Bundesverfassungsgericht zur Sterbehilfe

Zweite Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde zum § 217 StGB

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Der Beschwerdeführer: Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen
Beschwerdeführer Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen

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Saal im Bundesverfassungsgericht.
Saal im Bundesverfassungsgericht.

Der Beschwerdeführer Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen nimmt Stellung zur Ablehnung und klärt auf über Inhalt, Begründung und Betroffenheit: "Zur skandalösen Nicht-Zulassung meiner Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB."

Zum Grund und Inhalt meiner Beschwerde

Der völlig verfehlte und für Menschen, die am Ende ihres Lebens einer ärztlichen Suizidhilfe bedürfen, verhängnisvolle § 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung), ist ein unverschämter Eingriff ins Privatleben von Bürgern, die sich in Hinblick auf eine Selbsttötung nicht kirchlichen Moralvorstellungen verpflichtet fühlen. § 217 verletzt deren Recht, über Art und Zeitpunkt ihres eigenen Todes selbst zu bestimmen.

Ich habe deshalb beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 7.12.2016 beantragt, dieses gegen das Grundgesetz und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßende und nicht nur mein eigenes Leben schwer beeinträchtigende und bedrohende Strafgesetz für unverhältnismäßig, verfassungswidrig und nichtig zu erklären.

Meine Beschwerde beginnt wie folgt:

"Der Beschwerdeführer ist von § 217 StGB selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen:

Das Gesetz berührt mich schon jetzt insofern, als ich seit der Verabschiedung des § 217 StGB mit der großen Sorge lebe, dass ich bei schwerer, nicht mehr ausreichend zu behebender Einschränkung meiner Lebensqualität und nach wohlüberlegtem Wunsch, mein Leben auf humane Weise zu beenden, zum einen wegen des standesrechtlichen Verbots der ärztlichen Suizidhilfe durch die Ärztekammer Nordrhein, in deren örtlicher Zuständigkeit mein Wohnsitz liegt, zum andern wegen § 217 StGB keinen Arzt finden werde, der mir durch Verschreiben geeigneter Medikamente beim Suizid hilft. Sollte ich also nicht eines plötzlichen Todes sterben, und ich mir ein langes und schweres Leiden vor dem Tod (z.B. durch Krebs, eine neurodegenerative Erkrankung, Multimorbidität oder altersbedingtes Siechtum) ersparen möchte, stellt § 217 einen schweren Eingriff in meine Handlungsfreiheit dar. Ein Gesetz, dass mich eines Tages daran hindern könnte, auf humane Weise zu sterben und mich zwingen wird, gegen meinen Willen weiter zu leben und u. U. schwer zu leiden oder mich auf inhumane Weise umzubringen (Strick, Hochhaus, Bahn etc.), ist mir nicht zumutbar. Ebenfalls nicht zumutbar sind mir die mit dem Gesetz verbundene Verletzung meiner negativen Religionsfreiheit und etliche weitere Verstöße gegen mir staatlich garantierte Grundrechte."

Meine 110-seitige Beschwerde enthält zunächst eine Dokumentation über "Kirchen, kirchennahe Organisationen und christliche Abgeordnete als treibende Kräfte hinter dem § 217 StGB". Dieser Teil ist quasi ein Unterkapitel zu dem Buch von Carsten Frerk "Kirchenrepublik Deutschland" und zeigt, wie beharrlich und erfolgreich kirchliche Lobbyarbeit sein und die Trennung von Kirche und Staat unterlaufen kann. Es folgt ein Abschnitt über "Verbot und Ablehnung der ärztlichen Suizidhilfe durch medizinische Organisationen", die Lobbyarbeit für Palliativmediziner, Onkologen und andere Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie, Apotheken, Pflegeheime usw. geleistet haben und deren Funktionäre – allen voran solche des Malteserordens – zum Teil auch stark religiös motiviert waren. Meine "Kritik des § 217 als unklar, schlecht begründet und undemokratisch" verdeutlicht das über weite Strecken erbärmliche Niveau der Pro-217-Argumentation innerhalb und außerhalb des Bundestags. Vor diesem Hintergrund beschreibe ich die "Einschränkung meiner Handlungsfreiheit durch § 217", "Negative Folgen von § 217 für Bürger, bestimmte Berufsgruppen und den Staat" sowie die "Beeinträchtigung von Grundrechten des Beschwerdeführers durch § 217" und begründe, warum § 217 als verfassungswidrig anzusehen ist.

