Die Allgemeine Relativitätstheorie zur Erklärung der Gravitation und des Universums als Ganzes

Einsteins Geniestreich als Jahrhundertwerk

TÜBINGEN. (hpd) Vor genau 100 Jahren reichte Albert Einstein einen kurzen Aufsatz "Die Feldgleichungen der Gravitation" bei den "Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin" ein. Der Eingangsstempel des dreieinhalbseitigen Artikels an jenem 25. November 1915 markiert den eigentlichen Geburtstag der Allgemeinen Relativitätstheorie. Nach acht harten Jahren voller Irrungen und Wirrungen hatte Einstein sein Jahrhundertwerk damit zwar noch nicht ganz abgeschlossen, aber im Wesentlichen vollendet. Vorangegangen war ein Monat hektischer Betriebsamkeit, in dem Einstein Woche für Woche eine neue Arbeit publizierte – und die Ergebnisse der vorigen korrigierte.

"Zweierlei sind die Abwege des Theoretikers", schrieb Albert Einstein im Februar 1915 an den holländischen Physiker Hendrik Antoon Lorentz, "1) der Teufel führt ihn mit einer falschen Voraussetzung an der Nase herum (dafür verdient er Mitleid), 2) Er argumentiert fehlerhaft und liederlich (dafür verdient er Prügel)".

So gesehen ist Mitleid angebracht, denn tatsächlich war Einstein über Jahre hinweg einigen subtilen Irrtümern aufgesessen. Seit seiner ersten Idee zu einer Verallgemeinerung seiner Speziellen Relativitätstheorie für beschleunigte und gravitative Systeme im Jahr 1907 hatte er zwar große Fortschritte gemacht, sich dann aber in der Mathematik sowie in falschen theoretischen und philosophischen Annahmen verheddert. Seine "Entwurftheorie" zur Allgemeinen Relativitätstheorie mit dem Mathematiker Marcel Grossmann war 1913 vielversprechend gestartet, geriet aber nach und nach in immer tiefere Schwierigkeiten.

"Ein geringerer Physiker hätte Kompromisse geschlossen und geschwankt, aber Einsteins Unnachgiebigkeit ermöglichte es ihm, die falsche Hypothese herauszubringen", sagt der Wissenschaftshistoriker John Norton. "Grossmann und Einstein waren nicht einem einfachen Fehler aufgesessen, sondern einer tiefen Misskonzeption über die Natur statischer Felder. Einsteins Schwierigkeiten basierten auf nichttrivialen Missverständnissen und der Weg den er verfolgt hat, war durchweg ein vernünftiger."

Das war einerseits Pech, andererseits aber auch eine wichtige Lehre für die weitere Arbeit. "Einstein und Grossmann kamen bis auf eine Haaresbreite an die allgemein kovarianten Feldgleichungen der finalen Theorie", resümiert Norton. Aber die Aufgabe der allgemeinen Kovarianz – das heißt einer Beschreibung physikalischer Sachverhalte unabhängig von der willkürlichen Wahl der Koordinatensysteme – brachte sie auf den falschen Weg. "Das war eine Katastrophe", urteilt Norton im Rückblick. Hätten sich Einstein und Grossman weiter auf den Riemann-Krümmungstensor bezogen, dann hätten sie den Königsweg zu den Feldgleichungen beschritten.

Auferstanden aus den Trümmern

Einstein verzweifelte fast, begann im Herbst 1915 dann aber noch einmal von vorn. Dabei griff er die Vorarbeiten von 1912 und 1913 wieder auf und klopfte verschiedene Tensoren, die er schon damals im Visier hatte, erneut auf ihre Tauglichkeit für die Feldgleichungen ab. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Im Wochentakt veröffentlichte Einstein am 4., 11., 18. und 25. November einen Beitrag in den "Sitzungsberichten" der Akademie (die in der Regel zuvor übrigens nicht mündlich vorgetragen wurden, wie immer wieder fälschlich in Büchern und Internet-Artikeln zu lesen ist). In diesem Monat meißelte Einstein gleichsam aus den Trümmern der vorangegangenen Versuche ein neues Gebäude und über dessen Eingang in Stein die Feldgleichungen der Gravitation. Und zwar so, wie sie bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben und in jedem fortgeschrittenen Physik-Lehrbuch zu finden sind (wenn auch meistens in einer moderneren Notation).

"Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Relativitätstheorie, dass Einstein die wichtigsten Kandidaten für die Feldgleichung zweimal untersuchte, einmal im Winter 1912/13, als er seine Forschungsnotizen ins Züricher Notizbuch eintrug, und einmal gegen Ende 1915, als er der Berliner Akademie Woche um Woche eine neue Feldgleichung als Lösung des Gravitationsproblems vorlegte, zuerst auf Grundlage des November-Tensors, dann auf der Grundlage des Ricci-Tensors und schließlich, am 25. November, auf der Grundlage des Einstein-Tensors", schrieb Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin in einer ausführlichen historischen Untersuchung. "Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass er in diesen beiden Phasen zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die Eignung der verschiedenen Kandidaten kam."

Die Rückkehr zu dem drei Jahre zuvor verworfenen Ansatz "mag wie das Ergebnis einer Komödie von Irrtümern erscheinen", kommentiert Renn. Sie zeigt aber "die wesentliche Rolle der Reflexion" für den wissenschaftlichen Fortschritt, "die dazu führt, dass ein und dasselbe Resultat je nach Kontext eine unterschiedliche Bedeutung annehmen kann". Deshalb sei Einstein letztlich auch "kein Irrweg" gegangen, meint Renn, sondern der Umweg war "die Voraussetzung für die Einbeziehung weiterer Wissensbestände, die sich für die Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie als kritisch erweisen sollten, insbesondere Bestände mathematischen und astronomischen Wissens". Insofern waren die Mängel in der Entwurftheorie auch eine Voraussetzung für Einsteins Rückkehr auf den korrekten Weg. Renn spricht sogar von einem "Sprungbrett". Einstein konnte damit die physikalische Sprache erst entwickeln, die zu einer begrifflichen Revolution führte, die, wie Renn es ausdrückt, "ein ganzes Netzwerk von Grundbegriffen betraf" und die physikalische Neuinterpretation eines hochentwickelten Formalismus erst ermöglicht hat.

Ein Umweg von drei Jahren

"Die allmählich aufdämmernde Erkenntnis von der Unrichtigkeit der alten Gravitations-Feldgleichungen hat mir letzten Herbst böse Zeiten bereitet", schrieb Einstein rückblickend am 1. Januar 1916: "Die jetzigen Gleichungen hatte ich im Wesentlichen schon vor drei Jahren zusammen mit Grossmann, der mich auf Riemanns Tensor aufmerksam machte, in Betracht gezogen. Da ich aber die formale Bedeutung […] nicht erkannt hatte, konnte ich keine Übersichtlichkeit erzielen und die Erhaltungssätze nicht beweisen. Ebensowenig konnte ich erkennen, dass die Newton’sche Theorie als erste Näherung darin enthalten war; ich glaubte sogar, das Gegenteil eingesehen zu haben. So geriet ich in den Urwald!"

Aus diesem Dschungel der Konfusionen hatte sich Einstein dann im Oktober und November wieder herausgewühlt. Es waren Wochen unsäglicher Anstrengungen.

Erkenntnisse im Wochentakt

Die ersten Arbeit, am 4. November zur Veröffentlichung eingereicht, umfasste neun Seiten und trug den schlichten Titel "Zur allgemeinen Relativitätstheorie". Darin gestand Einstein gleich auf der ersten Seite seinen "Irrtum" bezüglich seiner bisherigen Überzeugung, "das einzige Gravitationsgesetz gefunden zu haben", das dem verallgemeinerten Relativitätspostulat auch für beschleunigte Systeme genügt, und der Begründung dafür. Er habe vollständig das Vertrauen in diese Gleichung verloren und nach einem neuen Weg gesucht, so Einstein. "So gelangte ich zu der Forderung einer allgemeineren Kovarianz der Feldgleichungen zurück, von der ich vor drei Jahren, als ich zusammen mit meinem Freunde Grossmann arbeitete, nur mit schwerem Herzen abgegangen war. In der Tat waren wir damals der im nachfolgenden gegebenen Lösung des Problems bereits ganz nahe gekommen." Bevor Einstein dann die neuen Feldgleichungen der Gravitation ableitete, beendete er seine Einleitung mit einer für einen wissenschaftlichen Fachartikel geradezu überschäumenden Begeisterung: "Dem Zauber dieser Theorie wird sich kaum jemand entziehen können, der sie wirklich erfasst hat."

Einstein war also höchst erfreut zu seiner ursprünglichen Grundannahme zurückgekehrt, dass die grundlegenden Naturgesetze und mithin die Feldgleichungen der Relativitätstheorie in allen Koordinatensystemen dieselbe Form haben. Doch die neue Theorie hatte noch immer Defizite, wie Einstein bald erkennen musste. Zunächst versuchte er am 11. November in einem dreiseitigen "Nachtrag" zu seinem vorigen Artikel zu zeigen, "dass durch Einführung einer allerdings kühnen zusätzlichen Hypothese über die Struktur der Materie ein noch strafferer logischer Aufbau der Theorie erzielt werden kann."