Bundesverfassungsgericht zur Sterbehilfe

Zweite Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde zum § 217 StGB

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Der Beschwerdeführer: Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen
Beschwerdeführer Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen

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Saal im Bundesverfassungsgericht.
Saal im Bundesverfassungsgericht.

Der Beschwerdeführer Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen nimmt Stellung zur Ablehnung und klärt auf über Inhalt, Begründung und Betroffenheit: "Zur skandalösen Nicht-Zulassung meiner Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB."

Zum Grund und Inhalt meiner Beschwerde

Der völlig verfehlte und für Menschen, die am Ende ihres Lebens einer ärztlichen Suizidhilfe bedürfen, verhängnisvolle § 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung), ist ein unverschämter Eingriff ins Privatleben von Bürgern, die sich in Hinblick auf eine Selbsttötung nicht kirchlichen Moralvorstellungen verpflichtet fühlen. § 217 verletzt deren Recht, über Art und Zeitpunkt ihres eigenen Todes selbst zu bestimmen.

Ich habe deshalb beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 7.12.2016 beantragt, dieses gegen das Grundgesetz und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßende und nicht nur mein eigenes Leben schwer beeinträchtigende und bedrohende Strafgesetz für unverhältnismäßig, verfassungswidrig und nichtig zu erklären.

Meine Beschwerde beginnt wie folgt:

"Der Beschwerdeführer ist von § 217 StGB selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen:

Das Gesetz berührt mich schon jetzt insofern, als ich seit der Verabschiedung des § 217 StGB mit der großen Sorge lebe, dass ich bei schwerer, nicht mehr ausreichend zu behebender Einschränkung meiner Lebensqualität und nach wohlüberlegtem Wunsch, mein Leben auf humane Weise zu beenden, zum einen wegen des standesrechtlichen Verbots der ärztlichen Suizidhilfe durch die Ärztekammer Nordrhein, in deren örtlicher Zuständigkeit mein Wohnsitz liegt, zum andern wegen § 217 StGB keinen Arzt finden werde, der mir durch Verschreiben geeigneter Medikamente beim Suizid hilft. Sollte ich also nicht eines plötzlichen Todes sterben, und ich mir ein langes und schweres Leiden vor dem Tod (z.B. durch Krebs, eine neurodegenerative Erkrankung, Multimorbidität oder altersbedingtes Siechtum) ersparen möchte, stellt § 217 einen schweren Eingriff in meine Handlungsfreiheit dar. Ein Gesetz, dass mich eines Tages daran hindern könnte, auf humane Weise zu sterben und mich zwingen wird, gegen meinen Willen weiter zu leben und u. U. schwer zu leiden oder mich auf inhumane Weise umzubringen (Strick, Hochhaus, Bahn etc.), ist mir nicht zumutbar. Ebenfalls nicht zumutbar sind mir die mit dem Gesetz verbundene Verletzung meiner negativen Religionsfreiheit und etliche weitere Verstöße gegen mir staatlich garantierte Grundrechte."

Meine 110-seitige Beschwerde enthält zunächst eine Dokumentation über "Kirchen, kirchennahe Organisationen und christliche Abgeordnete als treibende Kräfte hinter dem § 217 StGB". Dieser Teil ist quasi ein Unterkapitel zu dem Buch von Carsten Frerk "Kirchenrepublik Deutschland" und zeigt, wie beharrlich und erfolgreich kirchliche Lobbyarbeit sein und die Trennung von Kirche und Staat unterlaufen kann. Es folgt ein Abschnitt über "Verbot und Ablehnung der ärztlichen Suizidhilfe durch medizinische Organisationen", die Lobbyarbeit für Palliativmediziner, Onkologen und andere Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie, Apotheken, Pflegeheime usw. geleistet haben und deren Funktionäre – allen voran solche des Malteserordens – zum Teil auch stark religiös motiviert waren. Meine "Kritik des § 217 als unklar, schlecht begründet und undemokratisch" verdeutlicht das über weite Strecken erbärmliche Niveau der Pro-217-Argumentation innerhalb und außerhalb des Bundestags. Vor diesem Hintergrund beschreibe ich die "Einschränkung meiner Handlungsfreiheit durch § 217", "Negative Folgen von § 217 für Bürger, bestimmte Berufsgruppen und den Staat" sowie die "Beeinträchtigung von Grundrechten des Beschwerdeführers durch § 217" und begründe, warum § 217 als verfassungswidrig anzusehen ist.

Den vollständigen Text meiner Beschwerde sowie weitere kritische Texte von mir und von anderen Autoren zu § 217 StGB findet man auf dieser Seite: www.reimbibel.de/217.htm

Christliche Abgeordnete des Bundestags als verlängerter Arm der Kirchen

Für die Annahme des Brand/Griese-Entwurfs im Bundestag am 6.11.2015 war eine große Koalition von teils linientreuen, teils wohl nur opportunistisch-gehorsamen, dem Appell ihrer Fraktionsvorsitzenden folgenden Christen und Christinnen der CDU/CSU und der SPD entscheidend. Auf der Basis der Angaben im Handbuch des 18. Deutschen Bundestags und eigener Internetrecherchen habe ich ermittelt, wie sich die Ja- und die Nein-Stimmen in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu den Fraktionen und Konfessionen verteilten:

Tabelle

Diese Tabelle belegt, dass das Abstimmungsverhalten stark vom religiösen bzw. nicht-religiösen Bekenntnis bzw. der Verweigerung eines Bekenntnisses abhängig war. Näheres siehe Punkt 2.9 meiner Beschwerde und Ergänzungen dazu: www.reimbibel.de/217e.pdf

Zur rein spekulativen und vorgeschobenen "Begründung" des § 217

§ 217 ist in erster Linie der Versuch, dem vermuteten "Willen Gottes" gerecht zu werden und die so genannte "Normalisierung" des ärztlich assistierten Suizids, wie sie in der Schweiz begonnen hat, zu verhindern. Die Kirchen halten nämlich bis heute das Leben für ein "Geschenk Gottes", über das der Mensch nicht verfügen dürfe. Sie lehnen daher den Suizid grundsätzlich ab.

Als 2005 in Hannover eine Filiale von Dignitas startete, trat noch am Tag der Vereinsgründung eine Allianz von Kirche und Staat in Erscheinung. Bischöfin Käßmann und Ministerin von der Leyen schalteten durch eine gemeinsame Pressemitteilung die Ampel auf Rot, und der Malteser-Lobbyist Eugen Brysch veranstaltete eine Demonstration gegen den "Todesexport aus der Schweiz".

Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen (Foto: © Evelin Frerk)
Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen (Foto: © Evelin Frerk)

Da es in Deutschland (noch) nicht möglich ist, ein Suizidhilfe-Verbot religiös zu begründen, suchte man nach Ersatzargumenten und sprach von Druck auf alte Menschen, "Selbstmord" zu begehen und der Gefahr einer Normalisierung (die hinsichtlich der ethischen Bewertung von Alterssuiziden längst eingetreten war). Der jetzige § 217 wurde dann vor allem damit "begründet", durch die Verfügbarkeit organisierter Suizidhilfe würden alte und/oder kranke Menschen, die von sich aus einen Suizid nicht erwägen würden, zu einem assistierten Suizid verleitet oder gar direkt oder indirekt gedrängt (S. 2 Brand/Griese-Entwurf). Für diese These wurde weder ein empirischer Beleg noch ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten vorgelegt.

Hinter § 217 stehen außer konservativen religiösen Überzeugungen vermutlich auch finanzielle Interessen. Allein schon die ambulante künstliche Beatmung bringt jährlich einen Umsatz von 3-5 Milliarden Euro pro Jahr (Schätzung des Palliativmediziners und Pro-§ 217-Aktivisten Thomas Sitte). Dagegen dürfte es sich bei dem angeblichen "Geschäft mit dem Tod", das nicht zuletzt durch den Begriff "geschäftsmäßig" im Wortlaut des § 217 suggeriert wurde, um vergleichsweise geringe Summen handeln. (Ebenfalls irreführend: die ständige Rede von einer "Beihilfe" zum Suizid, die gar nicht möglich ist, da Beihilfe nach § 27 StGB eine rechtswidrige Haupttat voraussetzt.) Und wichtig waren auch persönliche Abneigungen gegen die Suizidhelfer Minelli (Dignitas) und Kusch (Sterbehilfe Deutschland), denen – ohne juristisch verwertbare Belege – Verleitung zum Suizid und Bereicherungsabsichten vorgeworfen wurden. Die Klage der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Herrn Dr. Kusch wurde allerdings fünf Tage nach der Verabschiedung von § 217 durch das Landgericht Hamburg nicht zugelassen, was später das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigt hat. In Deutschland würde Kusch sich bei finanziellem Ausnutzen einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche eines anderen nach § 291 StGB strafbar machen. In diesem Sinne ist das von Bundeskanzlerin Merkel und vielen Abgeordneten beklagte "Geschäft mit dem Tod" also schon längst strafrechtlich verboten gewesen. In der Schweiz ist nach Art. 115 StGB Hilfe zum "Selbstmorde" aus "selbstsüchtigen Beweggründen" strafbar.

Ablehnung meiner Beschwerde – Die Entscheidung der 2. Kammer des 2. Senats des BVerfGs

Das BVerfG hat leider am 20.7.2017 durch die 2. Kammer des 2. Senats einstimmig beschlossen, meine Beschwerde (Az.: 2 BvG 2507/16) nicht zuzulassen. Sie erfülle nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG (was aus meiner Sicht nicht der Wahrheit entspricht) und sei mangels unmittelbarer und gegenwärtiger Beschwer nicht zulässig.

Der erste Teil der Begründung der Nicht-Zulassung meiner Beschwerde widerspricht dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)

Nach § 93a (2a) BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, "soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt".

Dies ist bei meiner Beschwerde der Fall, weil damit zu rechnen ist, dass § 217 bei vielen Menschen, die professionelle Suizidhilfe erhalten wollen, zu dramatischen Einschränkungen ihrer Freiheit führt. Die wichtige Frage, ob bzw. wie weit das Selbstbestimmungsrecht von freiverantwortlich handelnden Bürgern, die sich bei ihrem Suizid kompetente Hilfe wünschen, durch ein Gesetz eingeschränkt werden darf, ist bisher nicht vom BVerfG entschieden worden.

Nach § 93a (2b) ist eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, "wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht."

Meine Beschwerde erfüllt beide Kriterien. Ich habe dem BVerfG dargelegt, dass § 217 an neun Stellen meine Rechte aus den Artikeln 1, 2, 3, 19, 33 und 38 GG verletzt. Als im Bereich der Ärztekammer Nordrhein lebender Bürger droht mir der besonders schwere Nachteil, dass ich wegen des m.E. verfassungswidrigen standesrechtlichen Suizidhilfe-Verbots dieser Kammer einerseits und des Verbots der "geschäftsmäßigen" Suizidhilfe andererseits im Falle eines wohlüberlegten Suizidwunsches keinen professionellen Suizidhelfer finden werde. Das Bundesverwaltungsgericht hält eine solche Situation für Patienten nicht zumutbar (Urteil vom 2.3.2017, Rn. 35).