BERLIN. (hpd) Die Pfarrer predigen vor zunehmend leeren Bänken, der christliche Glaube verliert immer mehr an Attraktivität, die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft. Die Kirchen stecken offensichtlich in einer Glaubwürdigkeitskrise. Bedeutet das, dass die Kirchen somit auch an politischem Einfluss verlieren? Carsten Frerk zeigt in seinem Buch "Kirchenrepublik Deutschland" auf, dass das Gegenteil der Fall ist.
Auffällig ist inzwischen für jeden Bürger, wie willfährig das Gros unserer Bundestagsabgeordneten sich über Menschenrechte wie körperliche Unversehrtheit oder Selbstbestimmung hinwegsetzen, wenn es denn der Wille der Kirchen bzw. der ihr ergebenen "Gottesfraktion" ist. Unter der Gottesfraktion versteht der Autor die parteiübergreifende Gruppe von CDU/CSU-, SPD-, GRÜNEN- und LINKEN-Abgeordneten sowie jene große Schar an Ministerialbeamten in den Verwaltungen, die sich alle vor dem christlichen Kreuz verbeugen. Die Zulassung der Beschneidung oder die Einschränkungen bei der Sterbehilfe, aber auch die politische und juristische Absegnung eines eigenständigen kirchlichen Arbeitsrechtes, das gleich mehrere Grundrechte aushebelt, signalisiert der Öffentlichkeit den Einfluss der Kirchen bzw. Religionen in unserem Staat.
Carsten Frerk macht deutlich, wie dieser Einfluss zustande kommt, wo er überall verdeckt wirkt und auf wie illegale und verfassungswidrige Weise er sich in unserem Politikbetrieb verankert hat. Der Autor untersucht dazu das Lobby(un)wesen, das sich rund um den Bundestag und die Landtage entwickelt hat. Während die Verbände, wie die der Autoindustrie, Pharmaindustrie oder etwa Gewerkschaften und hunderte andere, im öffentlich einsehbaren Lobbyregister verzeichnet sein müssen, gilt diese für Transparenz sorgende Regelung für die beiden Amtskirchen nicht. Sie konnten sich als Kirchen jederzeit unkontrollierten und ungehinderten Kontakt zu den Abgeordneten verschaffen. Die Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts werden wie staatliche Stellen behandelt und genießen eine Vielzahl von Privilegien. Ein Kennzeichen dieser Sonderstellung ist zum Beispiel, dass der kirchliche Dienst dem öffentlichen Dienst gleichgestellt ist ("kirchlicher Dienst ist öffentlicher Dienst", wie es in Konkordaten und Kirchenverträgen heißt). Das Grundgesetz formuliert dagegen in Artikel 141 "Es besteht keine Staatskirche".
Kirchliche Büros an den Schalthebeln der Macht
Im unmittelbaren Umkreis des Bundestages und der Landtage befinden sich evangelische und katholische Büros, deren Mitarbeiter – oft Theologen, die zugleich als Seelsorger tätig sind – auf vielerlei Wegen Kontakte zu den Abgeordneten aufbauen. Der Autor kennzeichnet das als den "Lobbyismus von außen". Das verbindende Element ist der christliche Glaube, aus dem der Auftrag abgeleitet wird, die Gesetzgebung in der von den Kirchen gewünschten Richtung zu beeinflussen. Mit Nennung der Namen der Beteiligten und den verschiedenen Formen des moralisch Abhängigmachens wird detailliert erläutert, in welcher subtilen Art und Weise der Gesetzgebungsprozess von außen gesteuert wird. Als "Lobbyismus von innen" wird von ihm die Beeinflussung der Gesetzgebung – vom Entwurf bis zur endgültigen Formulierung – durch die Ministerialbürokratie bezeichnet. Worüber in den Parlamenten dann abgestimmt wird, ist somit im Wesentlichen längst andernorts festgelegt worden. In den Verwaltungsapparaten der Ministerien konnten die Kirchen über die Jahrzehnte ihnen religiös "nahestehende" Beamte an allen wichtigen Entscheidungsstellen platzieren. Das geht ganz unkompliziert, weil kirchliche Beamte und staatliche Beamte bei gleichen Bezügen und Versorgungsansprüchen problemlos zwischen Kirche und Staat wechseln können.
