Umfrage unter Journalisten

"Publizieren wird zur Mutprobe"

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Während in deutschen Medien derzeit viel über den Fall des Journalisten Deniz Yücel berichtet wird, stellten das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld sowie der Mediendienst Integration das Ergebnis einer Umfrage vor, in der 780 Journalisten in Deutschland zu ihren Erfahrungen mit Hate Speech und körperlichen Attacken Auskunft gaben. Dabei zeigte sich, dass verbale und körperliche Angriffe mittlerweile für viele Journalisten zum Berufsalltag gehören.

Das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld hat gemeinsam mit dem Mediendienst Integration Ergebnisse einer Befragung von 780 Journalisten zu ihren Erfahrungen mit hasserfüllten Angriffen wie Hate Speech und körperlichen Attacken vorgestellt. Sie zeigt: Verbale und körperliche Angriffe gehören mittlerweile für viele Journalisten zum Berufsalltag. Psychische Belastungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit sind die Folgen. In jeder zweiten Redaktion findet jedoch keine systematische Auseinandersetzung mit den Angriffen statt. Viele Journalisten fordern deshalb mehr Unterstützungsmaßnahmen.

Das IKG hat auf Initiative des Mediendienstes Integration eine Online-Befragung unter 783 Journalisten aus zwei Verbänden durchgeführt. Das Ergebnis der Studie "Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender" – kurz HArM – ist eindeutig: Die Mehrheit der befragten Journalisten nimmt einen Anstieg hasserfüllter Reaktionen gegen sich und Kollegen wahr. Das belastet die Arbeit in erheblichem Ausmaß.

"Im Zentrum unserer Studie steht die Frage, wie solche Angriffe den Journalismus beeinflussen können und nicht so sehr, ob es diese Angriffe gibt. Viele Journalisten beschreiben die Ausübung ihres Berufs mittlerweile als Mutprobe", meint Frederik Tetzlaff, Mitarbeiter im Forschungsteam.

Für viele Journalisten gehören Angriffe zum Alltag

Zwei Drittel der befragten Journalisten sind der Meinung, dass hasserfüllte Reaktionen in den vergangenen 12 Monaten allgemein deutlich zugenommen haben. 42 Prozent waren 2016 selbst von Angriffen betroffen, 26 Prozent berichten sogar von mehrmaligen bis regelmäßigen Angriffen. Ein Viertel ist überzeugt, solche Vorfälle seien Teil des journalistischen Alltags. Vor allem jüngere Journalisten nehmen einen Anstieg von Anfeindungen wahr. Sie scheinen besonders sensibel für das Thema zu sein.

Hass und Wut richten sich gegen den Berufsstand

Unter den Betroffenen machen drei Viertel ausschließlich ihre Rolle als Journalist für die Angriffe verantwortlich. Die restlichen 25 Prozent führen die Angriffe vor allem auf Unzufriedenheiten mit den Inhalten (77 %) und der Darstellung von Sachverhalten (64 %) oder die Ablehnung von Personengruppen (47 %) zurück, über die berichtet wurde. Sehr viel seltener nehmen die Befragten an, die eigene nationale Herkunft (5 %) oder Religion beziehungsweise Weltanschauung (14 %) seien für die erlebten Angriffe ausschlaggebend gewesen. Sowohl das Geschlecht, das Alter als auch ein Migrationshintergrund der befragten Journalisten spielt keine Rolle für die Häufigkeit der erlebten Angriffe.

Die Untersuchung ist eine wissenschaftliche Umfragestudie des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG). Sie basiert auf einer anonymen Online-Befragung von November bis Dezember 2016. Es wurden 783 Mitglieder des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) befragt. Die Studie wurde von der Freudenberg Stiftung gefördert.

"Die Journalisten werden angegriffen, weil sie Journalisten sind. Der Hass richtet sich gegen den Berufsstand", erklärt Studienleiter Prof. Dr. Andreas Zick. Und er fügt hinzu: "Themen wie Flüchtlinge, Islam und Migration erzeugen besonders viel Hate Speech und andere hasserfüllte Botschaften. Journalisten sollen berichten, was die Angreifer wollen, oder schweigen."

Fast die Hälfte der Zeitungs- und Fernsehjournalisten (48 % und 45 %) erlebten 2016 bereits Angriffe. Bis zu ein Drittel berichtet von mehrmaligen bis regelmäßigen Angriffen. Unter den Journalisten, die in Ressorts wie Politik, Lokales/Regionales oder auch Wirtschaft beschäftigt sind, ist fast jeder Zweite bereits angegriffen worden.

Jeder Zweite fühlt sich belastet

Am häufigsten wurden die Journalisten in direkten Situationen wie Demonstrationen, Interviews oder Veranstaltungen angegriffen. "Insbesondere belasten mich die körperlichen Angriffe bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen! Diese Ereignisse verfolgen mich gelegentlich auch im Schlaf. Die Folgen sind Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht", gab ein Journalist in der Umfrage an. Rund jeden fünften Betroffenen erreichten die Angriffe über soziale Netzwerke oder die Kommentarfunktion unter Beiträgen. Sehr viel seltener werden Journalisten per Anruf oder Leserbrief angegriffen.

Jeder Zweite fühlt sich von den Angriffen des Publikums belastet. Dabei ist es kaum von Bedeutung, ob Journalisten selbst Angriffe erlebt (53 %) oder von Angriffen auf Kollegen erfahren haben (48 %). Mehr als die Hälfte der betroffenen Journalisten berichtet von psychischen Belastungen. Unter jenen, die keinen Angriff erlebten, ist es immer noch ein Drittel. "Offensichtlich bleibt der Hass nicht in den Redaktionen, sondern wird mit nach Hause genommen", sagt Madlen Preuß, Co-Leiterin der Studie. Die negativen Auswirkungen auf das Privatleben liegen bei Journalisten mit Angriffserlebnissen doppelt so hoch (31 %) wie unter Nicht-Betroffenen (14 %).

Ein Viertel der Journalisten, die Angriffen ausgesetzt waren, nehmen eine klare Beeinträchtigung in ihrer journalistischen Arbeit war. Unter den Nicht-Betroffenen sind es nur 10 Prozent. "Fast jeder zweite Befragte, der bereits angegriffen wurde, äußerte Angst und Unsicherheit, dem Beruf nicht mehr so nachgehen zu können wie zuvor", berichtet Madlen Preuß.

Rückhalt finden Journalisten vor allem im eigenen Kollegium

Mehr als 80 Prozent der Journalisten befürworten nicht nur die öffentliche Thematisierung von und Aufklärungskampagnen gegen Hate Speech, sondern auch die strafrechtliche Verfolgung. Allerdings findet es auch fast jeder Fünfte nicht gut, wenn Kollegen in der Öffentlichkeit über ihre Erfahrungen sprechen.

Über die Hälfte der Befragten berichtet, es gebe in ihrer Redaktion keine Auseinandersetzung oder Hilfestellung zum Umgang mit Hate Speech und körperlichen Angriffen. Einige Redaktionen organisieren regelmäßigen Austausch (37 %), einen juristischen Beistand (23 %) oder Schulungsangebote (9 %). Rückhalt finden Journalisten vor allem im eigenen Kollegium (66 %).

"Journalisten sollten frei und ohne Angst ihrer Arbeit nachgehen können. Dafür brauchen sie offenbar mehr Unterstützung. Die Studie liefert wichtige Anhaltspunkte für die Frage, wo man ansetzen kann", so Mehmet Ata vom Mediendienst Integration.