Steuerbetrug, TTIP, Wirtschaftslobbyismus

Wie Konzernmacht die Demokratie unterminiert

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Prof. Dr. Hans See, Gründer und Ehrenvorsitzender von Business Crime Control e.V.
Prof. Dr. Hans See

FRANKFURT/M. (hpd) Vier prominente Referenten sprachen auf der Jahrestagung von Business Crime Control e.V. am Samstag, dem 16. April in Frankfurt: Prof. Dr. Hans See, Gründer und Ehrenvorsitzender von BCC, zog nach 25 Jahren Vereinstätigkeit Bilanz. Frank Wehrheim, früherer hessischer Steuerfahnder, sprach über Steuerkriminalität und neoliberale Mentalität. Axel Köhler-Schnura von der CBG - Coordination gegen Bayer-Gefahren, vertrat die These, dass Kapital bei genügender Profitaussicht Verbrechen nicht abgeneigt ist, und beleuchtete das konkrete Gebaren des Bayer-Konzerns. Dr. Wolfgang Hetzer ging der Frage nach, ob die Deutsche Bank angesichts all ihrer Verwicklungen in justitiable Affären als kriminelle Vereinigung gelten könnte.

Die Tagung war mit über hundert Gästen sehr gut besucht. Für einen emotionalen Höhepunkt auch am Ende eines informativen, aber langen Tages sorgte der Schauspieler Erich Schaffner, der Gedichte von Erich Kästner, Bert Brecht und Heinrich Heine rezitierte. Zur Eröffnung hatte Willi van Ooyen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Hessischen Landtag, ein Grußwort von der Friedens- und Zukunftswerkstatt ausgerichtet.

In seiner Bilanz von 25 Jahren Business Crime Control e.V. (BCC) erinnerte Hans See an seine ursprüngliche Motivation, als er gemeinsam mit Dieter Schenk den Verein gründete: Sie hatten festgestellt, dass Menschenrechte nicht nur von Staaten verletzt werden, sondern auch von oft noch mächtigeren Organisationen: von nationalen und internationalen Konzernen. Deren Verbrechen galt und gilt es anzuprangern – wobei der Begriff "Wirtschaftsverbrechen" bei Vereinsgründung noch als Tabuwort galt. Das geändert zu haben gehöre zu den Verdiensten von BCC, so See, der Wirtschaftskriminalität nicht auf Steuerhinterziehung und Briefkastenfirmen beschränkt sehen will: das sei viel zu eng. Was läuft im System verkehrt, sei die entscheidende Frage.

Es gebe keine Industrie oder Bank, die nicht in Versuchung stehe, sich auch jenseits der Gesetze zu bereichern – oder aber Verbrechen zu begehen, denen dennoch ein Mäntelchen von Legalität umgehängt werde: Wieviel Unrecht im Recht stecke, habe er erst im Laufe der 25-jährigen Arbeit erkennen müssen. An Beispielen führte See etwa die Treuhand an, die die DDR-Wirtschaft abwickelte und dabei ungeheure Werte verschleuderte. Gar manche Fabrik sei für eine D-Mark verkauft worden für das bloße Versprechen, sie zu sanieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Ob das eingehalten wurde, war gleichgültig. Die Treuhand-Manager waren per Gesetz von jeder Haftung freigestellt.

Frank Wehrheim
Frank Wehrheim, Foto: © Peter Menne

Steuervermeidung und Steuerhinterziehung sind weit verbreitet. Wie sich deren öffentliche Wahrnehmung (zum Glück!) verändert hat, berichtete Frank Wehrheim. Das Thema "Steuern" wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: schon sein Großvater, sein Vater und ein Bruder arbeiteten beim Finanzamt. Wehrheim selbst begann da als 18-jähriger und wechselte 1974 zur Steuerfahndung. Er berichtete, wie Schmiergelder noch bis in die 1990er Jahre als ganz normale Betriebsausgabe galten. Dass Einnahmen aus Kapitalvermögen auch steuerpflichtig sind, wurde vielerorts einfach nicht zur Kenntnis genommen. Als er selbst in den 1970ern ein Auto verkauft hatte und das Geld auf sein Sparkassen-Konto einzahlen wollte, meinte die Dame am Schalter ganz selbstverständlich: "Sie wollen's doch sicher steuerfrei?" und empfahl Tafelgeschäfte. Dass die Coupons steuerfrei seien, behauptete die Bankbeamtin einfach mal.