Der Autor verweist nachdrücklich darauf, dass diese Form der Beeinflussung staatlichen Handelns keinerlei Rechtsgrundlage hat. Vielmehr wird deutlich aufgezeigt, in welcher Weise hier Gesetze und Verfassung missachtet und verbogen werden. Die Kirchen berufen sich dabei auf einen von ihnen so genannten Erlass, der ihnen das Recht einräumen würde, am Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. Dieser sog. Erlass besteht jedoch lediglich in einem einfachen Brief des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, der seinerzeit seine Minister bat, die Kirchen frühzeitig über sie tangierende Gesetzesvorhaben zu informieren. Die Kirchen haben daraus ein Mitwirkungsrecht bei allen Gesetzesvorhaben abgeleitet, nicht zuletzt gestärkt in ihrem Autonomiestreben aufgrund des ihnen einst vom Bundesverfassungsgericht mit fragwürdiger Begründung eingeräumten Selbstbestimmungsrechts.
In seinem Fazit widerspricht daher der Autor vehement der vielfach verbreiteten These, dass die Kirchen aufgrund ihres Mitgliederschwunds an gesellschaftlicher Macht verlieren würden. Frerk spricht zu Recht von der "Kirchenrepublik Deutschland". Er resümiert:
In Deutschland besteht neben der parlamentarischen Demokratie und dem Staatsaufbau eine "Nebenregierung" und eine zweite "Bürokratie", die öffentlich als Kirche auftritt und ihren massiven Lobbyismus entweder verschweigt oder stolz präsentiert – was allerdings die wenigsten Bürger oder Politiker zu stören scheint.
Die Kirchen sind selbstverständlicher Teil des Staates geworden, ohne dass dafür irgendeine Rechtsgrundlage besteht, weder im Grundgesetz noch in Ausführungsgesetzen noch in Geschäftsordnungen. Sie treten mit einem Anspruch auf – gleichberechtigt, auf "Augenhöhe" mit dem Staat –, dem nicht widersprochen wird. Ihnen freundlich gesonnene Politiker, Parlamentarier, Staatsbeamte lassen sie nicht nur gewähren, sondern stellen sich ihnen zudem persönlich vielfältig zu Diensten.
20 Kommentare
Kommentare
Mario Lichtenheldt am Permanenter Link
Korrektur: Artikel 141 GG ist die Bremer Klausel. Richtig sollte es wohl heißen: Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 WRV als fortgeltendes Recht.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Selbstverständlich, Sie haben Recht. Ein Flüchtigkeitsfehler, der mir peinlich ist. Ursprünglich hatte ich sogar noch den Hinweis auf Artikel 137 WRV drin, habe ihn aber aus Platzgründen wieder gestrichen.
Horst Herrmann am Permanenter Link
Eine treffsichere Rezension. Nur zur Überschrift eine Richtigstellung: Was hier "Gottesfraktion" genannt wird, ist nichts anderes als eine Kirchenfraktion. Denn wo Gott drauf steht, ist Kirche drin.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Lieber Herr Herrmann, das klingt durchaus überzeugend. Habe mich aber mit diesem Begriff nur eines vorgegebenen Terminus bedient.
Paul am Permanenter Link
Ich finde es sehr bedenklich, Gott als real existierende Entität zu bezeichnen. Götter waren/sind/bleiben eine Erfindung der mensclichen Fantasie.
Horst Herrmann am Permanenter Link
Es müsste sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass sich weder die Existenz noch die Nicht-Existenz Gottes hinreichend beweisen lässt.
kay Krause am Permanenter Link
Moin Herr Herrmann! Gestatten Sie die Anmerkung eines weiteren arroganten atheistischen Oberlehrers: Wer eine These aufstellt, befindet sich in der Beweispflicht.
