BERLIN. (hpd) Am vergangenen Samstag ist Christian Brücker gestorben. Mit ihm verliert der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) einen profilierten Verfechter konsequenter Religionsfreiheit, der den Verband über zwei Jahrzehnte hinweg mitgeprägt hat.
Wie bedeutend Christian Brückers Beitrag zum öffentlichen Erscheinungsbild des IBKA ist, werden viele in der säkularen Szene nicht wahrgenommen haben, da er ein zurückhaltender Mensch war. Seine Stärke lag eher in der Konzeption, Diskussion und Ausformulierung von Texten als in der mitreißenden Rede. So trägt das Grundsatzprogramm des IBKA, der Politische Leitfaden, in zahlreichen Passagen seinen Stempel; auch für mehrere vom Bundesverfassungsgericht angefragte Stellungnahme zeichnete er verantwortlich.
Seine Position war gekennzeichnet von einem sehr weitreichenden Verständnis von Religionsfreiheit, der er im Zweifelsfall den Vorrang vor der Religionskritik einräumte. Die Überschrift eines Beitrags zur Frage des Kopftuchverbots, den er für MIZ verfasste, umreißt ziemlich genau eine seiner Ausgangsthesen: "Keine Freiheit durch Verbote".
Leitkultur Demokratie
Den Bemühungen, die Konfessionslosen zur einer dritten Konfession zu machen oder eine humanistische Leitkultur zu etablieren, stand er skeptisch gegenüber. In einem Aufsatz kritisiert er jede weltanschaulich begründete Politik und fordert stattdessen eine auf demokratischen Werten gegründete Leitkultur, der alle, Religiöse wie Ungläubige, aus ihren jeweils eigenen Gründen zustimmen können, ohne sie für die eigene Weltanschauung zu vereinnahmen.
Sein klares, stets logisches Denken ließ den promovierten Mathematiker erkennen, brachte ihm manchmal aber auch den Vorwurf der Eindimensionalität ein. So blieben auch innerhalb des IBKA seine Vorstellungen von weltanschaulicher Neutralität nicht unwidersprochen.
Langjährige Vorstandsarbeit
Für das Vereinsmitglied Christian Brücker war charakteristisch, dass er Verantwortung in unangenehmen Situationen übernahm und Posten bekleidete, um die sich niemand riss. Als der IBKA 1998 unmittelbar vor dem Aus stand, war er als neuer Vorsitzender maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Verein finanziell konsolidieren konnte und politische wieder handlungsfähig wurde. In den folgenden Jahren stellte er sich mehrfach als Finanzleiter zur Verfügung. Insgesamt war er mehr als 15 Jahre im Bundesvorstand tätig; nach seinem Rücktritt im Sommer 2015 blieb er im Landesvorstand NRW aktiv. Auch seinen Platz im Vorstand des Koordinierungsrates Säkularer Organisationen (KORSO) behielt er.
Christian Brücker war, in jeglicher Hinsicht, ein eigensinniger Mensch. Er vertrat seine Meinung gut begründet und scheute auch den Konflikt nicht. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein, zumal die Grenze zwischen Eigensinn und Uneinsichtigkeit sicherlich oft schwer zu bestimmen ist.
Dem IBKA wird sein langjähriges Vorstandsmitglied, gerade in der Leitfaden-Kommission, fehlen. Und die säkulare Szene darf bedauern, dass Christian Brücker sein Vorhaben, wieder mehr Artikel zu schreiben und so für inhaltlichen Input zu sorgen, nicht mehr in die Tat umsetzen konnte. Denn sein Eigensinn und der Widerspruch, den dieser provozieren konnte, hätten noch so manche Debatte vorantreiben können.
3 Kommentare
Kommentare
Rudolf Ladwig am Permanenter Link
Christian Brücker hat den Begriff der "Leitkultur" in allen Varianten vehement abgelehnt.
Er schrieb - siehe http://www.miz-online.de/Archiv/4-06/Humanist-Farm :
"Die demokratischen Grundwerte bedürfen keiner religiösen, humanistischen oder sonstigen Begründung, denn sie sind aus sich selbst heraus werthaft. Eben dies ist ja nicht nur der Grund, weswegen sie von der Aufklärung verfochten wurden, sondern auch die Grundlage ihrer Durchsetzungsfähigkeit."
Daniel Gotthardt am Permanenter Link
Diese klare Ablehnung jedweder Leitkultur wurde auch in dem Rundbrief-Artikel deutlich, den Christian und ich 2007 gemeinsam verfasst haben:
IBKA-Rundbrief Dezember 2007, S. 31-33
>>Daniel Gotthardt und Christian Brücker
Weltanschauliche Neutralität:
Toleranz gegenüber Intoleranz?