Den vollständigen Text meiner Beschwerde sowie weitere kritische Texte von mir und von anderen Autoren zu § 217 StGB findet man auf dieser Seite: www.reimbibel.de/217.htm

Christliche Abgeordnete des Bundestags als verlängerter Arm der Kirchen

Für die Annahme des Brand/Griese-Entwurfs im Bundestag am 6.11.2015 war eine große Koalition von teils linientreuen, teils wohl nur opportunistisch-gehorsamen, dem Appell ihrer Fraktionsvorsitzenden folgenden Christen und Christinnen der CDU/CSU und der SPD entscheidend. Auf der Basis der Angaben im Handbuch des 18. Deutschen Bundestags und eigener Internetrecherchen habe ich ermittelt, wie sich die Ja- und die Nein-Stimmen in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu den Fraktionen und Konfessionen verteilten:

Tabelle

Diese Tabelle belegt, dass das Abstimmungsverhalten stark vom religiösen bzw. nicht-religiösen Bekenntnis bzw. der Verweigerung eines Bekenntnisses abhängig war. Näheres siehe Punkt 2.9 meiner Beschwerde und Ergänzungen dazu: www.reimbibel.de/217e.pdf

Zur rein spekulativen und vorgeschobenen "Begründung" des § 217

§ 217 ist in erster Linie der Versuch, dem vermuteten "Willen Gottes" gerecht zu werden und die so genannte "Normalisierung" des ärztlich assistierten Suizids, wie sie in der Schweiz begonnen hat, zu verhindern. Die Kirchen halten nämlich bis heute das Leben für ein "Geschenk Gottes", über das der Mensch nicht verfügen dürfe. Sie lehnen daher den Suizid grundsätzlich ab.

Als 2005 in Hannover eine Filiale von Dignitas startete, trat noch am Tag der Vereinsgründung eine Allianz von Kirche und Staat in Erscheinung. Bischöfin Käßmann und Ministerin von der Leyen schalteten durch eine gemeinsame Pressemitteilung die Ampel auf Rot, und der Malteser-Lobbyist Eugen Brysch veranstaltete eine Demonstration gegen den "Todesexport aus der Schweiz".

Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen (Foto: © Evelin Frerk)
Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen (Foto: © Evelin Frerk)

Da es in Deutschland (noch) nicht möglich ist, ein Suizidhilfe-Verbot religiös zu begründen, suchte man nach Ersatzargumenten und sprach von Druck auf alte Menschen, "Selbstmord" zu begehen und der Gefahr einer Normalisierung (die hinsichtlich der ethischen Bewertung von Alterssuiziden längst eingetreten war). Der jetzige § 217 wurde dann vor allem damit "begründet", durch die Verfügbarkeit organisierter Suizidhilfe würden alte und/oder kranke Menschen, die von sich aus einen Suizid nicht erwägen würden, zu einem assistierten Suizid verleitet oder gar direkt oder indirekt gedrängt (S. 2 Brand/Griese-Entwurf). Für diese These wurde weder ein empirischer Beleg noch ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten vorgelegt.

