BERLIN. (hpd) "Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde", schrieb Friedrich Nietzsche in der Vorrede von "Also sprach Zarathustra" und bezeichnete den Menschen als "Übergang". Am 9. März 2016 fand dieser Übergang sein symbolträchtiges Datum. Ein Computerprogramm hat einen der zurzeit weltbesten – menschlichen – Go-Spieler besiegt; und beim darauffolgenden Spiel am 10. März ebenfalls. Diese Niederlage ist der Beginn eines neuen Zeitalters. Der Staffelstab der planetarischen Evolution wird weitergegeben, die Fackel der Intelligenz ist überreicht. "Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben", konstatierte Nietzsche bereits 1883 weitsichtig. Nun hat sich der Mensch transzendiert.
Natürlich klingt es für viele nach einer maßlosen Übertreibung, wenn Demis Hassabis meint: "Wir sind auf dem Mond gelandet." Zwar ist die Landung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin mit der Apollo-Fähre Eagle im Mare Tranquillitatis die größte Leistung des Homo sapiens. Aber das war im Juli 1969 und also lange her. Heute kommt der Mensch nicht einmal mehr über den erdnahen Weltraum hinaus, keine läppischen 500 Kilometer weit. Er ist im Begriff abzudanken und zieht allenfalls noch seinesgleichen und einen Teil der Ökosphäre mit in den Abgrund.
Doch jetzt hat er über sich selbst hinausgegriffen. Nicht im gescheiterten räumlichen Sinn, aber geistig. Die Mondlandung, von der der britische Software-Entwickler und Neurowissenschaftler Hassabis sprach, gelang dem von ihm 2010 in London mitgegründeten Unternehmen DeepMind. Es ist 2014 vom Internetkonzern Google für 400 Millionen Dollar übernommen worden. Es entwickelt Algorithmen, die selbständig lernen können und teilweise auf neuronalen Netzen basieren, also auf Programmen, deren Funktionsweise die Nervensystemen nachgeahmt sind beziehungsweise in ihrer Entwicklung davon inspiriert wurden.
Ein Computerprogramm von DeepMind heißt AlphaGo. Es ist das weltbeste Go-Programm – eine Software, die das Spiel Go beherrscht (vergleichbar mit Schach-Programmen für das "königliche Spiel"). Nun hat AlphaGo Lee Sedol geschlagen, den Weltmeister im Go. Go ist eines der ältesten Spiele der Menschheit – und zugleich das komplexeste. Viel komplexer als Schach und daher durch stupide Rechenkraft auch sehr viel schwieriger zu bewältigen. Es zu meistern hat wahrlich eine lunatische Dimension…
Was ist der Mensch?
"Was ist der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Vergleich mit dem Unendlichen, ein All im Vergleich mit dem Nichts, ein Mittelding zwischen Beiden", schrieb der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal und verglich den Menschen mit einem Schilfrohr – aber einem, das denkt. "Der Mensch ist nichts als ein Rohr, das schwächste der Natur, aber ein denkendes Rohr. Es ist nicht nötig, dass das ganze Universum sich rüste ihn zu zermalmen. Ein Dunst, ein Tropfen Wasser reicht hin ihn zu zermalmen. Ein Dunst, ein Tropfen Wasser reicht hin ihn zu töten. Aber wenn das Universum ihn zermalmte, würde der Mensch noch edler sein als das, was ihn tötet, weil er weiß, dass er stirbt und welchen Sieg das Universum über ihn hat, das Universum weiß nichts davon. Also alle unsre Würde besteht im Denken."
Nicht im Raum habe der Mensch seine Würde zu suchen, denn da sei er ein "Nichts" (und so gesehen war selbst die Mondlandung, ein Sprung über den Abgrund, nur ein Hopser von einem Staubkörnchen auf ein anderes). Sondern im Denken. Darin liegt die Größe des Menschen, meinte Pascal. Und dieses Denken hat ja Meisterleistungen wie die Allgemeine Relativitätstheorie geschaffen sowie eben auch das Spiel Go. Und AlphaGo, mit dem das menschliche Denken sich nun selbst überwand.
