Ein kleiner Band widmet sich der Beantwortung der großen Fragen des Terrors. Dass der (Angst-)Begriff "Terror" im Titel ohne eine weitere Attribution verwendet wird, ist signifikant, denn es geht den Autoren um die Zusammenhänge von "Staatstyrannei", dem Terror der "strukturellen Gewalt" und dem (islamistischen) Terror. Die Beiträge beleuchten, womit der Terror zusammenhängt und wohin die Bekämpfung des Terrors die Weltgesellschaft geführt hat; sie lassen sich so auch als prägnante Bestandsaufnahme lesen.
Die drei Fragen nach Ursachen, politischem Missbrauch und Überwindung von Terror ziehen sich als roter Faden durch die drei Beiträge der zwei Autoren. Rolf Gössner schreibt in einem ersten Teil über "Angst- statt Sicherheitspolitik" mit dem Untertitel "Aufrüstungs-, Abwehr und Kriegsreflexe angesichts von Terroranschlägen und 'Flüchtlingsflut' – Nichts gelernt in Sachen Flucht- und Terrorursachen". Conrad Schuhler steuert zwei Beiträge bei: "Der Terror und die Verantwortung des Westens" und ein kürzerer Kommentar mit dem Titel "Die Linke, der Terror und die innere Sicherheit". Bei der Suche nach Antworten gibt es in den Beiträgen Überschneidungen und ähnliche Positionen, dennoch setzen sie jeweils eigene Schwerpunkte.
Der erste Beitrag widmet sich so vor allem der Frage nach dem politischen Missbrauch von Terror. Die starke These des Aufsatzes ist, dass im Zuge der deutschen Antiterrorpolitik ein Umbau des Rechtsstaates im Gange ist. Es findet ein mehr oder weniger schleichender Wandel statt, "vom eingehegten demokratischen Rechtsstaat zum bisherige Grenzen überschreitenden Sicherheits- und Präventionsstaat."
Rolf Gössner trägt Elemente dieses Umbaus zusammen, die sonst selten in dieser Klarheit kontextualisiert werden. Dabei geht er unter anderem auf verfassungswidrige Antiterrorgesetze, Einsätze des Militärs im Inneren und die Rolle der Geheimdienste ein. Durch die Zusammenschau unterschiedlicher Aspekte wird die These plausibel und eindrücklich. Im Ganzen ergibt sich ein konkretes Bild des von antimuslimischem Rassismus begleiteten permanenten Ausnahmezustandes, der letztendlich eine Bedrohung für die Verfassung eines freiheitlich demokratischen Staates darstellt. Die sicherheitspolitischen Reaktionen auf den Terror führen auch in Deutschland zu einer innen- wie außenpolitischen Aufrüstung; sie verharren in der Bekämpfung von Symptomen, tragen aber nicht dazu bei, Terrorursachen zu bekämpfen. Deshalb, so sein vorausgestelltes Fazit, ist trotz einer realen Bedrohungslage grundsätzliche Kritik an Geheimdiensten, Sicherheitspolitik und an der herrschenden Art und Weise des Antiterrorkampfs angebracht und notwendig.
Diese Abschnitte gehören sicherlich zu den lesenswertesten des Bandes, denn der beschriebene Umbau ist in der öffentlichen Diskussion in seiner Tragweite noch gar nicht erfasst worden. Gössners Thema ist, abgesehen von kürzeren Verweisen, vor allem die deutsche Innenpolitik. In dieser Beschränkung liegt eine Stärke des Ansatzes, denn er macht eine sicherlich global zu beobachtende Malaise des "Kampf gegen den Terror" an konkreten Beispielen deutlich. Der zweite Beitrag des Bandes holt dagegen weiter aus und eröffnet eine globale Perspektive.
Conrad Schuhler legt seinen Schwerpunkt auf die Suche nach den wahren Ursachen des Terrorismus. Er sieht die Ursachen des Terrors in der westlichen Politik, die durch kriegerische Interventionen, globale Ausbeutung und neokoloniale Ambitionen zur Produktion des terroristischen Nachwuchses beiträgt. Dies ist in seiner Gesamtschau eine Form der "strukturellen Gewalt", die von einem mit der Chiffre "der Westen" bezeichneten Akteur ausgeht. Schuhlers Beitrag liefert so auch konsequenterweise eine Ausarbeitung dieses Argumentes, indem er statistisch anschaulich die globalen ökonomischen Ungleichgewichte herausarbeitet. Dies ist besonders beeindruckend, wenn es um Fragen der globalen Ungleichverteilung von Ressourcen geht. Der Islam wird nach dieser Lesart lediglich instrumentalisiert, um sich gegen die "vom Westen" betriebene Globalisierung und die strukturelle Gewalt westlicher Politik zu wehren.
Die zu wenig eingebettete und zu unspezifische Analyse sozial-ökonomischer Bedingungen erweist sich allerdings als Schwachpunkt, der sich durch den Band ziehenden Argumentation. In diesen Passagen wird die Aufzählung eines sicherlich richtig analysierten ökonomischen und politischen Machtungleichgewichtes mit der Analyse von Terrorursachen verwechselt. Hier sollte unterschieden werden, zwischen den für einen Kausalzusammenhang hinreichenden und den notwendigen Bedingungen, denn die geschilderte strukturelle Gewalt führt in den allermeisten Fällen eben nicht zur Herausbildung und Unterstützung religiös-terroristischer Bewegungen. Hier fehlt es etwas an Differenzierung und Trennschärfe der Argumentation, die sich vielleicht aus der Betrachtung der langen nationalen Vorgeschichte(n) des internationalen Terrors ergeben hätte.