Ich erlebe leider immer wieder, dass religiös geprägte Mitbürger (egal welcher Coleur) sich auf eine Religions-Diskussion einlassen mit Menschen, welche keiner Religion bedürfen, um ein anständiges und zufriedenes Leben zu führen, dass sie sich aber persönlich angegriffen fühlen, wenn man seine Meinung als religiös unabhängiger Freidenker klar heraus sagt. Und wenn die Argumente ausgehen, dann muß halt zurückgeschlagen werden. Sehr geehrter Herr Herrmann, wir ca. 40% (!) religionsunabhängigen deutschen Bürger sind tagtäglich von Kirche, Religion und Glaube umgeben. Morgens fängt es schon an im Radio um 6:00 Uhr mit dem "Gottesdienst", kirchlich geprägte Radio- und TV-Sendungen begleiten uns den ganzen Tag, alles kostenlose Werbung für den Christlichen Glauben. Dazu das traditionelle Glockengeläute. Wir religionsunabhängigen Menschen müssen das alles über uns ergehen lassen, bis hin zur kirchlichen Beeinflussung der gesamten Politik in Deutschland (siehe den Artikel über Carsten Frerks Buch in dieser Ausgabe des hpd), das ist für Sie als Christ alles selbstverständlich und in Ordnung. Übt man Kritik daran, fühlen Sie sich auf den Schlips getreten, meinen sich oder gar Gott verteidigen zu müssen. Ich sehe, bis zu einer gegenseitigen Akzeptanz und einem friedlichen Zusammenleben unterschiedlich religiös geprägter Leute sowie religionsloser Mitbürger ist noch ein weiter Weg!
Horst Herrmann am Permanenter Link
Vielleicht ist es Ihnen, geehrter Kay Krause, möglich, meine Position besser zu verstehen, als es Ihr Kommentar zu verstehen gibt.
Michael R. Luft am Permanenter Link
Genau das ist der typische indoktrinierte Reflex einer einseitigen Realitätswahrnehmung, gepaart mit der Erkennbarkeit überzogenen Beleidigtseins statt sachlicher Auseinadersetzung über ein offenbar notwendiges Erkenn
Horst Herrmann am Permanenter Link
Einseitige Realitätswahrnehmung? Sachliche Auseinandersetzung? Ja, Herr Luft, Wahrheit tut eben weh. Das gilt auch für Sie.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
S.g.Hr Horst Herrmann (HH),
ich erlaube mir, Zitate übersichtlich aneinander zu reihen:
HH: "Gott, wie ich ihn verstehe..."
HH: "Die Arroganz eines atheistischen Oberlehrers"
Ich finde, sie, Hr. HH, sollten sich emotional zurücknehmen. Eine Behauptung, dass Gott (G) existiere und der Antwort, dass er eben nicht existiere sondern nur ein Fantasieprodukt sei, ist eine Verbalinjurie, bzw. schlicht "überzogene(s) Beleidigtsein".
Übrigens, mit Wahrnehmung der Realität hängt kein einziger Post hier zusammen.
Und im Gesamtzusammenhang ist gleichgültig, wie alt oder jung, wieviel oder wenig jemand publiziert hat.
Gregor Gerland am Permanenter Link
Da kann man geteilter Meinung sein. Mir hat gerade der Ausdruck "Gottesfraktion" gut gefallen.
Ich muss aber zugeben, in solchen Fragen etwas ordinär zu sein, denn die Nöte der Gläubigen, ob jetzt die Bibel gut und die Kirche schlecht ist, oder Jesus gut und Paulus schlecht war, sind mir persönlich ziemlich schnuppe.
Ich steige da schon bei dem Fundamental-Dilemma der Religion aus, welcher der soundsoviel tausend Götter, die sich Menschheit schon ausgedacht hat, nun der Richtige sei. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gibt es keinen davon. Klingt vielleicht vulgär, könnte aber eine Tatsache sein.
Wolfgang am Permanenter Link
Solange noch das Reichskonkordat von 1933 noch seine völlige Gültigkeit hat, mit der Ausnahme, das die Glocken nicht mehr zu Ehren des Führers läuten, bin ich der festen Überzeugungen, die
auf ihren eigenen Vorteil bedacht und gehen dabei buchstäblich über Leichen. Menschenwürde? Fehlanzeige. Nur Geld regiert die Welt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Es nimmt nicht wunder, wenn in einer Kirchenrepublik wie der unsrigen ein Buch eben darüber TOTgeschwiegen wird. Das heißt aber nicht, dass es von entsprechenden Kreisen nicht zur Kenntnis genommen wird.