Go ist einfach, denn es sind nur vier simple Regeln, die man in wenigen Minuten lernen kann. Es geht darum, auf einem 19 x 19 Punkte umfassenden Gitter-Spielbrett abwechselnd weiße und schwarze Steine zu legen, um freie Gebiete zu umschließen und gegnerische Steine zu fangen – wer am Ende mehr Gebiets- und Gefangenenpunkte besitzt, hat gewonnen. Go ist aber auch äußerst kompliziert, denn die Zugmöglichkeiten sind gigantisch – weitaus mehr als bei Schach, für das es ebenfalls sehr viel mehr Partie-Stellungen gibt als Atome im gesamten beobachtbaren Universum. Es ist diese Kombination aus Einfachheit und Komplexität, die seit mehr als vier Jahrtausenden die Schönheit und Beliebtheit des Spiels ausmacht. (Eine lesenswerte Einführung gibt beispielsweise das Buch "Go. Die Mitte des Himmels" von Michael Koulen.)
Software-Sensation
Am 27. Januar 2016 sorgte Google DeepMind mit einer Mitteilung und wissenschaftlichen Publikation weltweit für Aufsehen. Im Wissenschaftsjournal nature, einem der führenden Fachblätter, beschrieben Hassabis und seine Kollegen nicht nur die Funktionsweise von AlphaGo. Sie berichteten auch davon, dass das Programm im Oktober 2015 mit 5:0 gegen Fan Hui gewonnen hat, dem dreifachen (und aktuellen) Europäischen Meister. Das war das erste Mal, dass ein Go-Programm einen professionellen Spieler in einem Spiel ohne Vorgaben geschlagen hatte – und das gleich fünfmal in Folge. Die Sensation gelang auf der Grundlage einer raffinierten Kombination von Lern-, Strategie- und Bewertungsalgorithmen sowie zahlreichen simulierten Zufallsspielen und "Übungspartien" mit Menschen (siehe etwa diese Einführung hier).
Kurz darauf wurde angekündigt, dass AlphaGo vom 9. bis 15. März fünf Partien gegen Lee Sedol austragen würde. Der Südkoreaner ist einer der zurzeit weltweit besten (menschlichen) Spieler. Der 1983 Geborene hatte als jüngster Spieler überhaupt (im Jahr 2003) den neunten Dan erreicht, die höchste Stufe. (Fan Hui hat den zweiten Dan.) Die Partien finden im Four Seasons Hotel Seoul in Südkorea statt. Dabei geht es nicht nur um das Preisgeld von einer Million Dollar (das Google DeepMind nicht für sich behalten, sondern spenden will) und um das Prestige von Lee Sedol, der sich im Vorfeld optimistisch gab, sondern in gewisser Hinsicht auch um die Ehre der Menschheit. Diese ist nun quasi verspielt, nachdem Lee Sedol die beiden ersten Partien am 9. und 10. März (hier und hier) aufgegeben hat.
Der Angriff der Computer
Es ist nicht das erste Mal, dass Computer über Menschen triumphieren. Schon billige Taschenrechner sind jedem Mathematiker im Multiplizieren und Wurzelziehen seit Langem überlegen. Aber auch in "intelligenten" Spielen haben Computerprogramme längst die Vorherrschaft übernommen.
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Stirbt der Mensch wirklich aus?
Ist er ausgestorben, als das Pferd ihn schneller durch die Savanne oder das Auto ihn noch schneller über die Autobahn beförderte? Oder als er sich mit Mikroskopen oder Teleskopen besser Augen in unbekannte Gefilde schuf? Nein! Nicht mal, als Computer dank seiner Programmierkunst schneller und komplexer rechnen lernten, starb er aus.
Alle Techniken, die der Mensch erfand, sind mehr oder weniger sinnvolle Ergänzungen seiner biologischen Unzulänglichkeiten. Ist uns kalt, stellen wir die Heizung an, wollen wir etwas über die Welt lernen, stellen wir den Fernseher an oder steigen in Zug oder Flugzeug. Selbst den Weltraum oder die Tiefsee erobern wir, weil wir - im Gegensatz zu Maschinen - neugierig sind.
Egal, wie perfekt Computer Go spielen können, sie werden es nie aus eigenem Antrieb machen, weil sie keinen eigenen Antrieb haben. Warum sollten sie Computer reproduzieren? Wenn, dann nur, weil Menschen - ihre Erfinder - ihnen dies einprogrammiert haben. Ansonsten ist einer Maschine ihre eigene Existenz egal.
Mir geht es hier nicht um den Sinn des Lebens - den hat Leben ganz und gar nicht -, sondern um die Lust des Lebens. Viele Tiere und auch der Mensch haben Lust zu leben. Natürlich ist diese z.T. hormongesteuert, entspringt evolutionären Vorgaben. Vorgaben, die man theoretisch Computern auch einprogrammieren könnte. Doch wozu? Als Experiment, ob der Mensch "Gott" spielen kann?
