Die Filmemacherin und Autorin Helke Sander hat als Mitbegründerin der ersten "Kinderläden" wesentlich zur Liberalisierung der Gesellschaft in Deutschland beigetragen. Ihre berühmte, von einem Tomatenwurf begleitete Rede auf dem SDS-Kongress 1968 gilt heute als Initialzündung der zweiten Welle der Frauenbewegung. Am Stiftungssitz der Giordano-Bruno-Stiftung hielt sie einen Vortrag über "Die Entstehung der Geschlechterhierarchie".
Die populäre Vorstellung vom Anfang der Menschheitsgeschichte ist von vielen Vorurteilen und Spekulationen geprägt, die ein verzerrtes Bild der Geschlechterverhältnisse unserer Vorfahren vermitteln. So sieht es Helke Sander, die als neues Beiratsmitglied am Stiftungssitz der Giordano-Bruno-Stiftung ihr aktuelles Buch "Die Entstehung der Geschlechterhierarchie: Als unbeabsichtigte Nebenwirkung sozialer Folgen der Gebärfähigkeit und des Fellverlusts" vorstellte.
Sander beschäftigt sich schon lange und auf vielfältige Weise mit Geschlechterverhältnissen, nämlich als feministische Filmemacherin, als Autorin, aber auch als politische Aktivistin, die maßgeblich zum Start der zweiten Welle der Frauenbewegung in Deutschland beigetragen hat. So zählte sie 1968 zu den Mitgründerinnen des "Aktionsrats zur Befreiung der Frau". Als dessen Vertreterin hielt sie bei der Delegiertenkonferenz des SDS im September 1968 eine Rede, in der sie den männlichen Führungsfiguren der Studentenbewegung vorwarf, nicht genügend zu beachten, dass "das Private politisch" sei. Darauf folgte der berühmte Tomatenwurf, der als Auftakt der Frauenbewegung in der Bundesrepublik gilt.
Nun, fast 50 Jahre später, geht Helke Sander der Frage nach, warum die Entwicklung der Menschheit zur Unterdrückung der Frauen führte. In ihrem neuen Buch räumt sie dabei mit weit verbreiteten Missverständnissen auf. Die Vorstellung, dass es eine natürliche Arbeitsteilung von Mann und Frau vom Beginn der Menschwerdung an gäbe, hält Sander beispielsweise für unbegründet. Ebenso wenig kann sie dem Bild von der patriarchalen Kleinfamilie abgewinnen, die angeblich als natürlicher Normalzustand besteht.
Für weitaus wahrscheinlicher hält Sander die Hypothese, dass das Geschlechterverhältnis, wie wir es auch heute kennen, als unbeabsichtigte Nebenwirkung sozialer Folgen der Gebärfähigkeit und des Fellverlusts entstand. Letzterer markiert laut Sander dabei jene Zeit in der Menschwerdung, in der die Tätigkeiten von Mann und Frau langsam auseinander drifteten, was für die Entstehung von Arbeitsteilung von großer Bedeutung war. Denn in Folge des Fellverlusts konnten sich die Kleinkinder nicht mehr an ihrer Mutter festklammern, sondern mussten getragen werden. Dies schränkte die Bewegungsfähigkeit von Frauen ein, womit ihnen besondere Aufgaben wie das Hüten von Feuer zufielen.
Für Helke Sander ist die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern damit ein Resultat einer "langen und vor allem langsamen Entwicklungsgeschichte, an deren Anfang Lösungen standen, die hauptsächlich Frauen für neu entstandene und nur sie betreffende Probleme gefunden wurden." Sich dies bewusst zu machen, sei angesichts der enormen Zeitspannen zwar sehr schwierig, aber notwendig, um die gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart zu verstehen.