Bis dahin gilt es, das äußerst lesenswerte Buch per Mundpropaganda und in sozialen Netzwerken zu bewerben!
Und es tut sich bereits etwas - abgeordnetenwatch soll an dem Thema sein und lobbycontrol hat kürzlich eine Petition gegen geheimen Lobbyismus gestartet.
Ich schrieb zuvor andernorts, dass es einen langen und steinigen, aber unvermeidlichen Weg bedeute, diese religiotische Durchseuchung zu entfilzen und die maffiös-korrupte 'Pfaffia' zu entmachten; u.U. (d.h. mit vereinten Kräften) kann dieser Weg verkürzt werden.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Hans, das sind dann doch erfreuliche Zeichen. Auch Du hast ja mitgeholfen, dieses gewichtige Buch hier und andernorts bekannt zu machen.
kay Krause am Permanenter Link
Gott in Dosen
Könnte man nicht dieses ganze religiöse Gebaren -
den Glauben - in Flaschen oder Dosen bewahren?
Mit symbolischen Aufkleber verzieren,
mit Datum und Sorte etikettieren?
bei Marmelade und anderen haltbaren Waren?
Man müßte dann sonntags zur Kirche nicht gehen.
Man bräuchte nur kurz in die Kammer zu sehen,
sich die entsprechende Flasche oder Dose aussuchen,
um mit Gott oder Allah zu sprechen bei Kaffee und Kuchen!
Sebastian Bartoschek am Permanenter Link
Wir haben dann mal die Rezension kommentiert:
http://www.ruhrbarone.de/lehnert-is-back/122385
Dr. Frank Berghaus am Permanenter Link
"Aliquid semper haeret" sagte die Dreckschleuder (jetzt sogar im pluralis maiestatis).
Sebastian Bartoschek am Permanenter Link
Hm. Wenn man nichts an den Inhalten findet, muss man die Form wählen. Dieser Ansatz Ihrerseits ist bekannt - ebenso wie Ihre Unterstützung von Rassismus; und dass Uwe Lehnert daran nichts schlimmes findet.
http://www.ruhrbarone.de/pi-news-frank-berghaus/98627
Klarsicht am Permanenter Link
Agnostiker oder Atheist ?
Der Mensch, der am täglichen Leben teilnehmen will, muss immer wieder den Mut („die Eier") haben, sein Bett zu verlassen, ohne dass er wissen kann, welche von den vielen allgemein abstrakt (potenziell) vorhandenen Möglichkeiten tagsüber für ihn Wirklichkeit werden könnten, in die er dann zufällig negativ oder positiv involviert sein könnte. Er muss sich ständig für oder gegen etwas entscheiden, wobei er oft nicht oder nicht in ausreichender Weise wissen kann, welche Folgen seine Entscheidung kurz- oder langfristig haben wird.
Aufgrund dieser Sachlage ist es nicht verständlich, warum ein „Agnostiker" sein prinzipielles Nichtwissen nicht auch z. B. bezüglich der Frage ignoriert, ob es irgendwie geartete und beschaffene „Überwesen" gibt oder nicht, und sich klar für die eine oder andere Postion entscheidet - entweder für den Theismus oder Atheismus.
Wir haben uns den Schwachsinn mit dem Agnostizismus wohl im Zusammenhang mit den Religionen aufzwingen lassen. Inzwischen ist unser Wissen aber derart angewachsen, dass wir beim Denken und Handeln unter seiner Heranziehung in der Lage sind, mutig („mit Eiern" ) entscheiden zu können, ob Produkte menschlicher Hirngespinste existieren oder nicht.
http://www.skeptiker-blog.ch/2010/07/agnostizismus-ist-intellektuelle_2930.html
http://www.giordano-bruno-stiftung.at/?p=1118
http://klarsicht-blog.blogspot.de/2014/10/bin-ich-agnostiker-oder-atheist.html
Josef, der Agnostiker:
https://www.youtube.com/watch?v=Uc-FO3L2m6E
Gruß von
Klarsicht/Klarsichtig