Seit jeher fordert der IBKA die (religiös-)weltanschauliche Neutralität des Staates. Ist diese Position aber noch zeitgemäß angesichts eines erstarkenden religiösen Fundamentalismus? Müssen wir der Staatsverfassung nicht eine welt¬anschauliche Position zu Grunde legen? Brauchen wir eine Leitkultur? Sollen wir die demokratischen Werte stärken?
Diese Fragen erinnern an das Böckenförde-Diktum, dass der freiheit¬liche, säkularisierte Staat von Vorausset¬zungen lebe, die er selbst nicht garan¬tieren könne. Doch was ist eigentlich die weltanschauliche Neutralität – was be¬deutet die Forderung nach dieser staat¬lichen Neutralität? Offensichtlich ist nicht der Status quo gemeint, in dem die Recht¬sprechung die christlichen Großkirchen privilegiert. Weltanschauliche Neutralität verlangt eine strikte Trennung von Staat und Kirche; sie baut auf den Grund¬rechten auf, sie soll Gleichheits¬grundsatz und Weltanschauungsfreiheit garantieren. Aus diesen und anderen Grundsätzen des demokratischen Verfas¬sungsstaates ist die weltanschauliche Neutralität abgeleitet, sie ist damit also kein Selbstzweck.
Wir meinen, dass nur ein wirklich weltanschaulich neutraler Staat gleiche Grundrechte für alle garantieren kann, insoweit muss auch mit einem Irrtum aufgeräumt werden: Weltanschauliche Neutralität bedeutet nicht Wertneutralität. Sie ist für uns unentwirrbar verwoben mit den Normen des Grundgesetzes, die eine verbindliche Wertegrundlage in unserem Staat darstellen. Folglich ist sie also im
Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sehen; die Neutralität des Staates stellt somit gerade nicht Demokratie und Menschenrechte zur Disposition der Religionen und anderer Weltanschauungen.
Wenn nun eine weltanschauliche Fun¬dierung dieser Werte gefordert wird, so kann dies zum einen daher rühren, dass das Vertrauen in die eigenständige Trag¬fähigkeit dieser Werte fehlt. Entweder, weil ihr Grundgehalt verkannt wird, oder aber, weil die Bereitschaft der Menschen angezweifelt wird, diese Werte zu akzep¬tieren. Die Grundrechte genügen sich aber selbst. Sie finden ihre Basis in dem Ziel der offenen Gesellschaft, den Interes¬sen der Bürger unseres Staates und durch ihren universellen Charakter in den basalen Bedürfnissen aller Menschen. Sie setzen sich wegen ihrer Vorteile für die Menschen durch; dass sie heute wenigs¬tens formal für alle Menschen gelten, verdan¬ken wir dem hartnäckigen Kampf gegen Machteliten, die diese Werte nur für sich selbst beanspruchen wollten. Wer also die Grundrechte verbind¬lich an eine Weltan¬schauung knüpfen will, verletzt damit das humanitäre Inte¬resse an deren Universa¬lität. Es kann gerade nicht im Sinne auf¬klärerischen Denkens sein, An¬hänger irgendeiner Weltsicht von vorn¬herein auszuschließen. Die Menschen einigen sich auf diese Konventionen, weil es für sie sinnvoll ist. Welche andere Recht¬fertigung sollte es für universelle Men¬schenrechte geben als die, dass sie den Menschen im Allge¬meinen nutzen, indem sie geeignete Problemlösungs¬strategien darstellen?
Der Verzicht auf eine solche Fun¬dierung bedeutet daher keineswegs, dass entgegenstehenden Weltanschau¬ungen gegenüber nachgegeben werden müsste, sondern ganz im Gegenteil: Gerade die weltanschauliche Neutralität erlaubt es, Weltanschauungen diesen Werten unter¬zuordnen, ohne dass dies weltanschau¬liche Intoleranz wäre. Denn die neutrale Ordnung weist alle gleicher¬maßen in die Schranken; es ist für die Befolgung der Normen irrelevant, aus welchen Gründen jemand diese vertritt – auch Wider¬sprüche zwischen eigenem Glauben und tatsächlich gelebten Normen sind nicht Sache des Staates. Er hat sich durch das Grundgesetz selbst beschränkt, um einen erneuten Totalitarismus zu verhindern, deshalb steht ihm auch keine Deutungs¬hoheit über das Denken seiner Bürger zu. Wo sich aber Intoleranz zeigt, wo nachweislich gegen die freiheitlich-demo¬kratische Grundordnung vorgegan¬gen wird, können nach Artikel 18 des Grund¬gesetzes grundrechtliche Freiheiten ver¬wirkt werden – der weltanschaulich neutrale Staat ist also schon wehrhaft: Nachweisbare Intoleranz wird nicht toleriert, ohne dass dabei der rechtsstaat¬liche Grundsatz des in dubio pro reo missachtet wird.