Dementsprechend bewertet Sander auch radikal-konstruktivistische Formen der Gendertheorie als realitätsfremd, da sie biologische Fakten und ihre Implikationen ignorierten und teils falsche Prioritäten setzten. Wie sie in ihrem Vortrag am Stiftungssitz der Giordano-Bruno-Stiftung erklärte, müssten hierarchische Geschlechterverhältnisse selbstverständlich überwunden werden. Dabei dürften die evolutionär entstandenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern aber nicht geleugnet werden.
10 Kommentare
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Die Geschlechterhierarchie ist wohl eher keine Folge des Fellverlusts. Sie ist nämlich überhaupt keine Erfindung des Menschen:
"Alle Affenleben in sozialen Verbänden. Der klassische Aufbau eines solchen Verbandes kann wie folgt beschrieben werden: Im Mittelpunkt der Gruppe steht ein Männchen als Herrscher, umgeben von einem Harem aufmerksamer Weibchen, die ihn pflegen ... " (aus: Ramona und Desmond Morris: Der Große Affenspiegel)
Mir scheint also, dass es keineswegs zutrifft, dass "die Entwicklung der Menschheit zur Unterdrückung der Frauen führte". Die Unterdrückung der Frau dürften wir, die Menschheit, von unseren Vorfahren übernommen haben.
Wenn sie meint, dass "hierarchische Geschlechterverhältnisse selbstverständlich überwunden werden müssten", bin ich aber wieder ganz ihrer Meinung.
Sophia am Permanenter Link
Lieber Norbert, der Beschreibung des Verhaltens von Tieren liegt eine Interpretation zugrunde und diese ist abhängig vom Weltbild des Beschreibers.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Mir scheint also, dass es keineswegs zutrifft, dass "die Entwicklung der Menschheit zur Unterdrückung der Frauen führte".
Gesetzt den Fall, dass Sie Recht hätten (ich bin unabhängig von Frau Sander zum Ergebnis gekommen, dass bis zur neolithischen Revolution in der Tat ein Matriarchat oder eine Art "Gleichberechtigung" vorherrschte. Dies ist durch Funde zweifelsfrei belegbar), dann wäre also die von Ihnen so kritiklos verehrte monotheistische Religion nicht die Erfinderin, aber die Dogmatikerin eines evolutionär entstandenen Verhaltens.
Sie ahnen, worauf ich hinaus will: Die auch von Ihnen angenommene "Unterdrückung der Frau" wäre dann als Erbe in die frühen Gesellschaften eingeflossen und damit in die Religionen.
Diese sind also frauenunterdrückend. (Ich war bei dem Vortrag zugegen, konnte ein wenig mit Frau Sander sprechen und habe ihr Buch partiell gelesen) Dies hat sie festgestellt, was nicht schwer ist, weil sogar Sie es (zumindest indirekt) zugeben.
"Wenn sie meint, dass "hierarchische Geschlechterverhältnisse selbstverständlich überwunden werden müssten", bin ich aber wieder ganz ihrer Meinung."
Es gibt einen ganz einfachen Weg, diese hierarchischen Geschlechterverhältnisse abzuschaffen - zumindest zu dessen Abschaffung mit samt der Begründung beizutragen: Räumen Sie in der katholischen Kirche mit den dortigen hierarchischen Geschlechterverhältnissen auf.
Dass diese existieren, werden Sie - wie ich Sie einschätze - nicht leugnen. Frage: Tun Sie was dagegen und wenn ja wie?
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Dass Frauenunterdrückung, so wie vieles aus der jeweiligen Umwelt, in Religionen eingeflossen ist, gebe ich auch ganz direkt zu.
"Frage: Tun Sie was dagegen und wenn ja wie?"
Da ich mich aus Kirchenpolitik gerne heraushalte, tue ich Folgendes:
) Ich gehorche weiblichen Vorgesetzten (bis vor Kurzem hatte ich eine Chefin im Erzbischöflichen Schulamt).
) Ich arbeite völlig gleichberechtigt mit Kolleginnen (z.B. in der Vorbereitung zu religiösen Gruppen im Gefängnis, oder in der Vorbereitung zu Schulgottesdiensten).