Für solch läppische Summen mag sich das geändert haben - doch Wehrheim zitierte einen mit versteckter Kamera in einem Genfer Bankinstitut gedrehten Film: Der investigative Kunde fragte nach einem Stiftungsmodell und bekannte dabei offen, dass es ihm darum gehe, Steuern zu hinterziehen. Die Bank bediente ihn selbstverständlich, hatte dafür Konzepte auf Halde. Betuchte Klientel wird wohl weiter bedient wie gehabt – doch bei den Finanzämtern hat sich etwas geändert: bis zum Jahre 2000 wurden keine Provisionen für die Beschaffung von Bank-Daten gezahlt. Erst der NRW-Finanzminister Walter Borjans (SPD) änderte das, kaufte CD's an. Tritt der Staat da als Hehler auf, wenn er gestohlene Unterlagen kauft? Der Vorwurf wurde oft erhoben – doch Wehrheim sieht solche CD-Käufe eher als Notwehr seitens des Staates.

Auf die Daten aus den Panama-Papers müssten die Finanzämter noch warten bzw. sorgfältig Zeitung lesen: Die Redaktionen verstünden sich nicht als "verlängerter Arm der Finanzverwaltung", schützten vielmehr ihre Informanten – was schon bei früheren "Leaks" genauso lief. Also müssten die Steuerfahnder jetzt darauf warten, dass die Informationen in der Zeitung oder im Internet veröffentlicht werden.

Wehrheim betonte, dass Steuerhinterziehung nur ein Teilaspekt des Briefkastenfirmen-Unwesens ist: Fast wichtiger sei die Geldwäsche, für die sie eingerichtet würden. Geld, das "gewaschen" wird, stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus Bestechung oder illegalem Waffen- oder Drogenhandel.

Weiter wies Wehrheim darauf hin, wie unsicher die Geldanlage in solch anonymer "Familienstiftung" sein kann: Weil der Name des (steuerhinterziehenden) Anlegers nirgendwo auftauchen soll, besorgt der (z.B. Liechtensteiner) Rechtsanwalt einen Treuhänder – und kein Dokument in Deutschland (bzw. dem Heimatland des "Stifters") weist auf die Existenz des Kontos hin. Das bekommt ein Codewort. Doch als sich nach dem Ableben eines Stifters seine Witwe mit ebendiesem Codewort an die Liechtensteiner Anwaltskanzlei von Herbert Batliner wandte, hieß es dort "unbekannt". Als die Frau die Kanzlei verlassen hatte, folgte die interne Anweisung zum Umbuchen des Treuhand-Vermögens.

Axel Köhler-Schnura
Axel Köhler-Schnura, Foto: © Peter Menne

Axel Köhler-Schnura gehört zu den Gründern der CBG - Coordination gegen Bayer-Gefahren und wurde schon 1998 für sein dortiges Engagement von BCC ausgezeichnet. Er stellte fünf Thesen zum "Kapital-Verbrechen" auf. Dabei verschaffe sich Kapital zumeist einen legalen Anstrich – wo das nicht reiche, verschaffe es sich die gewünschten staatlichen und medialen Rahmenbedingungen notfalls mit Gewalt.

Köhler-Schnura verwies auf die hohe Konzentration des Kapitals. So steuerten 155 Konzerne laut einer Untersuchung der Uni Zürich die Hälfte des weltweiten Wirtschaftsprozesses. Beim Bayer-Konzern gebe es zwar 350.000 Aktionäre – doch 90 Prozent der Aktien würden von 10 Prozent der Aktionäre gehalten.