Vielmehr würde eine Bindung der demokratischen Wertordnung an eine maßgebende, einflussreiche Weltanschau¬ung bedeuten, dass nicht mehr die Grund¬ordnung oberstes Staatsprinzip ist, son¬dern diese Weltanschauung. In den Ver¬suchen der Kirchen, die demokratische Grundordnung religiös begründen zu wollen, kann daher der Ansatz gesehen werden, die Menschenrechte der Kon¬trolle der Religion zu unterwerfen, oder zumindest, eine Unterwerfung der eige¬nen Gemeinschaft unter die allgemeinen Regeln zu verhindern.
Nicht immer wird der Einwand gegen die weltanschauliche Neutralität so fun¬damental erhoben, wie oben beschrieben. Eine weniger gravierende Form des Kulturrelativismus, die mit der neutralen Position unterstellt wird, ist die Vor¬stellung, dass einzelne Religionen durch eine neutrale Haltung freie Hand nach innen hätten. Auch hier liegt ein Miss¬verständnis vor, denn zwar ist die welt¬anschauliche Neutralität Grundlage einer pluralen Gesellschaft, aber die eines indi¬viduellen Pluralismus. Nicht umsonst ist eines der Satzungsziele des IBKA die individuelle Selbstbestimmung – die indi¬viduellen Grundrechte schränken nicht nur den Staat ein, sie verpflichten ihn auch, den Raum für sie zu schaffen und zu sichern, auch gegenüber Weltanschau¬ungen.
Es ist jedoch nicht nur so, dass es dem weltanschaulich neutralen Staat verwehrt ist, weltanschaulich bedingte Regeln zur verbindlichen Norm zu erheben. Denn würde die Gesellschaft zwar als Ganzes auf weltanschaulich bedingte Gesetzes¬normen verzichten, jedoch den einzelnen Weltanschauungen gestatten, ihren je¬weils eigenen, nach ihren Normen ver¬fassten abgegrenzten Raum zu formen, so würde das diesem zugeordnete Indi¬viduum gerade nicht mehr in einem weltan¬schaulich neutralen Staat leben. Nicht nur der Gesellschaft als Ganzes ist daher der Bezug zu weltanschaulichen Normen zu verwehren, sie kann es auch ihren Teilen nicht gestatten, weltanschau¬liche Regeln zur verbindlichen Norm für ihre Mit¬glieder zu erheben. Zwar dürfen die Gemeinschaften eigene Regelungen auf¬stellen, aber das Gewaltmonopol ge¬bührt weiterhin allein dem Staat.
Dem Individuum bleibt es natürlich unbenommen, sich freiwillig zusätzlichen Werten – auch denen von Weltanschau¬ungsgemeinschaften – zu unterwerfen. Der Staat muss jedoch dafür Sorge tragen, dass es eine individuelle Entschei¬dung ist. Es muss jederzeit garantiert sein, dass der Einzelne sich der Weltanschauungsgemeinschaft entziehen kann. Zudem sind die Gemeinschaften nicht befugt, Recht zu sprechen – Freiheitsentzug beispielsweise darf nur von staatlicher Seite vollzogen werden. Es widerspricht keineswegs der welt¬anschaulichen Neu¬tralität, einen Staat im Staate nicht zu dulden.
Das individuelle Recht, sein Leben nach eigener Façon zu gestalten, kann nicht darauf beschränkt werden, zwischen verschiedenen vorgeschnürten Paketen zu wählen, sondern muss die Möglichkeit umfassen, dieses individuell zusammen¬zustellen. Das Individuum muss von staatlicher Seite als Glied der gesamten Gesellschaft betrachtet werden, niemals als Glied einer Teilgesellschaft.
Es bedarf also keiner „Leitkultur“, sondern nur eines weltanschaulich neutra¬len Staats, dessen grundrechtlich vorge¬schriebene Normen ein friedliches Zu¬sammenleben garantieren. Dem Staat stehen genügend Mittel zur Verfügung, um gegen Intoleranz vorzugehen, und er muss religiösen Extremismus, der sich gegen die freiheitliche Grundordnung richtet, genauso wenig hinnehmen, wie politi¬schen.<<
gs am Permanenter Link
Hat Christian nicht. In dem zitierten Aufsatz lautet eine Zwischenüberschrift „Leitkultur Demokratie“.