) Ich nehme im Religionsunterricht bevorzugt positive und starke Frauengestalten aus Bibel und Kirchengeschichte durch.
) Ich hätte in Kirchen (wenn ich einst vielleicht eine in meiner eigenen Verantwortung haben sollte, dann wird ein Indikativ daraus) kein Problem damit, wenn Frauen predigen. (Eigentlich verboten, aber dann halte ich halt eine 20sekündige Predigt und anschließend eine Frau ein 7minütiges Glaubenszeugnis, dann ist auch das Kirchenrecht zufrieden, und mein Bischof, wie ich weiß, auch).
) Ich habe in meiner Jugend in meiner Heimatpfarre die ersten Ministrantinnen ausgebildet (damals noch gegen Widerstände aus dem Bischofsamt, aber mit Zustimmung meines Pfarrers).
) Ich bemühe mich, die meist von Frauen verrichteten und oft unbeachteten freiwilligen Dienstleistungen wie Putzen, Blumenschmuck u.s.w. zu würdigen und zu bedanken und so hoffentlich aufzuwerten.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sie sind ja ein Rebell, Herr Schönecker!
"... (Eigentlich verboten, aber dann halte ich halt eine 20sekündige Predigt und anschließend eine Frau ein 7minütiges Glaubenszeugnis, dann ist auch das Kirchenrecht zufrieden, und mein Bischof, wie ich weiß, auch)."
Gruselt Sie es nicht, in einer Firma zu arbeiten, in der man Gutes derart verstecken muss? Stellen Sie sich vor, das würde in irgendeiner anderen Firma geschehen - prinzipiell geschehen, weil Gesetze dagegenstehen. Wie groß wäre da der Aufstand - Ihrer auch?
Doch Kirche darf altmodisch sein, vorgestrig, altbacken und eingeschlafen. Traditionell schimpft sich das. Als - zumindest in Deutschland - größter Arbeitgeber nimmt sich Kirche einfach heraus, so hinterwäldlerisch zu bleiben. Wer das nicht will, kann ja gehen. Wohin? Kirche kann es sich leisten, ihre Mitarbeiterinnen so mies zu behandeln, wie man es keiner anderen Firma zugestehen würde.
Dass Einzelne - wie offensichtlich auch Sie - sich nicht dem Kirchenrecht entsprechend mies verhalten, macht Ihre Firma kein Stück besser. Und das unter dem Generalanspruch, anderen moralisch überlegen zu sein. Für mich hat Kirche solange als moralische Instanz ausgedient, bis sie ihre ureigenen Hausaufgaben gemacht hat.
Bis dahin hat sie jedes Recht verwirkt, auf andere mit dem Finger zu zeigen oder Ratschläge zu erteilen. Wer den Besen wegsperrt und seine Mitarbeiter dazu nötigt, heimlich ein wenig vor der eigenen Tür zu kehren, hat zu schweigen. Nicht etwa die Frauen in der Kirche - auch wenn es Paulus fordert. Die Frauen sollen endlich das Maul aufmachen!
Wird das je geschehen? Wir beide wissen, dass es starke patriarchale Lobbyverbände in der Kirche gibt, die das zu unterdrücken wissen. Da richten Sie als netter Priester nichts aus. Die Kirche steht sich selbst im Weg, um sich an das heutige Leben anzupassen. Und jeder, der da die Tür zur Moderne einen Spalt aufdrücken will, bekommt eines auf die Finger. So bleibt nur der heimliche Blick in eine Welt, der Kirche sich wohl für immer freiwillig verschließt. Sei's drum, ich weine dieser Firma gewiss keine Träne nach. Sie hat es schlicht nicht verdient...
Stefan am Permanenter Link
Das trifft nicht auf alle Affen zu. Bei den Bonobos haben Weibchen einen etwas höheren Status. Da ist auch das ganze soziale Verhalten anders als bei den extrem aggressiven Schimpansen.