Hinter § 217 stehen außer konservativen religiösen Überzeugungen vermutlich auch finanzielle Interessen. Allein schon die ambulante künstliche Beatmung bringt jährlich einen Umsatz von 3-5 Milliarden Euro pro Jahr (Schätzung des Palliativmediziners und Pro-§ 217-Aktivisten Thomas Sitte). Dagegen dürfte es sich bei dem angeblichen "Geschäft mit dem Tod", das nicht zuletzt durch den Begriff "geschäftsmäßig" im Wortlaut des § 217 suggeriert wurde, um vergleichsweise geringe Summen handeln. (Ebenfalls irreführend: die ständige Rede von einer "Beihilfe" zum Suizid, die gar nicht möglich ist, da Beihilfe nach § 27 StGB eine rechtswidrige Haupttat voraussetzt.) Und wichtig waren auch persönliche Abneigungen gegen die Suizidhelfer Minelli (Dignitas) und Kusch (Sterbehilfe Deutschland), denen – ohne juristisch verwertbare Belege – Verleitung zum Suizid und Bereicherungsabsichten vorgeworfen wurden. Die Klage der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Herrn Dr. Kusch wurde allerdings fünf Tage nach der Verabschiedung von § 217 durch das Landgericht Hamburg nicht zugelassen, was später das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigt hat. In Deutschland würde Kusch sich bei finanziellem Ausnutzen einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche eines anderen nach § 291 StGB strafbar machen. In diesem Sinne ist das von Bundeskanzlerin Merkel und vielen Abgeordneten beklagte "Geschäft mit dem Tod" also schon längst strafrechtlich verboten gewesen. In der Schweiz ist nach Art. 115 StGB Hilfe zum "Selbstmorde" aus "selbstsüchtigen Beweggründen" strafbar.

Ablehnung meiner Beschwerde – Die Entscheidung der 2. Kammer des 2. Senats des BVerfGs

Das BVerfG hat leider am 20.7.2017 durch die 2. Kammer des 2. Senats einstimmig beschlossen, meine Beschwerde (Az.: 2 BvG 2507/16) nicht zuzulassen. Sie erfülle nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG (was aus meiner Sicht nicht der Wahrheit entspricht) und sei mangels unmittelbarer und gegenwärtiger Beschwer nicht zulässig.

Der erste Teil der Begründung der Nicht-Zulassung meiner Beschwerde widerspricht dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)

Nach § 93a (2a) BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, "soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt".

Dies ist bei meiner Beschwerde der Fall, weil damit zu rechnen ist, dass § 217 bei vielen Menschen, die professionelle Suizidhilfe erhalten wollen, zu dramatischen Einschränkungen ihrer Freiheit führt. Die wichtige Frage, ob bzw. wie weit das Selbstbestimmungsrecht von freiverantwortlich handelnden Bürgern, die sich bei ihrem Suizid kompetente Hilfe wünschen, durch ein Gesetz eingeschränkt werden darf, ist bisher nicht vom BVerfG entschieden worden.

Nach § 93a (2b) ist eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, "wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht."

Meine Beschwerde erfüllt beide Kriterien. Ich habe dem BVerfG dargelegt, dass § 217 an neun Stellen meine Rechte aus den Artikeln 1, 2, 3, 19, 33 und 38 GG verletzt. Als im Bereich der Ärztekammer Nordrhein lebender Bürger droht mir der besonders schwere Nachteil, dass ich wegen des m.E. verfassungswidrigen standesrechtlichen Suizidhilfe-Verbots dieser Kammer einerseits und des Verbots der "geschäftsmäßigen" Suizidhilfe andererseits im Falle eines wohlüberlegten Suizidwunsches keinen professionellen Suizidhelfer finden werde. Das Bundesverwaltungsgericht hält eine solche Situation für Patienten nicht zumutbar (Urteil vom 2.3.2017, Rn. 35).

Zur geforderten unmittelbaren Betroffenheit

"Eine unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsaktes zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; m.w.N.)."

§ 217 bedroht mich zwar in Hinblick auf ein eigenes Suizidvorhaben nicht mit Strafe. Seine Folgen können mich aber in Zukunft unmittelbar treffen, d.h. es ist kein weiterer staatlicher Vollzugsakt notwendig, damit es zu Grundrechtsverletzungen dadurch kommt, dass mir an meinem Wohnort kein dort praktizierender oder von Auswärts anreisender Arzt auf meinen Wunsch hin beim Suizid hilft. Insofern bin ich also unmittelbar betroffen.

