Kolumne: Sitte & Anstand

Unsere Freude ist die Freiheit

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Ehemalige Zeugen Jehovas nehmen einen Lobgesang der Sekte und drehen ihn um. Das Video dazu ist berührender als jeder Gottesdienst.

Heute schon geweint? Sie sind nur einen Klick davon entfernt.

Musik ist ein machtvolles Mittel der Manipulation: Sie erzeugt Gefühle, wo keine sind, sie lässt uns in Abgründe fliegen, wo eben noch fester Boden unter den Füßen war. Wer die Musik macht, ist eine Zeit lang der Herr unserer Seele. Wir werden weich und empfänglich, wir verlieren uns, und in diesem Zustand kann, wer will, dann auch gerne seine Botschaften in uns einfüllen, namentlich durch Gesang.

Religiöse Kulte wissen das natürlich schon immer, und so ist das gemeinsame Singen für gewöhnlich ein zentraler Punkt im Gemeinschaftsleben: Schmettert man zusammen anrührende Weisen, so verschwindet alle Mühsal des Alltags. Hoffnung auf Erlösung, Veredlung, Transzendenz bestimmt das Bewusstsein der Gläubigen – und alle Priester der Erde nutzen diesen Moment, um ihre Botschaft an den Mann und an die Frau und an alle Kinder zu bringen.

Solchen Gesängen zuzuhören, erträgt der Nichtreligiöse nur mit einem säuerlichen Lächeln. Denn wenn man den bedingungslosen Glauben an ein eingebildetes Unsichtbares ersetzt durch analytisches Denken und gesunden Menschenverstand, erkennt man die Gehirnwäsche sofort: Hier wird sehr laut und sehr entschlossen gesungen, weil sich die irren Widersprüche der Religionen nur so vergessen lassen. Die Musik allerdings erreicht noch den abgeklärtesten Beobachter auf irgendeine Weise, tiefere Schichten des Bewusstseins sind ja gegen Melodie und Pathos oft machtlos, doch der Anblick der singenden Gemeinde ist der von etwas Aufgeblasenem, fast Heuchlerischem, es regen sich Mitleid und eine leichte Abscheu. Was aber passiert, wenn man die aufputschende Lobpreis-Musik beibehält, aber die Singenden und ihren Text auswechselt – etwa gegen einen Haufen Leute, die sich von einer Sekte losgesagt haben und nun ihre Freiheit feiern?

166 Menschen haben sich für ein Video zusammengefunden, die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ehemalige Zeugen Jehovas oder ihre Kinder. Sie haben ein Lied der Sekte genommen ("Our Joy Eternally"), der YouTuber und Ex-Zeuge Lloyd Evans alias John Cedars hat einen neuen Text verfasst, "Our Joy Is Being Free": Unsere Freude ist es, frei zu sein. Eingesungen hat den Song Lydia Harrell. Und nach und nach tauchen 166 Menschen im Video auf, die ihre Botschaft ins Bild halten: "Our Joy is being free". Und sie zeigen, wie sie das Leben ohne Sündenideologie und Armageddon lieben. Sie lachen. Tanzen. Haben Spaß. Und wenn man sie sieht ... nun ja. Sie können ja mal draufklicken. Schönes Wochenende noch auf unserem Lieblingsplaneten!

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