Oelsner Dr. Han... am Permanenter Link
.... sehr erfolgreiche Säugerclans werden
Weibchendominiert ... so auch bei den
uns am nächsten stehenden Bonobos =
Südkongo... die Weibchen ! praktizieren :
Stefan Wagner am Permanenter Link
"Die Vorstellung, dass es eine natürliche Arbeitsteilung von Mann und Frau vom Beginn der Menschwerdung an gäbe, hält Sander beispielsweise für unbegründet."
Wer hat die denn? Gibt es Arbeitsteilung von Männchen und Weibchen nicht schon im Tierreich?
"Denn in Folge des Fellverlusts konnten sich die Kleinkinder nicht mehr an ihrer Mutter festklammern, ..." aber am Fell der Väter schon? Das ist offenbar nicht gemeint, also wird eine Arbeitsteilung bereits vorrausgesetzt; sie kann also schlecht die Ursache sein.
"als unbeabsichtigte Nebenwirkung sozialer Folgen der Gebärfähigkeit und des Fellverlusts entstand. Letzterer markiert laut Sander dabei jene Zeit in der Menschwerdung, in der die Tätigkeiten von Mann und Frau langsam auseinander drifteten"
Die Gebärfähigkeit von Frauen ist so alt wie die 2-Geschlechtlichkeit und der Dreh- und Angelpunkt der Unterscheidung von Mann und Frau. Außerdem fragt sich, wieso es zum Fellverlust kommen konnte, wenn das ein Nachteil war.
Für 50 Jahre Forschung und Theoriebildung erscheint mir das sehr dünn.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Sie müssen bei evolutionären Fragen etwas besser aufpassen.
Arbeitsteilungen finden immer dann statt, wenn Individuen etwas besser können als andere. Bei den Löwen jagen die Weibchen, die ihre Jungen nicht ständig mit sich herumtragen müssen statt der Männchen, denen sie bis auf einige Bullen (die meist Einzelgänger sind) an Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer meist überlegen sind. Müsste der Herr des Harems für das Futter sorgen, wäre es um die Löwen noch schlechter bstellt, als es ohnedies schon ist. Im übrigen ist Arbeitsteilung z.B. bei den meisten Vögeln auf das Legen der Eier beschränkt. Bei Brut, Pflege, Versorgung und Schutz der Jungen herrscht Gleichberechtigung, denn das können beide gleich gut.
Stefan Wagner am Permanenter Link
"Bei den Löwen jagen die Weibchen, die ihre Jungen nicht
In einer Doku, die ich gesehen habe, hieß es zur Jagd der Weibchen, dass die Jagd nicht strikt Weibchensache ist. Es wurde auch gezeigt, wie diese ein Rudel Gazellen, Zebras oder ähnliche Beutetiere, vielleicht auch Gnus jagte, dabei darauf angewiesen waren in die richtige Entfernung bei richtiger Geschwindigkeit hinter ein Beutetier zu kommen, um von hinten drauf zu springen und so weiter. Dann kam Herr Löwe ins Spiel, der stieß so ein anrennendes Beutetier kraft seiner Kraft einfach um. War aber womöglich a) nicht so schnell und b) auf die Zuarbeit des auf ihn zutreibens der Herde angewiesen.
Außerdem war es aber der Job des Männchens andere Raubtiere, i.e.S. Hyänen zu vertreiben. Also Schnelligkeit, Ausdauer - gut möglich. Kraft: Eher nicht.
"Andere Nachteile, die kompensiert werden (können), sind keine Nachteile."
Ja, und Argumente, die nicht greifen, sind keine Argumente. Mein Punkt war der, dass Fellverlust nicht zur ursprünglichen Arbeitsteilung geführt haben kann. Er trat ja bei Männchen wie Weibchen auf. Wenn die Weibchen nicht mehr mitjagen können, weil sich die Kinder an die Weibchen geklammert haben gab es die Arbeitsteilung (Weibchen kümmern sich unmittelbar um den Nachwuchs) ja schon vorher.