Rezension

Wer Memoiren verfasst, will im Gedächtnis bleiben

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Obama während seiner Rede vor der Siegessäule in Berlin im Juli 2008
Obama während seiner Rede vor der Siegessäule in Berlin im Juli 2008

Los Angeles, 9. Oktober 2000, Parteitag der Demokraten; der junge Senator Barack Obama aus Illinois wird nicht eingelassen, weil seine Personalien den Security-Leuten verdächtig vorkommen – verbittert nimmt er das nächste Taxi zurück zum Flughafen. Eine Anekdote, die sich wie folgt fortsetzt: Vier Jahre später, beim nächsten Parteitag, hält der damals Abgewiesene eine historische Grundsatzrede, die ihn an die Spitze seiner Partei und weitere vier Jahre später als ersten Afroamerikaner ins Weiße Haus bringt.

Wer Memoiren verfasst, will im Gedächtnis bleiben und dabei auch mitbestimmen, wie er wahrgenommen werden möchte. So auch Barack Obama, der im vorliegenden ersten Teil seiner Autobiografie, die 1.024 Seiten umfasst, seinen Werdegang von frühester Jugend bis einschließlich der ersten drei Jahre als Präsident der Vereinigten Staaten im Weißen Haus beschreibt: Sehr ausführlich, sehr gekonnt, sehr authentisch, dazu fesselnd literarisch. In erster Linie als persönliche Schilderung der Ereignisse, in zweiter auch als Rechtfertigung der eigenen Handlungen, Entscheidungen und Unterlassungen. Er führt, oftmals garniert mit humorvollen Kommentaren und emotionalen Erzählungen, erstaunlich intim durch sein privates Leben in und abseits der Präsidentschaft und schildert dabei, ebenfalls erstaunlich offen und sehr ausführlich, nicht nur seine Gedanken und Wertvorstellungen, sondern auch die ihn immer wieder heimsuchenden Selbstzweifel in kritischen Situationen und vor schwierigen Entscheidungen.

Man lernt in diesem Buch sehr viel über das Amt des "mächtigsten Mannes der Welt" und über den Menschen, der dahintersteht. Mit all den Zwängen und Entscheidungsnotwendigkeiten, denen er – sehr oft entgegen eigenen Wünschen und Vorhaben – ausgesetzt ist; am Beispiel Terrorbekämpfung in Afghanistan und im Irak wird dies besonders deutlich. Obwohl Obama im Vorwort des Buches meint, dass das Land am Ende seiner Präsidentschaft besser als vor seiner Amtsübernahme dagestanden habe, räumt er selbstkritisch ein, dass er mit vielen seiner geplanten Vorhaben, wie auch mit seinem zentralen Wahlversprechen von "Change", als geplantem Wandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft, letztlich nicht durchgedrungen ist.

Cover

Obamas Regierungszeit war davon gekennzeichnet, dass ihm von Anfang an eine gnadenlose, extrem gehässige Opposition gegenüberstand, die nicht davor zurückschreckte, ihn mit Hilfe feindlich gesinnter Massenmedien (zum Beispiel Fox News) persönlich zu diffamieren und beispielsweise auch mit "er ist kein Amerikaner" zu verleumden. Auch wurde er immer wieder als entscheidungsunfähig dargestellt, wobei man gleichzeitig alles erdenklich Mögliche unternahm, seine Pläne und Vorhaben mit populistischer Propaganda zu verunglimpfen und mittels juristischer und politischer Blockaden zu verhindern beziehungsweise zu verzögern.

Es würde den Umfang dieser Besprechung bei weitem sprengen, auch nur ansatzweise die im Buch beschriebenen Vorgänge darzustellen. Der auf Obama ständig ausgeübte Druck von Partnern und Verbündeten, in diverse Krisen militärisch einzugreifen und die von ihm selbst gefühlte Verpflichtung, kriegerischen Entwicklungen, bis hin zur Verhinderung von Genoziden, militärisch zu begegnen, bestimmten seine außenpolitische Agenda. Die dabei erlittenen Niederlagen sowie auch die zahlreichen vergeblichen Versuche, Eskalationen zu befrieden und militärische Einsätze zu vermeiden beziehungsweise zu beenden, führten zu großen persönlichen Enttäuschungen (und negativen Reaktionen der Bevölkerung), die seine Amtszeit mehr und mehr zu überschatten begannen.

Das Buch liest sich flüssig und spannend (als Hörbuch wird es auch in Originalsprache von Obama selbst vorgetragen), die Beschreibung bedeutsamer Begebenheiten und dramatischer Vorfälle, aber auch von Obamas kritischen Reflexionen zur eigenen Rolle im oft desillusionierenden Geschehen besitzt literarisches Niveau. Man lernt in diesem Buch sehr viel über die USA – auch auf der Kommunal- und Senatsebene – und deren Weltpolitik und versteht – ohne sie deswegen alle gutzuheißen – manche Vorgänge, die von auch wohlwollend Außenstehenden oftmals als sehr negativ und kontraproduktiv wahrgenommen wurden beziehungsweise werden. Viele seiner Schilderungen, zum Beispiel von Begegnungen mit Politiker-Eliten der ganzen Welt und die Beurteilung einzelner dieser Persönlichkeiten (zum Beispiel von Angela Merkel) sind nicht nur sehr informativ, sondern besitzen auch hohen Unterhaltungswert.

Leider verliert sich der Text manchmal all zu sehr in Details und Nebenschauplätzen und ermüdet mit der Nennung zahlreicher Namen, eine deutliche Kürzung und Beschränkung auf die allerwichtigsten Ereignisse und Akteure hätte ihm gut getan. Trotz dieses Vorbehalts bietet das Buch neben tiefen Einblicken in das Leben einer besonderen Persönlichkeit zeitgeschichtlich und politikwissenschaftlich Interessierten sehr informative Lektüre durch eine große Fülle an Einsichten, Hintergrundinformationen und einen aus "Obama-naher" Sicht spannenden Blick auf die Welt. Es vermittelt Lesevergnügen und Wissensgewinn, die den für 1.000 Seiten notwendigen Zeitaufwand "lohnen".

Barack Obama: Ein verheißenes Land, © Penguin Verlag, 2020, ISBN 978-3328600626, 1.024 Seiten, 42 Euro

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