Zur geforderten gegenwärtigen Betroffenheit

Die Anforderung der Gegenwärtigkeit der Beschwer ist im Allgemeinen vernünftig, wird aber der Eigentümlichkeit des § 217 nicht gerecht, dessen Hauptwirkung der freiheitsberaubende Eingriff in das Privatleben von aus vernünftigen Gründen Suizidwilligen ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist ja weder als Suizidhelfer tätig, noch beabsichtigt sie gegenwärtig einen Suizid. Durch die – in meinem Fall leider rigid aufrecht gehaltene Forderung der Gegenwärtigkeit – wurde es den meisten Bürgern unmöglich gemacht, sich gegen § 217 zur Wehr zu setzen.

Wie ich in meiner Beschwerde ausgeführt habe, muss ich mir schon gegenwärtig wegen § 217 Sorgen machen, dass ich im Falle eines nachvollziehbaren Suizidwunsches keine kompetente Hilfe bekommen werde. Ich kann seit Ende 2015 diese Angst nicht dadurch reduzieren, dass ich Mitglied in einem Suizidhilfe-Verein werde oder zu Suizidhelfern Kontakt aufnehme.

Die hauptsächliche "Beschwer" droht mir aber tatsächlich nicht gegenwärtig, sondern zukünftig. Ich bin zwar schon über 70 Jahre alt, aber noch relativ gesund und beabsichtige gegenwärtig nicht, mein Leben durch Suizid zu beenden. Es besteht jedoch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass ich zukünftig wegen § 217 in eine Situation komme, in der ich kompetente Suizidhilfe benötige, aber nicht erhalten kann.

Das BVerfG konnte sich bei seiner Forderung nach Gegenwärtigkeit nicht auf das BVerfGG berufen, sondern nur auf eigene Entscheidungen, u.a. auf BVerfGE 74, 297 <319>. Nur eine Seite weiter heißt es dort allerdings: "Von einer gegenwärtigen Betroffenheit geht das Bundesverfassungsgericht aber auch dann aus, wenn … klar abzusehen ist, daß und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird." Und in meinem Fall ist klar abzusehen, dass und wie ich in Zukunft betroffen sein könnte. Es ist zwar nicht 100%ig sicher, dass ich jemals betroffen sein werde, eine realistische und eher wahrscheinliche als unwahrscheinliche Möglichkeit dazu besteht aber, und diese wurde vom BVerfG einfach ignoriert.

Die Nicht-Zulassung meiner Beschwerde wegen mangelnder gegenwärtiger Betroffenheit ist nicht vernünftig zu begründen. Und sie widerspricht nicht nur der Rechtsprechung des BVerfGs selbst, sondern auch dem "Recht auf wirksame Beschwerde" gemäß Artikel 13 der Europäischen Konvention der Menschenrechte:

"Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben."

Wie absurd es ist, anscheinend zu verlangen, dass ein Beschwerdeführer gegen § 217 schon dem Tode nah sein muss, sieht man an der folgenden Mitteilung des BVerfGs: "Das Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 762/16 ist durch Tod des Beschwerdeführers beendet worden.“

Zur Ablehnung meines Befangenheitsantrags gegen Bundesrichter Peter Müller

Abgelehnt hat das BVerfG außerdem meinen Befangenheitsantrag gegen Richter Müller und dazu festgestellt: "Richter Müller ist nicht zur Mitwirkung in diesem Verfahren berufen. Er gehört nicht der 2. Kammer des 2. Senats an." Damit hat das Gericht natürlich Recht. Meinen Antrag hatte ich für den Fall gestellt, dass sich nach der 2. Kammer auch der 2. Senat, dem Herr Müller angehört, mit meiner Beschwerde beschäftigt. (Es ist nicht auszuschließen, dass überhaupt keine Beschwerde den 2. Senat erreicht, sondern alle Beschwerden einstimmig von der 2. Kammer abgelehnt werden.)

