BERLIN. (hpd) Wie viele Füchse es in Berlin gibt, weiß keiner so genau. Bis zu 3.000 schätzt man, 1.000 mindestens. Mitte der fünfziger Jahre tauchten sie zuerst in der Spreemetropole auf. In den Dreißigern aber schon in den südenglischen Städten, zunächst in Bristol und London, später dann in französischen Großstädten. "Der Fuchs in der Stadt" heißt Lutz Artmanns in Berlin entstandenes Fotobuch mit informativen kurzen Texten.
Sie kennen uns genau, viel genauer als wir sie. Sie kennen unseren Tagesablauf. Meist meiden sie uns. Deshalb begegnen wir ihnen nur selten. Unterwegs sind sie, wenn die meisten von uns schlafen, in der Nacht. Dann scheuen sie auch die City nicht.
Diese Caniden, hundeartigen Raubtiere, bewohnen, und damit erwachte das besondere Interesse von Lutz Artmann, der im Hauptberuf Architekt ist, die Räume der Stadt, die nicht mehr genutzt werden, und die, welche noch nicht genutzt werden - Baustellen. Die Orte, die unfertig sind, und diejenigen, die am meisten der Veränderung unterliegen, sind die bevorzugten Wohnquartiere der Füchse. Und sie siedeln dort, wo die Menschen meist nur ganz selten sind, auf den Friedhöfen.
Aber auch so manche Berliner Schule hat ihre Fuchsfamilie. So wie die Katholische Schule in Kreuzberg. Und hinter der Amerika-Gedenkbibliothek vor dem Fenster der Abteilung für Kinder und Jugendliche zog eine Fähre ihre Jungen groß. Die Kinder vom Kiez konnten die Welpen beim Spiel beobachten. Selbst der Grund unter dem Büro-Container des Hauses der Kulturen der Welt war ein Fuchsquartier. Vor dem Kanzleramt nebenan wurde Reineke Fuchs von vielen Bürgern schließlich zu jeder Tageszeit abgelichtet.
Seit 1984 fotografiert Lutz Artmann, erst Architektur, über Jahre galt dann seine Leidenschaft den Turmfalken und Habichten der Stadt. Auf dem Tempelhofer Feld gelangen ihm großartige Aufnahmen. Nun also die Füchse. Vor dem alten Gemäuer von Familiengrüften. Auf Baustellen. Auf dem Kopfsteinpflaster auf Mäusejagd.
Viel von der Erfahrung des Architekten steckt in der ausgewogenen Komposition der Bilder, im Spiel mit Licht und Schatten, im Changieren zwischen Tiefe und Nähe. Jedes Bild zeigt den Fuchs mit einem anderen Ausdruck. Immer ganz Aufmerksamkeit, scheinen diese Tiere fast ein Mienenspiel zu haben. Möglich wäre es. Einsame Jäger sind sie nicht.
Sie leben geradezu in Großfamilienverbänden miteinander, bis jeder der Nachkommen sich ein eigenes Revier erobert hat. Wie bei den Wölfen herrscht solange eine Leitfähe. Nur sie bekommt Nachwuchs. Familienplanung in der Natur. So funktioniert sie hier in der Stadt, wo die Populationsdichte hoch ist, auch unter den Tieren.
Sie leben hier unter uns, weil sie genau wissen, dass sie in der Stadt nicht gejagt werden. Dennoch leben sie hier gefährlich. Allzu oft fallen sie dem Verkehr zum Opfer. Die meisten Jungtiere überleben das erste Lebensjahr nicht.
Zu fürchten brauchen wir die Füchse unsererseits nicht. Seit 1996 gibt es keine Tollwut in Berlin mehr. Seit 2008 gilt ganz Deutschland unter den Landtieren als tollwutfrei. Freuen wir uns also an unseren "wilden" Füchsen. Das Baugelände des Berliner Stadtschlosses soll einige beherbergen. Noch. Denen, die keine Gelegenheit zur Direktbeoachtung haben, bleibt nun Artmanns wunderschönes Buch.
Lutz Artmann: "Der Fuchs in der Stadt", Oertel + Spörer Verlag Reutlingen 2016, 144 S. 24,90 Euro