So liegen die Stärken von Schuhlers beiden Beiträgen besonders darin, dass er nicht davor zurückscheut, sich aus der Analyse logisch ergebende, aber oftmals tabuisierte Fragen zu stellen. Dies ist einmal die Frage nach der Legitimität des islamistischen Widerstandes und, im letzten Beitrag des Bandes, die Frage nach der Stellung der Linken zur Frage der inneren Sicherheit. Dass diese Fragen, die sich aus der Entlarvung eines Angst- und Sicherheitsdiskurses und aus der Rückführung von Terrorismus auf strukturelle Gewalt ergeben, gestellt und beantwortet werden, macht den Band absolut lesenswert. So bleibt das Fazit, Terror mag zwar seine Ursachen in westlicher Politik haben, er ist jedoch weder ein geeignetes noch ein legitimes Mittel, dieser Politik zu begegnen.
Rolf Gössner/Conrad Schuhler: "TERROR - wo er herrührt, wozu er missbraucht wird, wie er zu überwinden ist", hrg. vom Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V., ISW-"Spezial- Nr. 29", München Dez. 2016. Online-Bestellungen gegen eine Schutzgebühr von € 3,00 (zzgl. Versandkosten) unter: isw-muenchen.de/
Zum Autor:
Dr. phil. Jan Wollmann arbeitet als Koordinator für die "Internationale Liga für Menschenrechte e.V." (ILMR) und als freiberuflicher EU-Fundraiser. Er ist Soziologe und hat in Bielefeld am Graduiertenkolleg 844/3 "Weltgesellschaft" promoviert. Seine Dissertation trägt den Titel "Islam in der Weltgesellschaft - Strukturbildungen, Konfliktausdifferenzierung und Deeskalation. Vom 'nahen Feind' über den 'Kampf der Kulturen' zum 'arabischen Frühling'".
4 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Es mag ja sein, dass die führenden Terror- und Kriegstreiber in islamischen Ländern diesen Krieg mit der Politik und der Ausbeutung ihrer Staaten durch den Westen begründen.
Richtig ist sicherlich, dass Terror nicht das problemlösende Mittel ist, um dem durch den Westen verursachten ökonomischen Ungleichgewicht zu begegnen. Dieser Terror erzeugt Gegengewalt, erzeugt AfD, Nationale Rechte und Consorten in westlichen Ländern, wobei die Demokratie mehr und mehr untergraben wird.
Aber - und das ist mein Punkt: wenn wir nun schon erkannt haben, dass dieser religiös fanatisch wahnsinnige Terror lediglich benutzt wird, um auf das ökonomische Ungleichgewicht aufmerksam zu machen und dieses zu bekämpfen, was tut dann "der Westen" real, um hier auf längere Sicht eine Art Gleichgewicht herzustellen?
Und wenn jemand hierauf eine plausible Antwort hat, dann die nächste Frage: warum tun wir nicht schon lange etwas, um hier eine Veränderung herbeizuführen? Bekannt ist dieses Problem seit Jahrzehnten! Kann es sein, dass unsere Politiker und andere führende Köpfe dieser Welt lediglich Reagierende sind, wobei sie doch vorausschauend (und verantwortlich!) agieren sollten? Kann es sein, dass Parteiprogramme und (u.a.) die Kirchenlobby einer vernünftigen Denk- und Handlunsweise entgegenstehen?
Rudi Knoth am Permanenter Link
ZItat:"Aber - und das ist mein Punkt: wenn wir nun schon erkannt haben, dass dieser religiös fanatisch wahnsinnige Terror lediglich benutzt wird, um auf das ökonomische Ungleichgewicht aufmerksam zu machen und di
Ist dies wirklich so, daß der Terror "nur" auf die Ungleichgewichtigkeit aufmerksam machen will? Siehe Bin Laden, der aus einem der reichtsten Länder der Welt stammt. Und es gibt ärmere nichtislamische Länder, aus denen keine Terrorristen kommen. Oder ist es nicht anderes als ein Wiedergeburt der Einteilung der Welt in "Haus des Krieges" und "Haus des Friedens"?
Stefan Wagner am Permanenter Link
Gegen die These, dass Kolonialismus und imperialistische Ausbeutung durch den Westen die tieferen Triebfedern hinter islamistischem Terror sind spricht erstens, dass die meisten Opfer dieses Terrors selbst Moslems sin
Gewalttätiges Erpressen, Ausdehnung des Machtbereichs, der Aufbau autoritärer Strukturen sind aber ganz offensichtlich die zweite Natur islamistischer Militanter - damit haben die Kämpfer kein prinzipielles Problem, nur damit, nicht die zu sein, die die Gewalt ausleben.
Rudi Knoth am Permanenter Link
Vor allem ist zu bedenken, daß Syrien und Irak nie Kolonien sondern Teile des Osmanischen Reiches waren.