Am Sonntag wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Wie verbreiten in- und ausländische Akteure Desinformationen vor der Wahl? Um Aussagen über das Ausmaß dieser Beeinflussungsversuche treffen zu können, hat CeMAS ein Monitoring von Desinformation und digitalen Kampagnen vor allem auf Telegram und YouTube, aber auch auf X, TikTok und Facebook aufgesetzt. Eine Auswahl der bisherigen Erkenntnisse und Einschätzungen aus dem Bundestagswahl-Monitoring.
Die russische Doppelgänger-Kampagne ist weiterhin aktiv
Die russische Doppelgänger-Kampagne ist weiterhin aktiv und macht Stimmung gegen einige deutsche Parteien: Für den Zeitraum vom 17. Dezember 2024 bis zum 14. Januar 2025 konnte CeMAS auf X insgesamt 630 deutschsprachige Posts mit typischen Doppelgänger-Mustern dokumentieren. Die Beiträge verbreiteten Links zu Doppelgänger-Webseiten oder echten Artikeln authentischer Medien sowie Bilder beziehungsweise Videos ohne weitere Verlinkung. Thematisch schürten die Beiträge Sorgen zu Energie und Wirtschaft und streuten spalterische Aussagen zur Ukraine und deren Unterstützung sowie den USA.
Deutsche Parteien und ihre Vertreter:innen wurden unterschiedlich besprochen. Negative Einordnungen erfolgten zu den Grünen (59), Olaf Scholz (20) und der CDU (20). Die Grünen wurden vor allem für wirtschaftliche Probleme verantwortlich gemacht, der Bundeskanzler Olaf Scholz für Unterstützungsleistungen für die Ukraine kritisiert. Beiträge zur CDU stellten die Partei als nicht vertrauenswürdig dar. Die AfD wurde vier Mal positiv erwähnt – darunter zweimal mit Tippfehler: Statt AfD wurde die russische Abkürzung ADG ("Alternatiwa Dlja Germanii") genutzt.
Im Verlauf schwenkte die Kampagne dann auf die Diskreditierung von CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz um.
Elon Musk und die extreme Rechte in Deutschland
Seit der amerikanische Tech-Milliardär mehrfach zur Wahl der AfD aufgerufen hat, konnten verstärkte Versuche von AfD-Politiker:innen registriert werden, in öffentliche Interaktion mit Musk auf seiner Plattform X zu treten. Ein erster Aufmerksamkeitspeak findet sich am 7. Mai 2024, nachdem Musk, als Reaktion auf den Post eines US-amerikanischen, reichweitenstarken, rechten X-Accounts, Unverständnis über die Verurteilung der AfD-Politikerin Marie-Thérèse Kaiser wegen eines rassistischen Facebook-Postings geäußert hatte.
Etwa einen Monat später, am 6. Juni 2024, äußerte Musk in einer Antwort auf einen AfD-unterstützenden Post zum ersten Mal explizit, dass er die Positionen der AfD nicht als extrem ansehen würde. Weitere exemplarische Momente erhöhten Interaktionsaufkommens durch AfD-Politiker:innen mit Musk zeigten sich, nachdem Musk erst den SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz und wenige Tage später den Co-Parteivorsitzenden der Grünen und Vize-Kanzler Robert Habeck als "Narr" bezeichnete.
Die durchschnittliche Anzahl an Interaktionen mit Musk durch AfD-Politiker:innen findet ihren bisherigen Höhepunkt im Januar dieses Jahres, hervorgerufen durch sein Gespräch mit Alice Weidel auf seiner Plattform X.
In einer zweiten Recherche widmet sich CeMAS der Frage, wie es zu den Interaktionen Musks mit der deutschen rechtsextremen Szene kam. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der jungen rechtslibertären Influencerin Naomi Seibt zu.
Meta kündigt Ende der Faktencheck-Kooperationen an
Die Ankündigung von Meta-CEO Mark Zuckerberg, – zumindest in den USA – seine Kooperationen mit Faktencheck-Redaktionen zu beenden und stattdessen künftig ein System von nutzergenerierten Anmerkungen zu nutzen, sorgte für große mediale Aufmerksamkeit. Unter dem Schlagwort der "freedom of expression" behauptete Zuckerberg, demokratische Regierungen und die "legacy media" hätten die Zensur der freien Meinungsäußerung in den vergangenen Jahren vorangetrieben – und reproduzierte damit eines der zentralen rechtsextremen Narrative. Denn Freiheit in seiner Gesamtheit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Regulationen, sondern auch die Verantwortung, die damit einhergeht. Je weniger formelle Regelungen es gibt, desto stärker ist man darauf angewiesen, dass Menschen eigenverantwortlich ihr eigenes Handeln kritisch reflektieren.
Auch wenn Meta aktuell in Europa an andere Gesetze gebunden ist, wird deutlich, dass es bei verschiedenen Online-Plattformen zu einem Richtungswechsel gekommen ist, der sich auf die Qualität der Netzwerke auswirken wird. Je weniger sich die großen Online-Plattformen ihrer Verantwortung stellen, desto wahrscheinlicher werden diese auch von Rechtsextremen und anderen autoritären Akteur:innen instrumentalisiert werden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt feststellen: CeMAS konnte die Fortführung mehrerer russischer Einflusskampagnen dokumentieren, die sich mit zeitlicher Nähe zur Wahl immer mehr auch gegen demokratische Parteien in Deutschland richteten und eine Unterstützung der AfD propagierten.
Im rechtsextremen und verschwörungsideologischen Bereich unterstützen alle Kräfte die AfD; außerdem gibt es verschiedene Aufrufe von Rechtsaußen-Organisationen zu Wahlbeobachtungen, die das Narrativ des Wahlbetrugs vorbereiten, falls es nicht zum gewünschten Ergebnis kommt. Gefährlicher als solche Kampagnen ist aber das systemische Kippen der digitalen Social-Media-Kommunikationsräume in eine antidemokratische und anti-faktische Richtung, was mehr Desinformation und weniger Schutz für schutzbedürftige Gruppen bedeutet, die damit aus dem digitalen Diskurs ausgeschlossen werden.