Zu den verheerendsten Folgen der Konzentration gehört laut Köhler-Schnura das "too big to fail": Damit werde Managern signalisiert: "Ihr könnt machen was ihr wollt, es passiert euch sowieso nichts!" Egal, welche Skandale Köhler-Schnura auf Hauptversammlungen zur Sprache bringe – es perle an den Vorständen ab. Wenn z.B. Frauen darüber berichten, wie sie mit der Anti-Baby-Pille "Jasmin" knapp am Tod vorbeigeschrammt sind, sei das Maximum, was ein Vorstand herausbringe: "Ich bin persönlich betroffen" – um im nächsten Satz zu behaupten: "Unsere Pillen sind sicher." In den USA wurden Opfer des Jasmin-Präparates inzwischen entschädigt, doch in Europa wurden die Prozesse nicht zugelassen.

Zum Verbrechensbegriff merkte Köhler-Schnura an, dass es zwei Arten gebe: sanktionierte und legalisierte – wobei letztere die Mehrheit bildeten. Z.B. die Klimakatastrophe: Ein Verbrechen – doch wer stehe dafür vor Gericht? Das Gefährden (nicht nur) menschlicher Zukunft sei "ganz legal".

Immer wieder gelingt es, solch ein Verbrechen abzuwenden. So plante der Bayer-Konzern eine Pestizidfabrik in Australien – mitten in einem Naturschutzgebiet. Ein 300-Einwohner-Dorf holte bei der CBG Informationen ein und organisierte dann den Protest. Die australische Regierung wollte das Projekt schließlich über eine Volksabstimmung absichern – die sie dann verlor.

Wolfgang Hetzer
Wolfgang Hetzer, Foto: © Peter Menne

Wolfgang Hetzer, früher leitend im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel tätig, ging der Frage nach, ob die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung ist. Wichtig war ihm die Feststellung, dass die durch die Pleite der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 ausgelöste Bankenkrise noch immer andauere. Die gesamte Finanzbranche werde sich neu sortieren müssen. Allein italienische Banken säßen auf faulen Krediten von 200 Mrd. Euro. Die Risiken der Deutschen Bank stammten jedoch noch aus der Zeit vor der Finanzkrise. Sie sei in 6.000 bis 7.000 Rechtsstreitigkeiten verwickelt, für die sie Risiko-Rückstellungen von 34 Mrd. Euro gebildet habe.

Der frühere Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann hatte mal ein Renditeziel von 25 Prozent ausgegeben. Das würde heute eine Sonderprüfung provozieren – denn Aufseher befürchten dann heute zu riskante Geschäfte. Hetzer zitierte Befürchtungen, dass die Deutsche Bank den Wandel verschlafen habe: Im Investment-Banking ist sie weiter aktiv, obwohl es da jetzt weniger zu holen gebe. Mit welchem Geschäftsfeld die Bank Geld verdienen könne, sei noch immer unbeantwortet. Im letzten Jahr mußte sie einen Rekordverlust von 6,7 Mrd. Euro vermelden und auch 2016 deute alles auf ein Minus hin. Während die Commerzbank auf dem Höhepunkt der Finanzkrise noch durch staatliche Unterstützung gerettet wurde, sei das heute nicht mehr zulässig: die EU verabschiedete neue Regeln zur Bankenrettung. Der Staat dürfe nur noch eingreifen, wenn sich sich auch Großkunden, Aktionäre und Gläubiger mit mind. 8 Prozent beteiligen.

Auf Hetzers detailreichen Vortrag folgte eine rege Diskussion mit allen Referenten. Zum Schluß sorgte Erich Schaffner mit seiner Rezitation einschlägiger literarischer Texte für einen Mut machenden Ausklang.