Das Drama einer privaten Sorgerechtsauseinandersetzung wird in Malaysia durch die Konversion minderjähriger Kinder zum Konflikt der Ethnien. Loh Siew Hong, eine Frau chinesisch-indischer Abstammung und praktizierende Hindu, durchlebte über drei Jahre die Qualen der Suche nach ihren drei Kindern, die ihr gewalttätiger Ex-Mann entführte und vor ihr versteckte. Mit der Hilfe von Sozialen Medien und Online-Communities gelang es ihr, die Kinder wiederzufinden. Die Freude ist groß, aber der Kindesvater ist inzwischen mit den Kindern zum Islam konvertiert, damit die Mutter das bereits gerichtlich zugesprochene Sorgerecht nicht ausüben kann. Diese kämpft nun vor Gericht gegen die Konversion ihrer Kinder, die ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung stattfand. Eine religiös aufgeheizte Atmosphäre begleitet diesen Rechtsstreit, der in erster Instanz die Rechtmäßigkeit des Religionswechsels zum Islam bereits bestätigte.
Aktuell befinden sich die Kinder – ein Junge und Zwillingsmädchen, die mittlerweile zwischen 11 und 15 Jahre alt sind – auf Grund früherer Gerichtsbeschlüsse bei der Mutter. Bereits im Jahr 2019 hatte Loh Siew Hong vorübergehend das Sorgerecht erhalten, nach der Scheidung wurde ihr das endgültige Sorgerecht zugesprochen. Jedoch verschleppte der Vater 2020 die Kinder, während Loh Siew Hong im Krankenhaus lag. Er konvertierte im malaysischen Bundesstaat Perlis mit den Kindern zum Islam. Dann verschwand er, einige Kommentatoren wollen wissen, er sei wegen Drogendelikten inhaftiert worden. Die Kinder wurden in die Obhut einer muslimischen Wohlfahrtseinrichtung übergeben. Diese verweigerte die Herausgabe der Kinder an eine hinduistische Mutter. Loh Siew Hong wandte sich erneut an das Gericht. Wegen der bereits vorliegenden Sorgerechtsbeschlüsse entschied der Oberste Gerichtshof in einer Habeas-Corpus-Verfügung (also ohne auf die Religionszugehörigkeit der Kinder und der Mutter einzugehen), dass die Kinder aufgrund der mutmaßlich unrechtmäßigen Festhaltung umgehend freigelassen werden müssen. Nach drei Jahren war Loh Siew Hong wieder mit ihren Kindern vereint.
Doch die Mutter könnte womöglich nur einen Etappensieg erzielt haben und das Sorgerecht wieder verlieren. In Malaysia ist es Nicht-Muslimen verboten, muslimische Kinder ohne eigene Konversion zu erziehen. Um sicherzugehen, die Kinder auch als gläubige Hindu behalten zu dürfen, musste Loh Siew Hong ein weiteres Mal das Gericht anrufen. Jetzt bekämpft sie die Konvertierung ihrer Kinder zum Islam, die der Kindesvater ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung erwirkt hatte. Im Mai dieses Jahres entschied das erstinstanzliche Gericht aber gegen sie, der Fall befindet sich derzeit in der Berufung.
Das erstinstanzliche Urteil reflektiert die aktuelle Stimmung im Land: "Die religiösen Autoritäten sind der Meinung, dass sie durch ein Nachgeben gegenüber Frau Loh die Macht des Islam opfern. Es ist nur ein Kampf der Egos", sagt der Anwalt von Loh Siew Hong. Eine Sprecherin der NGO Sisters in Islam, die sich um eine feministischere Interpretation des Islam bemüht, bestätigt: "Es geht darum, wie der Islam um jeden Preis geschützt werden muss".1
Vom privaten Streit zum nationalen Konflikt
Was einst als privater Streit um das Sorgerecht begann, hat sich zu einem nationalen Konflikt entwickelt, der tiefe Gräben zwischen den Ethnien offenlegt. Loh Siew Hong wird von vielen Malayen dafür angefeindet, dass die Mädchen keinen tudung, ein malaysisches Kopftuch, tragen und man beschuldigt sie, den muslimischen Kindern ihren Glauben wegzunehmen.
