BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Jan Werner Müller will in seinem Buch "Was ist Populismus?" die selbstgestellte Frage mit dem Hinweis auf die Kombination von einem antielitären und einem antipluralistischen Politikverständnis beantworten. Damit bereichert er die Debatte um ein immer noch nicht geklärtes Verständnis, ist aber entsprechend des Untertitels "Ein Essay" dabei mitunter etwas fragmentarisch und unsystematisch unterwegs.
Ist "Populismus" auch eine analytische Kategorie oder nur ein politisches Schlagwort? Diese Frage darf angesichts begrifflicher Unklarheiten und Unschärfen nicht nur im politischen, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs gestellt werden. Denn mit eine gewissen Berechtigung formulierte der US-Historiker Richard Hofstadter einmal: "Jeder spricht über Populismus, aber niemand kann ihn definieren".
Dies hat sich Jan Werner Müller, der Politische Theorie und Ideengeschichte an der Princeton University lehrt, in seinem Buch "Was ist Populismus? Ein Essay" vorgenommen. Darin will der Autor in eigenen Worten "grundsätzlicher fragen, was Populismus eigentlich ist (oder, anders ausgedrückt: wer wirklich ein Populist ist) und worin das ... so dringende 'Problem' des Populismus denn eigentlich genau besteht" (S. 11). Es gehe ihm dabei, so Müller weiter, um "eine kritische Theorie des Populismus", die "ohne eine demokratietheoretische Rückversicherung" (S. 13) nicht zu haben sei. Demnach geht es auch um das Demokratie-Populismus-Verhältnis.
Am Beginn stehen Erörterungen mit bisherigen Begriffsbestimmungen, die einer kritischen Betrachtung hinsichtlich der Bezugsebenen und Trennschärfen ausgesetzt werden. Danach präsentiert der Autor seine eigene Definition: "Populismus ... ist eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen – wobei diese Art von Eliten eigentlich gar nicht wirklich zum Volk gehören" (S. 42) Und weiter heißt es: "Hinzu kommen muss noch der dezidiert moralische Anspruch, dass einzig die Populisten das wahre Volk vertreten; alle anderen vermeintlichen Repräsentanten der Bürger seien auf die eine oder andere Art illegitim" (S. 44).
Demnach sieht Müller in der antielitären und der antipluralistischen Dimension in Kombination miteinander die herausragenden Kriterien zur Populismus-Bestimmung. Es gehe demnach nicht um eine Ideologie, sondern um ein Politikverständnis. Nicht alle als populistisch geltenden Bestrebungen seien daher auch populistisch.
Danach konzentriert Müller sich auf die populistische Praxis, wobei eine Fixierung auf die Funktion als Herrschaftsinstrument erfolgt. Er nennt hierbei "die Vereinnahmung des gesamten Staates; Loyalitätsbeschaffung durch Massenklientelismus; Unterdrückung der Zivilgesellschaft und, wenn möglich, der Medien" (S. 70).
Kritisch angemerkt werden darf, dass dem Populismus als Oppositionsbewegung keine nähere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Darüber hinaus wären auch Ausführungen zur Interaktion von populistischem Akteur und seinem Publikum wünschenswert gewesen. Und schließlich fragt der Autor nach angemessenen Gegenstrategien, wobei sowohl die Ausgrenzung wie Gesprächsverweigerung kritisch kommentiert werden. Er formuliert auch Einwände gegen die Forderung nach einem "Linkspopulismus", denn: "Ein Europa, in dem sich Rechts- und Linkspopulisten bewaffnet mit ihrem jeweiligen 'Volks'-Entwurf gegenüberstehen und sich im Zweifelsfall gegenseitig die politische Legitimität absprechen, ist eine Horrorvision" (S. 123).
Müllers Ausführungen, die auch mit "Ein Essay" im Untertitel benannt wurden, gingen aus Vorträgen hervor. Dies erklärt die angenehme Lockerheit der Schreibe, aber auch das gelegentliche Fehlen von Systematik.
Während bei der Definitionsfrage ganz wichtige Anregungen für eine Kombination von antielitären und antipluralistischen Merkmalen vorgetragen werden, fehlt diese Klarheit und Stringenz mitunter bei den Erörterungen zu den Gegenstrategien und zur Praxis. Gleichwohl können auch die Betrachtungen zum "demokratischen Umgang mit Populisten" (S. 91) im reflektierenden Sinne mit Gewinn gelesen werden. Dies gilt in weit höherem Maße für die Ausführungen zur Definition, wobei dieser bei Müller auch eine demokratietheoretische Komponente zugrunde liegt. Hierbei beweist der Autor großes Differenzierungsvermögen. Allein schon bei der Unterscheidung der Parolen "Wir sind das Volk" und "Wir sind auch das Volk" wird dies deutlich. Es ist noch nicht das Buch zum Populismus, aber ein Schritt auf dem Weg dorthin.
Jan Werner Müller, Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016 (Suhrkamp), kart., 160 S., ISBN: 978-3-518-07522-7, 15,00 Euro