Computer, auch Go-spielende, sind sinnvoll. Als Prothesen menschlicher Unzulänglichkeit. So, wie ich Autofahre, um schneller voranzukommen. Doch wäre ein Auto, dass von sich aus in eine andere Stadt fährt, letztlich vollkommen sinnlos. Warum wäre Wissenschaft, Kunst oder Philosophie ohne den Homo ludens wichtig?
Computer sind im Grunde dumm. Sie können nur alles besser und schneller, als Menschen. Solange sie dies im Sinne des Erfinders machen, ist die Welt in Ordnung. Nur würde ich nie gegen einen perfekten Computer Go spielen wollen. Der Spaß beim Spiel besteht doch darin, auch gewinnen zu KÖNNEN. Stünde von vorneherein fest, dass man immer verlieren wird, hört der Spaß auf und jedes weitere Spiel ist so sinnlos, wie das Spiel selbst. Auch Lotto spielt der Mensch nur wegen der winzigen Chance, zu gewinnen.
Natürlich ist meine Sichtweise die eines Menschen. Aber der bin ich nun mal. Warum sollte mich die Sichtweise eines Computers interessieren? Der interessiert sich ja nicht einmal für seine eigene, geschweige denn für die menschliche Sicht der Dinge...
Dieter Bauer am Permanenter Link
Vieles, Interessantes und weniger Interessantes, ist über den Untergang der menschlichen Spezies verbreitet. Das ruft Erinnerungen wach an ein kleines Wortspiel: "...
pavlovic am Permanenter Link
Sehr schön ist die Bemerkung in der Presse zu lesen gewesen, dass der Weltmeister des Go auch wegen seines Status eine Ausstrahlung hat die freilich einen Computer überhaupt nicht beeindrucken kann.
Denkakustiker am Permanenter Link
Maschinen haben kein lebensräumlich all umfassendes Befindlichkeits-Spektrum und damit keine evolutionäre Anpassungsgrundlage, um bewusst selbsterhaltend zwischen energetischem Eindruck und Ausdruck steuern zu können.
So haben sie auch keine körperlich unbewusst erneuerbaren Selbsterhaltungsfähigkeiten und bestehen dazu auch aus ungeeigneten Materialien.
Und das ist auch gut so !!!
Und was die sogenannten Algorithmen angeht, so bleibt in der Folge ernsthaft zu hoffen, das jene nicht die mathematische Vollkommenheit erreichen, bevor der Mensch durch geistige Effektivität zu seiner sehnsüchtig begehrte Intelligenz findet.
Beste Grüße aus Magdeburg
Denkakustiker
Petra Pausch am Permanenter Link
Lieber Denkakustiker (was immer auch das bedeuten soll) - was soll denn dieses Geschwurbel bedeuten, dass Sie hier immer und immer wieder verbreiten?
Entschuldigen Sie, aber ich finde Ihre halbwissenschaftlichen Kommentare sehr mekrwürdig.
Denkakustiker am Permanenter Link
Liebe Petra Pausch, ich selbst finde mein Verhalten auch merkwürdig, denn ich bin tatsächlich kein kulturgesellschaftlich protegierter Wissenschaftler.
Um so mehr ehrt es mich, das sie meinen Kommentaren, eine erkennbare Halbwissenschaftlichkeit beimessen. Auch wenn sie ihnen merkwürdig erscheinen, so lesen sie diese offensichtlich immer und immer wieder.
Warum ?
Ich gehe mal davon aus, das sie meine Kommentare für - würdig - befinden, um sie sich zu - merken -. Oder ? :-)
Nun unsere facettenreichen und unüberschaubaren Wissenschaften führen keineswegs zu einem erkennbaren Ganzen, in dem wir treffsicher und nachvollziehbar zwischen richtig und falsch unterscheiden können.
Derzeit führt uns die Wissenschaft ad absurdum und hält uns so in einer Glaubensschwebe, was an der individuell vielfältigen und gegensätzlich wirkenden Meinungsvielfalt, für jeden ablesbar ist.
Damit ist individuell kein richtiges Verhalten möglich und ich möchte mich richtig verhalten können, um Schaden an mir und anderen vermeiden und Wertschöpfung gestalten und erhalten zu können. Deshalb möchte ich verstehen.
Es ist also ein Grundprinzip meiner Selbsterhaltung und die eigenwillige Erkenntnis, das die Wahrheit eben gerade nicht zwischen dem Glauben und dem Wissen zu finden ist, sondern zwischen dem Glauben und dem Verstehen, denn das erfahrbare Wissen bedient beides.
