Möglicherweise wird die Internationale Union der Geowissenschaften schon im August 2024 verkünden, dass wir uns nicht mehr im "Holozän", der seit 11.000 Jahren bestehenden "Warmzeit innerhalb der aktuellen Eiszeit", befinden, sondern im "Anthropozän", dem "geologischen Zeitalter des Menschen". Damit wäre offiziell bestätigt, dass nicht nur für die Menschheit, sondern für die gesamte Erde ein neues Zeitalter begonnen hat.
"Die Menschheit im Anthropozän" lautet denn auch das Schwerpunktthema 2024 der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), das gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon in seiner gerade veröffentlichten "virtuellen Neujahrsansprache" vorstellt. Geprägt wurde der Begriff "Anthropozän" Anfang der 2000er Jahre von dem niederländischen Meteorologen Paul Crutzen – und er fand schnell Verbreitung. Denn Paul Crutzen war nicht irgendwer. Er galt als "Retter der Ozonschicht", der wissenschaftlich mitaufgedeckt hat, dass Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) die Ozonschicht in der Stratosphäre zerstören, wofür er 1995 den Chemie-Nobelpreis erhielt. Crutzen war auch maßgeblich daran beteiligt, dass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, um das "Ozonloch" wieder zu schließen, was schwerwiegende Schädigungen der menschlichen Gesundheit und gravierende Mutationen in der Biosphäre verhindert hat.
Text & Moderation: Michael Schmidt-Salomon / Regie, Kamera & Schnitt: Ricarda Hinz
In der öffentlichen Debatte wird das Wort "Anthropozän" heute meist in einem rein negativen Sinne verwendet, so dass das "Zeitalter des Menschen" gewissermaßen als "Vorbote eines drohenden Weltuntergangs" erscheint. Aber so war der Begriff von Paul Crutzen gar nicht gemeint, wie Schmidt-Salomon im Video ausführt: "Dem niederländischen Nobelpreisträger ging es nicht darum, das Anthropozän zu überwinden, also den Einfluss des Menschen auf das Erdsystem prinzipiell zu reduzieren. Sein Ziel bestand vielmehr darin, das 'schlechte' Anthropozän, in dem wir ohne Sinn und Verstand auf die Natur einwirken, durch ein 'gutes' Anthropozän zu ersetzen, in dem die Menschheit ihrer planetaren Verantwortung gerecht wird."
"Das Anthropozän mit dem Besten anreichern, was die Menschheit hervorgebracht hat"
Paul Crutzen hoffte darauf, dass die Menschheit "noch viele Jahrtausende, vielleicht Millionen von Jahren, eine bedeutende geologische Kraft bleiben" wird, da er nicht nur die anthropogenen, also menschengemachten Veränderungen im Erdsystem fokussierte, sondern auch die natürlichen Bedrohungen, denen wir auf einem instabilen, von Plattentektonik bestimmten Planeten zwangsläufig ausgesetzt sind, etwa den Ausbruch von Supervulkanen, die zu einer globalen Klimakatastrophe (einem "Vulkanischen Winter") führen würden, bei der die Temperaturen um mehrere Grad nach unten stürzen.
"Es reicht leider nicht aus, uns bloß neutral zum Erdsystem zu verhalten, da auch dies über kurz oder lang zu Katastrophen führen würde. Es muss uns vielmehr darum gehen, das für uns so angenehme, erdgeschichtlich aber höchst seltene Klima einer 'Warmzeit innerhalb einer Eiszeit' nicht nur gegen anthropogene, sondern auch gegen natürliche Störfaktoren zu verteidigen", erklärt Schmidt-Salomon. "Hierfür allerdings müssten wir das Anthropozän mit dem Besten anreichern, was die Menschheit hervorgebracht hat – nicht mit Plastikmüll, Umweltgiften und lebensfeindlichen Ideologien, sondern mit den großen Errungenschaften der Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Nur auf diese Weise können wir einen 'positiven Fußabdruck' in der Welt hinterlassen und als 'Treuhänder unserer eigenen und der planetarischen evolutionären Zukunft' wirken, wie es Julian Huxley, der Begründer des evolutionären Humanismus, bereits vor einem halben Jahrhundert gefordert hat."
Erstveröffentlichung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung.