Warum der Zentralrat der Konfessionsfreien für mich ein Highlight des Jahres war

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Der Autor mit dem Logo des Zentralrats der Konfessionsfreien
Der Autor mit dem Logo des Zentralrats der Konfessionsfreien

2022 war wieder so ein krasses Jahr. Da sich die Welt nicht in eine Richtung bewegt, sondern gleichzeitig in viele, ist es ratsam, den eigenen Kompass immer wieder zu überprüfen. Der von unserem Autor, dem Grafiker Peder Iblher, hat ihn dazu gebracht, für "den Zentralrat" zu arbeiten. Ein persönlicher, politischer Jahresrückblick.

Nationalismus, Autoritarismus, Religion – dieser alte, chauvinistische Dreiklang hat in den vergangenen Jahren ein überraschendes Comeback erlebt. Als sei der Fortschritt selbst in Bedrängnis geraten: Statt Aufklärung und fairer Weltgemeinschaft triumphierten nun wieder Geostrategie und bigottes Kleptokratentum. Patriarchen vom Schlage Trump und Erdoğan, Orbán und Bolsonaro hielten die liberale Demokratie für schwach – und manche erklärten mit Genugtuung das Projekt der Moderne schon für beendet.

Doch sind Führer, Gott und Vaterland ja nun beileibe keine Lösungen für die Fragen unserer Zeit. Und so hat das Jahr 2022 dieser "neuen alten" Weltsicht wiederum hart zugesetzt: Putin hat seinen Führerstaat auf die Probe gestellt – und sehr wahrscheinlich wird es für ihn nicht gut ausgehen. Die iranische Revolution, die einmal Startschuss der allgemeinen Islamisierungswelle war, ist moralisch für alle sichtbar am Ende. Und selbst der Vorsitzende der KP Chinas musste feststellen, dass er sein Milliardenvolk niemals ganz kontrollieren können wird.

Doch auch die liberalen Demokratien mussten einige bittere Lektionen lernen: Dass sie durch Propaganda viel zu leicht verwundbar sind. Dass die Globalisierung Grenzen hat und nicht zum Weltfrieden führt. Dass mit militärischer Gewalt noch immer zu rechnen ist. Und dass die langen Schatten der Kolonialgeschichte mit dem Tod der Queen noch immer nicht vergessen sind.

Nichts ist legitim, was nicht einer stetigen Prüfung unterliegt

Politik muss sich prüfen lassen. Die Demokratie muss sich gegen ihre Gegner wehren, sich aber von ihren Freunden kritisieren lassen. Und damit kommen wir zu einem kleineren, aus meiner Sicht aber beachtlichen Ereignis des Jahres 2022: Bei uns in Deutschland hat sich der Zentralrat der Konfessionsfreien formiert und seine Lobbyarbeit aufgenommen. Von einer Sternstunde war die Rede. Und tatsächlich markiert dies einen Punkt, an dem unsere Gesellschaft sich bewusst macht, dass sie ganz überwiegend säkular denkt und fühlt, aber vielerorts noch nicht danach lebt.

Kampagnen-Bild zu Weihnachten des Zentralrats der Konfessionsfreien

Zum Jahresende hat der Zentralrat der Konfessionsfreien einen Spendenaufruf gestartet, damit er seine erfolgreich begonnene Arbeit auch im neuen Jahr fortsetzen kann.

Atheisten waren mir schon immer sympathisch. Sie sagen geradeheraus: "Ich glaube da nicht dran, also quatsch' mich nicht voll." Aber daneben gibt es ja noch viele andere Spielarten der Konfessionsfreiheit. Es gibt grübelnde Agnostiker, empörte Religionsopfer, verbitterte Querulanten und Ex-Esoteriker, es gibt aufklärerische Säkularisten, unverbesserliche Individualisten, menschenfreundliche Humanisten, provokante Hedonisten und Mischungen daraus und vieles mehr. Vor allem aber gibt es viele unbekümmerte junge Menschen, denen Religion herzlich egal ist – solange sie nicht in Konflikt damit geraten.

Der Zentralrat macht jetzt etwas wirklich Cooles: Er verwandelt den diffusen, oft unbewussten Zustand der "Religionslosigkeit" in eine positive Identität – die Konfessionsfreiheit. Und er erhebt seine Stimme nicht nur im Namen partikularer Interessengruppen, sondern auf der Basis gesellschaftlicher Mehrheiten.

Wie will man dieses Spektrum säkularer Menschen unter einen Hut bringen?