Es ist also eine Frage des geistigen Aufwandes, dem Wissen glaubend zu folgen, bis wir verstehen (wann, wie, warum, weshalb, wieso).
In den letzten Jahren bestärkt mich das Gefühl, das unsere Selbsterhaltung zunehmend perfide und nachhaltig fremdbestimmt wird. Und das nicht durch einen Gott, sondern durch symptomatisch anmaßende Menschen.
So wird der Mensch unverkennbar Opfer seiner selbst und dagegen wehrt sich nun meine natürliche Selbsterhaltung, also aus zwingendem Grund.
"lebensräumlich all umfassendes Befindlichkeits-Spektrum"
Unser sogenanntes Denken ist eindeutig erkennbar geistige Gefühlssache. Wir denken warmherzig und kaltblütig, logisch und unlogisch, ungezwungen und gezwungen und in weit mehr unterscheidbaren Befindlichkeitsstufen, als sich mit unserer Sprache vermitteln lässt.
Genauso unvollkommen lässt sich die Vielfalt der Befindlichkeiten in unseren Wahrnehmungen beschreiben.
Was glauben sie also selbst, was ein Befindlichkeits-Spektrum sein könnte, bzw. was ich damit zum Ausdruck bringen möchte ?
Oder was könnten sie dagegen vorbringen ?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Trans-"Anthropozän"? Das fehlte jetzt noch. ;-)
malte am Permanenter Link
"Der Mensch hat ein Programm geschaffen, das ihm in der letzten großen, symbolischen Bastion des Denkens überlegen wurde."
Finde ich ziemlich dick aufgetragen. Musik, Kunst, Literatur - es gibt jede Menge, was Computer nicht nur schlechter als der Mensch, sondern gar nicht können.
Gerd am Permanenter Link
Auch Mathematik können Computer nicht gut. Sie können zwar rechnen aber ich habe noch kein Programm gesehen, das einen Satz vermuten und nach Beweisen suchen kann (Beweisassistenten sind kein Gegenbeispiel!)
Denkakustiker am Permanenter Link
So ein Schmarren, um das ausdrucksstarke Bayrische mal zu bemühen !!!
Nur weil ein Computerprogramm einen Menschen in einer geistig unbedeutenden Denkdisziplin besiegt hat, ist es in keiner Weise dem Menschen ebenbürtig und schon gar nicht überlegen.
Sind wir hier in der Psychiatrie ?
Wenn dem so währe, müssten alle Maschinen, welche der Mensch inzwischen geschaffen hat, ihn selbst im Lebensraum bedrängen bzw. schon längst verdrängt haben.
Haben sie aber nicht !
Nur weil sich Maschinen gegen den Menschen tatsächlich vernichtend auf dem Arbeitsmarkt auswirken, sind sie dem Menschen noch lange nicht überlegen und schon gar nicht auf der geistigen Ebene. Es sind immer noch Menschen, die Maschinen gegen Menschen einsetzen.
In Wirklichkeit kommt hier der noch einzige natürliche Feind des Menschen zum Ausdruck, nämlich die Wahnhaftigkeit einer kritischen Masse des geistigen ÜberschussVermögens, durch eine übersynergetische Industriegesellschaft, die uns schon seit der Mitte des 18.Jh zunehmend den Verstand raubt.
Mit besorgten Grüßen aus Magdeburg
Denkakustiker
Michael Paschko am Permanenter Link
"Jetzt hat das Zeitalter des Transhumanismus begonnen."
Eine seltsame Schlussfolgerung. Jedenfalls keine Glanzleistung menschlichen Denkens. Denn wäre sie richtig, dann wäre doch das Zeitalter des Transhumanismus schon mit der Erfindung des Autos angebrochen gewesen, denn ein Auto kann sich viel schneller fortbewegen als ein Mensch. Nicht nur dass: Schon lange vor der Entstehung des Menschen wäre dann das Zeitalter des Transhumanismus angebrochen, denn die Dinosaurier waren nicht nur viel größer als Menschen es sein können, sie legten auch Eier, wobei Menschen ebenfalls klägklich versagen.
Aus welchem Grund sollte sich ein Mensch mit einem Go-Programm vergleichen? Er vergleicht sich doch auch nicht mit einem Schraubenzieher, ein weiteres Beispiel für Pseudo-Transhumanismus, was jeder nachvollziehen kann, der schon einmal versucht hat, eine Schraube mit dem Daumennagel zu lösen.
Rüdiger Vaas am Permanenter Link
Heute (15. März) ging das Turnier in Seoul zu Ende.