Zum Welttag der Biene

Die Säkularisierung der Biene

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Die Biene – Projektionsfläche für viele Weltanschauungen

Die Kulturgeschichte der Menschheit ist eng mit der Biene verknüpft. Als Lieferantin für Honig, Met und Wachs wurde sie gepriesen, für ihre Staatenbildung und Blütenbestäubung verehrt und wegen ihres Giftes gefürchtet. Das kleine Tier ist seit jeher eine riesige Projektionsfläche für Religion, Politik und sogar Sexualmoral. Ihre Entmystifizierung durch die Forschung war vielen religiösen Anfeindungen ausgesetzt.

Die Biene als Bote des Lichts, der Liebe und des ewigen Lebens

Dass das Ernten von Bienenwaben durch den Menschen seit tausenden Jahren praktiziert wird, ist dank Höhlenmalereien aus der Steinzeit lange belegt. Die Spuren der Verbindung zwischen Mensch und Biene finden sich in nahezu allen Religionen. Honig galt sowohl bei den Germanen (Met) als auch bei den Ägyptern, Hindus und Griechen als Speise der Götter und als wichtiges Heilmittel. Nur durch das Wachs konnte der Leichenverschluss bei der Mumifizierung vollzogen werden, wodurch sie den alten Ägyptern das ewige Leben garantierte.

Für die Hindus galt die Biene als Inkarnation Vishnus und Liebesbote: nach einem Brauch streichen sich hinduistische Frauen vor der Hochzeitsnacht Honig auf Mund und Schamlippen. Eine an einer Vulva ruhende Biene gilt als Symbol der Fruchtbarkeit. Als Quelle für Kerzenwachs spendete sie Licht –  für die mittelalterlichen katholischen Klöster das Symbol Gottes. Die Bedeutung der Biene für die religiöse Welt spiegelte sich in ihrer Vereinnahmung durch eben jene wider. Die Biene wurde vergöttlicht und sakralisiert. Die Bienenzucht und die mit ihr verbundene Bienenerforschung wurden somit zunächst in religiösen Stätten betrieben.

Die Erforschung der Biene – Ein Angriff auf das christlich begründete Patriarchat

Der Fleiß der Bienen wurde sprichwörtlich: Ambrosius sagte, man solle dem Beispiel der Biene in ihrer Arbeitsamkeit nachgehen. Zwei andere der vier Kirchenväter, Augustinus und Hieronymus, sahen im Bienenstock das perfekte Vorbild klösterlichen Lebens. Mehr noch: laut Gregor von Nazianz, der das frühe Christentum entscheidend prägte, war Maria der Bienenstock, die heilige Schrift verglich er mit einer Wabe voll Honig und Jesus beschrieb er als eine jungfräulich gezeugte Biene.

Besonders das Sexualverhalten der Biene wurde fromm-christlich interpretiert, da deren Fortpflanzung lange als Mysterium galt. Bei dieser Symbolkraft war es nicht verwunderlich, dass die Kirche in der Forschungsgeschichte der Biene mit Beißreflexen reagierte, sobald wissenschaftliche Erkenntnisse eine Entmystifizierung vorantrieben.

Nicht zuletzt weil die Wehrhaftigkeit der Biene in der Bibel bezeugt wurde (In Dtn 1,44 wird ein angreifendes Heer mit einem Bienenschwarm verglichen), galt die Biene gemeinhin als männlich. Ein Bienenkönig der seine Arbeiter und Soldaten streng hierarchisch befehligte, war die gottgewollte Ordnung. Darüber hinaus rechtfertigte das Christentum die Gesellschaftsordnung unter anderem damit, dass Gott bei den Bienen die gleichen Gesetze anzuwenden schien wie bei den Menschen.

Doch mit der Erfindung des Mikroskops schien diese Wahrheit ins Wanken zu geraten. Die Biene war das erste mikroskopierte Tier und bald entdeckte der Biologie Jan Swammerdam die Genitalien der Biene. Es waren Frauen – fast alle! Einzig die faulen, gefräßigen Drohnen, die man bis dahin für die Weibchen hielt, waren Männer – ein PR-Disaster für die Kirche, die die Erkenntnisse abstritt oder diskreditierte. Es half nichts: Die Biene als Symbol Gottes mit all ihren männlichen Attributen, die in sie hineingedeutet wurden, war von nun an weiblich.

