auf die arabische Halbinsel und den Maghreb, Ostafrika und den Irak, Syrien und Indien. Die letzten Kapitel sind dann dem Verhältnis von Iran und al-Qaida und den Netzwerken der Organisation in Europa gewidmet. Dabei müsse auch die Änderung der Struktur berücksichtigt werden: "Die einst nur auf Bin Laden und seinen engsten Führungskreis zugeschnittene Organisation delegierte nun Verantwortung an lokale Jihadisten-Führer oder beauftragte Mitglieder, regionale Ableger des Netzwerkes aufzubauen" (S. 103). Gegen Ende wird davor gewarnt, von deren Ende oder Niedergang auszugehen. Said hebt hervor, dass al-Qaida stets eine dynamische und flexible Organisation war und sich an neue Gegebenheiten auch strategisch gut anpassen konnte.

Der Autor ist kein Historiker, sondern Islamismusanalytiker. Gleichwohl wirkt die Darstellung wie ein Geschichtsbuch zur jüngsten Zeitgeschichte. Entsprechend gliedert sich die Arbeit auch weitgehend historisch-chronologisch, sieht man einmal von den biographischen Einstiegen und den Länderstudien ab. Dadurch erhalten die Leser einen kompakten Eindruck von der Entwicklung von al-Qaida. Said erweist sich als guter Kenner der Materie, der auf Basis der Kenntnis von Primär- und Sekundärliteratur den Stoff gut gegliedert vermittelt. Bedauerlich ist, dass analytische Aspekte dabei zu kurz kommen. Es gibt immer wieder einschlägige Anmerkungen, wie etwa die zum erwähnten organisatorischen Wandel. Aber all dies geht eher in der Beschreibung des Geschehenen unter. Nun könnte man mit guten Gründen sagen, das ist eben so, wenn es um die Geschichte einer Organisation geht. Aber um diese auch genauer verstehen zu können, wären vielleicht systematische Aussagen zu Ideologie, Organisation und Strategie noch wichtig gewesen.

Behnam T. Said, Geschichte al-Qaidas. Bin Laden, der 11. September und die tausend Fronten des Terrors heute, München 2018 (C. H. Beck-Verlag), 239 S., 14,95 Euro