Sammelband über die Identitäre Bewegung

"Untergangster des Abendlandes"

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Banner der Identitären Bewegung auf einer Demonstration der Alternative für Deutschland (AfD) in Geretsried
Banner der Identitären Bewegung auf einer Demonstration der Alternative für Deutschland (AfD) in Geretsried

Die Sozialwissenschaftler Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek und Alexander Winkler haben mit "Untergangster des Abendlandes – Ideologie und Rezeption der rechtsextremen 'Identitären'" einen umfangreichen Sammelband zum Thema herausgegeben. Insbesondere die Beiträge mit der Analyse der Statements aus der Bewegung verdienen Interesse an diesem thematisch relativ breit aufgestellten Werk, wobei aber auch interessante Fragen wie die nach der Organisationsform nicht thematisiert werden.

Mit "Untergangster des Abendlandes" bezeichnete Karl Kraus einst die Nationalsozialisten. Dabei spielte er auf das Grundlagenwerk "Der Untergang des Abendlandes" des Kulturphilosophen Oswald Spengler an, welcher mit zur geistigen Strömung der "Konservativen Revolution" gezählt wird. Auf die damit gemeinten Anhänger eines "antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik" (Kurt Sontheimer) berufen sich auch die "Identitären". Diese Bewegung macht mit provozierenden Aktionen in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam, wozu Gebäudebesetzungen ebenso wie Straßentheater gehören. Formal distanziert man sich vom Rechtextremismus, gleichwohl gibt es genügend Übereinstimmungen. Diese behandeln die Autoren des Sammelbandes "Untergangster des Abendlandes – Ideologie und Rezeption der rechtsextremen 'Identitären'", der von den Sozialwissenschaftlern Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek und Alexander Winker herausgegeben wurde. Er enthält 14 Beiträge zu unterschiedlichen Themen:

Cover

Winkler gibt zunächst einen Überblick über die Identitären als modernisierte Form des Rechtsextremismus in Österreich, wobei auch grundlegende Arbeitsbegriffe geklärt und ideologische Zuordnungsfelder erläutert werden. Dem folgen Beiträge von Goetz zu deren Selbstinszenierungen und ihrer Rezeption durch österreichische Medien, von Carina Book zu Umfeld und Strategie der Identitären Bewegung in Deutschland und von Sabine Lehner zur Konstruktion von Angstgefühlen durch die einschlägige Rhetorik der Identitären. Einige der Vordenker wie Alexander Dugin, Julius Evola und Martin Heidegger werden dem folgend von Micha Brumlik benannt und kontextualisiert, während die Anlehnung an die Konservative Revolution und hierbei insbesondere Ernst von Salomon von Florian Ruttner erörtert wird. Die Bedeutung von "ethnischer Identität" bezogen auf Argumentationsmuster im Sinne des Neorassismus thematisiert danach Ines Aftenberger und das Anknüpfen an den völkischen Nationalismus Thorsten Mensche.

Antifeminismus, Geschlechterpolitiken und Homofeindlichkeit der Identitären behandelt dem folgend Goetz, während Heribert Schiedel die Ähnlichkeiten von Djihaidsmus bei Islamisten und Counterdjihadismus bei Rechtextremisten untersucht. Elke Rajal stellt die Ergebnisse einer Analyse von Stellungnahmen der Identitären vor, wobei es um den darin enthaltenen Antisemitismus mit seinen unterschiedlichen Ideologieformen geht. Dass sich Identitäre und die russische Rechte annähern, ist schon länger bekannt und wird von Ute Weinmann näher erörtert. Der bereits seit Jahren feststellbare Anteil von rechtsextremistischen Erscheinungsformen im Dark Wave bzw. im Neofolk wird danach von Jerome Trebing thematisiert. Und schließlich findet man dann noch einen Text, der sich in Interviewform mit der Frage nach dem angemessenen Engagement gegen menschfeindliche Einstellungen durch die Herausgeber beschäftigt. Allen Abhandlungen sind ein Abstract voran- und eine Literaturliste nachgestellt.

Die Beiträge, die sich an Originalstatements aus der Identitären-Bewegung abarbeiten, verdienen besonders Interesse. Sie können meist gut nachvollziehbar die ideologischen Kontinuitäten veranschaulichen. Dabei muss nicht jedes Analysekriterium trennscharf sein und überzeugen. Aber in der Gesamtschau belegt das Material die Kernthesen des Bandes. Dieser beeindruckt durch die thematische Vielfalt. Gleichwohl gibt es auch Dopplungen, wenn etwa die Identitätspolitik der Identitären angesprochen wird. Dafür fehlen andere Aspekte wie etwa die besondere Organisationsform oder die gesellschaftliche Wirkung. Aufgrund der Herausgeber hat der Sammelband auch einen Österreich-Schwerpunkt, was durchaus berechtigt ist. Denn einige der Hauptprotagonisten, die auch in Deutschland wirken, kommen von dort. Wie dies bei allen Sammelbänden so ist, wirkt er ein wenig fragmentarisch und unstrukturiert. Gleichwohl hat man es mit einer anregenden Monographie zu einem bislang sozialwissenschaftlich noch nicht breiter erforschten Thema zu tun.

Judith Goetz/Joseph Maria Sedlacek/Alexander Winkler (Hrsg.), Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen "Identitären", Hamburg 2017 (Marta Press), 434 S., ISBN: 978-3-944442-68-6, 20,00 Euro