Der Jurist Peter Müller hatte 2006 als Ministerpräsident des Saarlands gemeinsam mit den ebenfalls CDU-regierten Ländern Thüringen und Hessen den "Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung (... StrÄndG)", der bis zu fünf Jahren Gefängnis vorsah, dem Bundesrat vorgelegt. Dort hat dieser Entwurf keine Mehrheit gefunden, er diente aber später offensichtlich dem Brand/Griese-Entwurf als Vorlage. Mit Peter Müller, den bei seinem § 217-Entwurf offenbar keine verfassungsrechtlichen Bedenken plagten, würde das BVerfG bei einer Behandlung von Beschwerden gegen § 217 durch den aus acht Richter/inne/n bestehenden 2. Senat eindeutig den Bock zum Gärtner machen. Nach § 18 BVerfGG scheint das aber für das Gericht kein Problem zu sein.

Öffentliche Reaktionen auf die Nicht-Zulassung meiner Beschwerde

Am 20.7.2017 hat das BVerfG zwei von dreizehn Beschwerden nicht zugelassen: Die Beschwerde 2 BvR 2492/16 wurde mangels ausreichender Begründung zurückgewiesen. Der hpd hat darüber berichtet. Außerdem wurde meine Beschwerde (2 BvR 2507/16) wegen mangelnder Betroffenheit abgelehnt.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) gab dazu am 1.8.2017 eine Presse-Erklärung heraus, in der es heißt: "'Beide Entscheidungen freuen uns sehr, da sie uns auf eine sachgerechte Entscheidung in der eigentlichen Sache hoffen lassen', kommentiert der Präsident der DGHS, Professor Dieter Birnbacher."

Ansonsten: Schweigen im Blätterwalde. Dass einem noch relativ gesunden Bürger das Beschwerderecht gegen den für ihn extrem bedrohlichen § 217 abgesprochen wurde, hat noch keine Zeitung oder Rundfunkanstalt als problematisch angesehen und darüber berichtet. Dies könnte aber zum Teil auch daran liegen, dass in etlichen Meldungen nur das Aktenzeichen der als unbegründet eingestuften anderen Beschwerde mitgeteilt wurde.

Suizidhilfe in Europa

Suizidhilfe ist über 40 europäischen Ländern strafrechtlich verboten. Suizidhilfeverbote gibt es auch in der Schweiz und in den Niederlanden, aber dort sind unter Aufsicht der Behörden Ausnahmen in großem Umfang möglich geworden, so dass hier eine Humanisierung des Sterbens begonnen hat. "Im Jahr 2014 haben 742 Menschen mit Wohnsitz in der Schweiz von der Möglichkeit eines assistierten Suizids Gebrauch gemacht." (Quelle)

Das entspräche etwa 7400 assistierten Suiziden in Deutschland. Ein Versuch, die Suizidhilfe im Kanton Zürich zu stoppen, scheiterte 2011 an 84 Prozent Nein-Stimmen. Der Züricher Verein EXIT hatte Ende 2016 etwa 105.000 Mitglieder. Das entspräche über einer Million Mitglieder in einem deutschen Sterbehilfe-Verein und zeigt, wie groß in Wirklichkeit das Bedürfnis von Menschen ist, sich gegen ein langes und qualvolles Sterben abzusichern. Bei dem von Anfang an von den Kirchen, Politikern und Medien bekämpften Verein "Sterbehilfe Deutschland" lag dagegen die Mitgliederzahl maximal zwischen 600 und 700.

