BONN. (hpd) Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler John David Seidler legt mit "Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse" eine Studie zur Bedeutung von Medien für die Verbreitung von Konspirationsvorstellungen vor. Damit bereichert er die Forschung zum Thema und kann die Relevanz von Medien überzeugend begründen, wobei dies gleichwohl überaus umständlich und mit dem nicht ganz passenden Mittel der Textanalyse geschieht.
Wie bedeutsam ist das Internet bei der Verbreitung von Verschwörungsvorstellungen? Sehr groß, muss wohl die Antwort lauten. Denn von dubiosen Konspirationsthesen ist man heute nur noch einen Mausklick entfernt. Das war in früheren Zeiten anders. Genau diese Feststellung lässt eine weitere Frage aufkommen, nämlich die nach dem Kontext von Medien und Verschwörungsvorstellungen. Ihr geht der Kultur- und Medienforscher John David Seidler in seiner Arbeit "Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse" nach. Das aus einer Dissertation hervorgegangene Buch will erläutern, inwiefern die Medien zur Entstehung, Glaubwürdigkeit und Konjunktur von modernen Verschwörungsvorstellungen als Wahrheitserzählungen beitragen. Dieser besondere Aspekt fand in der Forschung bislang kaum Aufmerksamkeit, obwohl doch gerade die unterschiedlichen Medien die Inhalte von Konspirationsvorstellungen zu ihren Anhängern und damit in die Öffentlichkeit transportieren.
Am Beginn von Seidlers Arbeit steht eine umfangreiche Einleitung, die fast schon ein Drittel des Textes einnimmt. Es geht darin um die Entwicklung einer Arbeitsdefinition für "Verschwörung" ebenso um eine Erörterung zu der umfangreichen Forschungslage. Ausgangspunkt für die Betrachtung ist folgende Annahme: "Die narrative Struktur verschwörungstheoretischer Erzählungen ... ist Abbild und Artikulation des medienontologischen Verdachts. Davon ausgehend stellt die ... Arbeit die Frage, inwiefern die Konjunkturgeschichte der Verschwörungstheorie auch mit der Geschichte der Medien korreliert" (S. 95). Um diesem Erkenntnisinteresse nachzugehen, entwickelt der Autor eine Untersuchungsmethode. Dabei geht er anhand von Fallbeispielen in Textform verschwörungsideologischem Wirken in drei Zeitetappen nach: zunächst die Ära um die Französische Revolution, dann die Konspirationsvorstellungen im 19. Jahrhundert und schließlich das Verschwörungsdenken im Internet-Zeitalter ab 2000.
Den jeweiligen Fallstudien sind Ausführungen zum medialen Kontext vorgeschaltet, bedeutet doch etwa die exklusive und massenhafte Verbreitung von Printmedien ebenso jeweils etwas anderes wie der umfassende Zugang zu Internet-Informationen. Erst danach folgen Analysen von historischen Quellen, wobei es um die Autoren einschlägiger Verschwörungstexte von Augustin Barruel über Theodor Fritsch bis zu Ken Jebsen geht. Bilanzierend heißt es dann: "Für historische Konjunkturen von Verschwörungstheorien sind neben den bereits klassischen Erklärungsmodellen auch mediale Konstellationen als Faktor für Genese und Glaubwürdigkeit der Erzählungen bedeutsam. Verschwörungstheorien haben dann Konjunktur, wenn die medialen Konstellationen in besonderer Weise dazu tendieren, einen medienontologischen Verdacht auszulösen, der sich dann in Verschwörungstheorien äußert" (S. 318). Daher müssten auch die einschlägigen Auffassungen von vor 1800 aufgrund der "neuen Medialität" von den dann modernen Varianten unterschieden werden.
Seidler kommt das Verdienst zu, die Forschung über Konspirationsvorstellungen um die Mediendimension bereichert zu haben. Dabei hätte er indessen die Besonderheit des Internet noch stärker hervorheben können. Zuvor war es meist umständlich, an einschlägige Literatur heranzukommen. Über den PC haben Interessierte dubiose Verschwörungsvorstellungen direkt vor sich. In der Gesamtschau überzeugt die Grundposition des Autors. Gleichwohl fragt man sich, ob es eines solch umständlichen Weges zu diesem Ziel bedarf. Auch ist die Einleitung viel zu lang geraten. Man erhält gleichwohl einen interessanten Überblick zum Forschungsstand, wobei dort nicht alle Positionen wirklich korrekt vorgetragen werden. Wenn es um eine Medienbetrachtung geht, erschließt sich auch nicht direkt, warum es dazu einer Textanalyse diverser Quellen bedarf. Dort geht es ja um Inhalte, weniger um Verbreitung. Gleichwohl kann der Autor eine Kernthese seiner Arbeit, dass Konspirationsvorstellungen auch als Effekt der Mediengeschichte zu verstehen sind, überzeugend belegen.
John David Seidler, Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse, Bielefeld 2016 (transcript-Verlag), 368 S., ISBN 978-3-8376-3406-8, 39,99 Euro
3 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
Leider scheint das Buch ein wichtiges Thema nur zu streifen, nämlich weniger das was (!) wir denken als vielmehr das wie (!) wir denken und daraus folgend wie wir zu unseren Schlussfolgerungen kommen.
Dann wäre womöglich aufgefallen, dass weniger die Medien (Verschw.theorien gab es schliesslich bereits in vormedialer Zeit, siehe Mittelalter) als vielmehr unsere Denkweisen eine Rolle spielen.
Martina am Permanenter Link
Da führt die Rezension leider etwas in die Irre.
Willi Xram am Permanenter Link
"Die narrative Struktur verschwörungstheoretischer Erzählungen ...