Nun, eines haben sie ja alle gemeinsam: Der Theaterdonner um die Götzen, Propheten und Götter dieser Welt beeindruckt sie nicht. Dahinter wittern sie allenfalls Machtmissbrauch – und oft liegen sie damit richtig. Von heiligen Männern (sic!) erwarten sie keine glaubwürdigen Antworten auf die Fragen der Zeit. Sie haben bessere Anreize als das Himmelreich oder die ewige Verdammnis. Sie haben verstanden, dass sie nicht der auserwählte Mittelpunkt der Welt sind, sondern ein Mensch unter 8 Milliarden, ein Punkt im Universum, ein Wunder der Natur.

Was nach dem Tod kommt? Ganz einfach: Dasselbe wie vor der Geburt. Die Welt – ohne mich. Mit einem entscheidenden Unterschied: Ich werde gelebt haben. Ich werde versucht haben, das Beste daraus zu machen. Werde Spuren hinterlassen und Fehler gemacht haben, ein kompletter Mensch gewesen sein, die Welt mit allen Sinnen erfahren haben. Als Teil einer Geschichte, die weitergeht – und zwar hoffentlich möglichst erfreulich.

Wer also heute einen Abgesang auf den modernen Menschen anstimmt, verkennt, dass diese Erkenntnis in voller Tiefe gerade erst bei der Mehrheit angekommen ist. Die Konfessionsfreien vor hundert Jahren (von Adler bis Zetkin, von Feuerbach bis Tucholsky) waren nur die Vorhut. Ihr modernes Denken und Fühlen ist sehr langsam, aber sicher Mainstream geworden. Es wurde einfach Zeit, dass diese Gemeinsamkeit formuliert und gegen die Relikte aus alten Zeiten in Stellung gebracht wird.

Nimm das, Steve Bannon!

So kann man es also auch sehen: Das Aufbäumen gegen die liberale Demokratie, gegen die offene Gesellschaft und die ständige Überprüfung einfacher Gewissheiten, ist ein Rückzugsgefecht. Mit Religion, Führerkult und Nationalismus sind drei Prinzipien auf dem Rückzug, die uns Jahrhunderte lang bestimmt haben. Die Identität der Einzelnen, ihr Platz in der Gesellschaft, war früher nicht nur in Stein gemeißelt, sondern oft gar nicht anders vorstellbar. In der heutigen Zeit stellen sich ganz andere Fragen.

Herbert Steffen, der kürzlich verstorbene Mäzen und wichtige Stifter in der säkularen Szene, hat all diese Zustände durchlebt, denn er stammte, wie er schrieb, quasi aus dem Mittelalter. Dass ihm der Zentralrat der Konfessionsfreien ein besonderes Herzensanliegen war, hat er mir in unserem letzten Gespräch im Januar noch einmal eindringlich erklärt. Da war schon klar, dass Philipp Möller den Vorsitz übernehmen wird und der Zentralrat bald, aber vor allem nachhaltig an den Start gehen kann. Dass es ihn nun gibt, trotz aller Widerstände, und wie konstruktiv er arbeitet, ist für mich ein hoffnungsvolles Zeichen.

So war es in diesem Jahr eine sinnstiftende Arbeit für mich, den Auftritt und die Kommunikation des Zentralrats mit formen zu helfen. Eine zeitgemäße, offene und wertschätzende Kommunikation gehört nun mal dazu, wenn man sich glaubwürdig für die säkulare Sache stark machen will. Dass dies auch intern funktioniert, zeigte sich in den Ergebnissen eines fantastischen Teamworks. Das neue Logo der Konfessionsfreien bringt es auf den Punkt: Es ist Leitstern und Leerzeichen, ein Geburtssymbol oder ein tanzender Mensch, eine Bündelung vielfältiger Kräfte. Genau so sollte es sein!

In der Strategieklausur, die wir im Spätsommer mit Mitgliedern der 13 Mitgliedsverbände durchgeführt haben, gab es für mich noch eine frappierende Erkenntnis: Der Zentralrat der Konfessionsfreien ist eine vorübergehende Organisationsform, er arbeitet im Grunde an seiner eigenen Abschaffung. Ihm geht es weder um Pfründe und Posten, um Dienstwagen und Titel, noch um humanistische Kultur oder Philosophie. Sondern um das Prinzip des Säkularismus, der konsequenten Trennung von Staat und Religion. Ist diese erreicht – dann kann man sich getrost anderen Themen zuwenden. Bis dahin gibt es allerdings noch einiges zu tun, wie die gewichtige politische Agenda des Zentralrats zeigt.

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