Von Bienchen und Blümchen zum Gangbang mit Todesfolge

Die christliche Aufladung der Biene als Sinnbild für Reinheit, Tugend, Jungfräulichkeit und Fleiß erodierte mit jedem Erkenntnissprung weiter. Dabei waren es ironischerweise oft gläubige Christen und zum Teil Mönche, die die Bienenerforschung voranbrachten. Das Imkerwesen wurde nämlich in der Frühen Neuzeit nach wie vor besonders in Klöstern betrieben.

Anton Janscha, Johann Dzierzon und Franz Ruttner beleuchteten im 18., 19. und 20. Jahrhundert das Paarungsverhalten der Biene, das bis dato völlig unklar war und stellten Erstaunliches und Erschreckendes fest. Die Drohnen, einzig als Spermalieferanten zu gebrauchen, entstehen durch Parthenogenese, Jungfernzeugung. Eine Erkenntnis, die dem Mönch Gregor Mendel bei der Arbeit zu den Vererbungsregeln half und zusätzliche Argumentationsgrundlagen für die Evolutionstheorie bot.

Direkt nach dem Schlüpfen begeht die künftige Königin Schwesternmord, um sich dann mit mehreren Drohnen zu paaren. Die Männchen sterben direkt beim Akt, da ihr Endophallus im Hinterleib der Königin stecken bleibt und ihre Eingeweide herausgerissen werden. Die Königin wiederholt die Paarung mit sechs bis zehn Drohnen, bis ihr Spermavorrat gefüllt ist. Der Bienensex gehört zu den brutalsten des Tierreichs.

Die Erkenntnisse wurden von der katholischen Kirche – obwohl zum Teil im eigenen Hause entstanden – bezweifelt und verurteilt. In der Geschichte der Naturwissenschaften bekanntlich keine Ausnahme: Carl von Linné, selbst gläubiger Christ, systematisierte die Pflanzenwelt über die Blüten, also ihre Sexualorgane. Dass mehrere Staubblätter und Stempel, also Männer und Frauen sich "ein Bett [gemeint Blüte]" teilten, war der katholischen Kirche zu viel. Linnés Werk landete auf dem päpstlichen Index und wurde verboten.

Die Säkularisierung der Biene bedeutete nicht ihre Entmystifizierung

Der Bienenstock galt selbst vor dem Hintergrund evolutionärer Erkenntnisse als Vorbild für ein utopisches Zusammenleben. Schon die Imkersprache ist politisiert: Es wird von Staat, Königin, Arbeiterin und Soldatin gesprochen. Der Philosoph Francis Bacon sah im schöpferischen Tun der Biene das Vorbild zur induktiven Methode im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Bernard Mandeville argumentierte mit seiner Bienenfabel, dass nicht Tugend sondern Laster die Gesellschaft voranbringe.

Menschen im 20. Jahrhundert hörten nicht auf die Biene zur Rechtfertigung ihrer Weltanschauung zu anthromorphisieren und zu vereinnahmen. Wie beliebig die Interpretationen sind, erkennt man daran, dass die konträr gegenüberstehenden Lager von Monarchisten und Kommunisten beide in den Bienen Vorbild für ihre Staatsordnung sahen. Im Zuge der Emanzipationsbewegung waren die Bienen Symbol für eine matriarchale Utopie. Entsprechend dem ökologisch orientierten Zeitgeist sehen wir heute Bienen auf Wahlplakaten zur Europawahl und dystopische Romane auf den Bestsellerlisten, die von einer Welt ohne die Bestäuber warnen.

Neben der Belastung von Krankheiten, Pestiziden und Parasiten unter denen Apis mellifera* durch den Menschen leidet, muss die Honigbiene die Rolle als Spielball im weltanschaulichen Wettbewerb ertragen. Zum Glück bekommt sie davon nichts mit.


*Der Text bezieht sich vor allem auf die europäische Honigbiene (Apis mellifera), nur eine von über 20.000 Bienenarten.