Rezension

Krise des gemäßigten Konservatismus

Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher blickt in seinem Buch "Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus" auf die im Untertitel angesprochene Entwicklung in Frankreich, Großbritannien und Italien, gegen Ende dann auch kurz in Deutschland. Ebenso weitschweifig wie verständlich werden die entsprechenden Dynamiken anregend dargestellt und differenziert erörtert, eine konzentriertere und kürzere Präsentation wäre dabei aber wünschenswert gewesen.

Blickt man auf die Parteiensysteme in den westlichen Demokratien, so lässt sich dort bereits länger eine Krise der sozialdemokratischen Formationen beobachten. Das einfachste Erkennungszeichen dafür ist die sinkende Wählerzustimmung. Dass es sich ebenso mit den liberal-konservativen Parteien verhält, hat man in Deutschland noch nicht so richtig wahrgenommen. Denn die CDU führt eindeutig in der Wählergunst, blickt man auf die Sonntagsfrage in aktuellen Umfragen. Man muss aber gar nicht weit über Landesgrenzen hinaussehen, um eben massive Krisenentwicklungen im gemäßigten Konservativismus auszumachen. Allein Frankreich und Italien zeigen dies. Gleiches gilt für Thomas Biebricher auch für Großbritannien, wo die Regierung immer noch von den allerdings krisengeschüttelten Tories gestellt wird. Wie sich diese Entwicklung erklärt, will der Genannte untersuchen. Biebricher ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Universität Frankfurt. Sein Buch zum Thema trägt den Titel: "Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus".

Beispielbild

Es handelt sich um einen voluminösen Band von über 600 Seiten, worin alles lang ausgeführt wird. Das beginnt bereits mit der Einleitung von fast 70 Seiten. Ebendort klärt der Autor aber wichtige Fragen, wozu auch gehört: Was sind eigentlich die Besonderheiten des Konservativismus, bezogen sowohl auf die Einstellung ("normative Natürlichkeit") wie die Praxis ("Verteidigung des Vergehenden"). Damit grenzt Biebricher die angesprochenen Gemäßigten von autoritär-konservativen wie individualistisch-liberalen Kräften ab. Gemeint ist ein gemäßigter Konservativismus, der sich in parteipolitischer Form organisiert hat und eben in eine Krise geraten ist. Die damit angesprochenen "Krisendynamiken der rechten Mitte" sollen dann hinsichtlich bestimmter Muster analysiert und identifiziert werden. Die damit einhergehenden Betrachtungen zu methodischen Fragen werden gut verständlich vorgetragen, formuliert Biebricher doch in diesem Buch nicht in typischem Politologendeutsch. Seine dortigen Formulierungen, eben auch zur Definition des Konservativismus, verdienen dabei auch grundsätzliches Interesse.

Dem folgen dann die Fallstudien zu einzelnen Ländern, wobei ausführlich die Entwicklung in Frankreich, Großbritannien und Italien thematisiert wird. Die Darstellungen setzten jeweils zu Beginn der 1990er Jahre ein und enden in der Gegenwart. Dabei verliert der Autor aber häufig den Faden seines eigentlichen Erkenntnisinteresses, reiht er doch Beschreibung an Beschreibung zu den gemeinten Ereignissen aneinander. Das liest sich dann häufig wie ein Geschichtsbuch, nicht wie eine Problemerörterung. Zwar findet man immer wieder einschlägig bedeutsame Anmerkungen, sie gehen aber zunächst in den Detaildarstellungen unter. Die wohl einmal dialektisch gemeinte alte Weisheit, dass weniger manchmal mehr ist, trifft auch auf diese Kapitel zu. Gleichwohl erhält man hier ausführliche Informationen über die seinerzeitigen Entwicklungen in den genannten Ländern. Auch geht der Autor auf die andernorts als rechtspopulistisch geltenden Konkurrenzparteien der gemäßigten Konservativen in Frankreich und Italien ein, womit deren Entwicklung in einem breiteren Kontext auf unterschiedlichen Ebenen ein Thema ist.

Mehr analytisch wird der Autor dann wieder in der ebenfalls mit über 50 Seiten sehr lang geratenen Zusammenfassung. Damit ist übrigens der Erkenntniswert stärker durch die Einleitung und eben den Schlussteil als durch die drei Hauptkapitel gegeben. Denn erst in diesen Passagen wird ein analytischer Vergleich vorgenommen. Dabei macht Biebericher darauf aufmerksam, dass seine ursprüngliche Hypothese, wonach die gemäßigten Konservativen zwischen ihrer autoritären und liberalen Konkurrenz zerrieben würden, so allein nicht zutreffend sein kann. Er nimmt weitere Betrachtungen vor, wobei es um die Ebenen Parteien, Personen, Feindbilder, Europa und Kulturkämpfe geht. Und erst danach fällt sein Blick auf die CDU und Deutschland. Aus den unterschiedlichsten Gründen hätte der Autor beidem größere Aufmerksamkeit widmen können, passen doch manche Erkenntnisse auch zur deutschen Situation, aber eben andere nicht unbedingt. Die fehlende Klarheit mag aber mehr durch die Sache und weniger durch den Verfasser bedingt sein. Insgesamt handelt es sich um ein anregendes Buch, das aber konzentrierter und kürzer hätte sein können.

Unterstützen Sie uns bei Steady!