Der Fall wirft ein Licht auf die tief verwurzelte Bedeutung des Islam in Malaysia. Er bildet nach der Verfassung die Staatsreligion und die konstitutionelle Monarchie gehört zu jenen wenigen Ländern dieser Welt, die den "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte", dessen Artikel 18 jedem Menschen die Religionsfreiheit gewährleistet und Diskriminierungen verbietet, niemals ratifiziert haben. Das Rechtssystem Malaysias ist ein duales, in dem islamische und weltliche Gerichtshöfe parallel operieren. Muslime unterliegen somit neben einer weltlichen Gerichtsbarkeit auch der Scharia-Gerichtsbarkeit. Religiöse Minderheiten werden in Malaysia offen diskriminiert, etwa in der Möglichkeit, im öffentlichen Dienst Karriere zu machen. Vor allem ist aber der Druck der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in diesem 34-Millionen-Einwohner-Land auf andere Ethnien und Religionszugehörige groß. Die Malayen bilden die größte Bevölkerungsgruppe und sie sind ausschließlich Sunniten. Ausgelöst durch verschiedene ethnische und soziale Konflikte, vor allem mit den wirtschaftlich überrepräsentierten Chinesen, setzte in den 1970er Jahren als Reaktion auf die Unruhen eine Islamisierungswelle ein, die aus einer ehemals liberalen eine orthodox-islamische Gesellschaft formte.
So überrascht es nicht, dass sich der Mufti von Perlis öffentlich äußerte und die einseitige Konversion und die Ausstellung einer formellen Konvertierungsbescheinigung mit dem Landesgesetz des Bundesstaates rechtfertigte.2 Eben auf diese Konvertierungsbescheinigung stellte der erstinstanzliche Richter ab und sah in ihr einen "schlüssigen Beweis" für die Konversion, die fehlende Zustimmung der Mutter ignorierte er.
Aber es besteht noch Hoffnung für Loh Siew Hong und ihre Kinder. Prof. Dr. Ramasamy, ein Politikwissenschaftler und erfahrener Politiker, stuft in einem langen Facebook-Eintrag die Konvertierung der drei Kinder nur mit Zustimmung des Vaters als rechtswidrig ein. Er kann sich auf einen Präzedenzfall stützen, bei dem das malaysische Bundesgericht eine einseitige Konvertierung minderjähriger Kinder als mit der malaysischen Verfassung unvereinbar erkannte. Für Ramasamy steht daher zweifelsfrei fest, dass das Landesgesetz von Perlis in diesem Punkt verfassungswidrig ist.
Wie auch immer der Rechtsstreit ausgehen wird, die Differenzen zwischen den Ethnien spitzen sich in Malaysia weiter zu. Ob die Religionszugehörigkeit und die damit verbundenen Abgrenzungen die Ursache oder bloß eine Folge der interkulturellen Kluft zwischen den Volksgruppen Malaysias ist, lässt sich wohl nicht mehr sagen. Der Fall Loh Siew Hong zeigt aber, wie wichtig es ist, sich für einen verfassungsrechtlich abgesicherten säkularen Staat einzusetzen. Nur wenn sich Religionen mit ihren Themen nicht in staatliche Belange einmischen können und sich der Staat gegenüber allen Religionen und Konfessionslosen neutral verhält, können ungerechte Gesetze wie das religiös geformte Sorgerecht Malaysias auf Dauer verhindert werden.
Hinweis der Redaktion: Das erste Zitat im dritten Absatz wurde am 21.08.2023 um 16:30 Uhr durch eine präzisere Übersetzungsversion ersetzt.
1"In Malaysia, a mom is contesting her kids' conversion to Islam. It's a landmark case", von Emily Feng am 18.07.2023 in: npr.
2"Perlis mufti says children's unilateral conversion is legal in the state", Artikel vom 18.02.2022 in: The Borneo Post.
4 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Wo der Islam Macht hat, zeigt er seine wahre Intoleranz. Deswegen ist es wichtig, dass er hier keine Macht bekommt.
A.S. am Permanenter Link
Wieder einmal: Bei Religion geht es um Macht, nicht das Wohl der Menschen.
David Z am Permanenter Link
Erneut ein Beispiel dafür, dass gesellschaftliche Diversität mitnichten stets etwas gesellschaftlich positives darstellt.
Ich weiss, das hört man bei uns im Westen ungern, weil Diversität und Vielfalt inzwischen schon fast religiöses Dogma geworden ist. Aber wir sehen anhand vieler historischer oder kontemporärer Beispiele, dass heterogene Gesellschaften stets mit Problemen und Spannungen behaftet sind, die homogene Gesellschaften nicht oder weniger aufweisen. Diese Erkenntnis ist eigentlich auch keine Raketenwissenschaft.
Ich habe Bekannte in MY, chinesischer Abstammung. Sehr aufschlussreich, was die so über die malayischen Gesellschaftsprobleme erzählen.
Unechter Pole am Permanenter Link
Es gab auch in Deutschland (vor zehn Jahren erst!) einen Gerichtsurteil (OLG Köln, Az.