In den Niederlanden ist die Tötung auf Verlangen inzwischen fest etabliert. Während der assistierte Suizid selten geblieben ist, starben 2016 etwa 6.000 Menschen durch Tötung auf Verlangen (für die sich in Deutschland ebenfalls eine Mehrheit der Bürger ausspricht, die aber durch § 216 StGB verboten ist). In den meisten Fällen verabreichte der Hausarzt – ganz überwiegend zuhause – das tödlich wirkende Medikament. In Deutschland wären das etwa 40.000 Fälle pro Jahr.

§ 217 StGB ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Da der religiös und wohl auch finanziell und machtpolitisch motivierte § 217 StGB es tausenden von zurecht verzweifelten und daher suizidwilligen Menschen unmöglich macht, mit ärztlicher Hilfe auf sanfte, sichere und Dritte nicht unnötig schädigende Weise an einem Ort und zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl in Würde zu sterben, und sie stattdessen zwingt, gegen ihren Willen weiter zu leiden oder einsam und oft vorzeitig zu einer brutalen Suizidmethode zu greifen, halte ich dieses Gesetz für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wäre katastrophal und die "Absegnung" eines großen Schrittes in Richtung Mittelalter, wenn das BVerfG sich nicht dazu aufraffen würde, dieses furchtbare, dem Willen von Bischöfen, Malteserrittern, Frau Dr. Merkel und Herrn Dr. Montgomery, aber nicht der Mehrheit der Bevölkerung entsprechende Gesetz, das sogar die auf Wiederholung angelegte uneigennützige Suizidhilfe mit bis zu drei Jahren Gefängnis bedroht, für nichtig zu erklären. Ich befürchte und glaube aber, dass das Gericht entsprechend der Machtverhältnisse in Deutschland bestenfalls eine kleine Korrektur des Gesetzes verlangen und sich nicht in dubio pro libertate entscheiden wird.

redaktionelle Mitarbeit: Evelin Frerk

Bundesverfassungsgericht Karlsruhe (Foto: © Evelin Frerk)
Bundesverfassungsgericht Karlsruhe (Foto: © Evelin Frerk)


Empfohlene Bücher

Uwe-Christian Arnold: Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben. Rowohlt 2014

Carsten Frerk: Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus. Eine Annäherung. Alibri 2015

Frank Saliger: Selbstbestimmung bis zuletzt. Rechtsgutachten zum Verbot organisierter Sterbehilfe, Sterbehilfe Deutschland e.V. 2015

Roger Kusch: Der Ausklang. § 217 StGB verändert Deutschland. Sterbehilfe Deutschland e.V. 2016

Matthias Thöns: Patient ohne Verfügung: Das Geschäft mit dem Lebensende. Piper 2016

Friederike von Zezschwitz: Ärztliche Suizidbeihilfe im Straf- und Standesrecht. Logos 2016

Empfohlene Artikel im Internet

DGHS-Podiumsdiskussion am 21.4.2015: Wird Sterbehilfe zur Straftat? Deutsche Strafrechtler zur aktuellen Debatte um assistierten Suizid. Vorträge der Professoren Hilgendorf, Fischer, Saliger und Verrel.
www.dghs.de/fileadmin/userupload/Dateien/PDF/broschuren/BroschuereStrafjuristenprint.pdf

Videos dieser und weiterer Vorträge hier: https://www.youtube.com/watch?v=kZ4qTitAPZg

Michael Schmidt-Salomon für die Giordano-Bruno-Stiftung: "Massive Eingriffe in die Grundrechte". Giordano-Bruno-Stiftung unterstützt Verfassungsbeschwerden gegen das "Sterbehilfeverhinderungsgesetz" (§ 217 StGB) (eingereicht beim BVerfG am 27.9.2016)

Rosemarie Will für die Humanistische Union: "Ein Verstoß gegen die ethische Neutralität des Staates" (14.10.2016)

Jacqueline Neumann im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung: 2. Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB (eingereicht beim BVerfG am 28.2.2017)

Thomas Fischer: Vom Leben und vom Tod (ZEIT, 28.2.2017)

Karin Dalka: Das Recht auf den eigenen Tod (Frankfurter Rundschau, 6.3.2017)