BERLIN. (hpd) Nein! So lautet die Antwort des Philosophen André Comte-Sponville, dem französischen Agnostiker, der sich seit Jahren auch mit dem Thema einer "atheistischen Spiritualität" befasst. Denn, so schrieb er jüngst im Magazin Le Monde des Religions, Milliarden von Individuen glaubten an Gott, deshalb sei er nicht tot.
Comte-Sponville erwähnt die "Vitalität der Religionen", verneint aber die von interessierte Seite vielfach behauptete "Rückkehr des Religiösen" in den letzten Jahrzehnten; der Anteil Religiöser in der Welt tendiere dazu "eher geringer als größer zu werden." Allerdings gäbe es eine "sehr spektakuläre, sichtbare Behauptung" von Religiosität, was vor allem den Islam, aber auch evangelikale Gruppen betreffe.
Entgegen manchen "Heilserwartungen" in der atheistischen Szene in Richtung eines Verschwindens der Religionen nimmt Comte-Sponville hierzu eine völlig andere Position ein: er weist darauf hin, dass Religionen genauso alt seien wie die zivilisierte Menschheit, und schreibt: "Es gibt allen Grund zu denken, dass sie genauso lange währen wie die Menschheit."
Er mahnt, nicht Spiritualität und Religion zu verwechseln, und differenziert zwischen Spiritualität, die er als "persönliches Abenteuer" bezeichnet, und Religionen, die immer kollektiv seien. Seine Beobachtung ist: "Unsere Zeitgenossen befassen sich umso mehr mit Spiritualität, je weniger sie mit den institutionellen Religionen zufrieden sind." Was Spiritualität sei, fragt er und bezeichnet diese als "das Leben des Geistes, speziell in seiner Beziehung zum Unendlichen, zur Ewigkeit, zum Absoluten."
André Comte-Sponville hat gerade jenen etwas zu sagen, die nach einer Sinnstiftung ohne Gott fragen und Spiritualität als etwas dem homo sapiens Eigentümliches verstehen. Leider sind die Werke Comte-Sponvilles bislang in Deutschland wenig rezipiert. Dabei sind sie geeignet, für ein breites Publikum interessant zu sein, das sich nicht (mehr) für den "klassischen Atheismus" interessiert und nach neuen Antworten sucht.
Eine Übersetzung des Essays durch Christian Modehn findet sich auf der Webseite des Religionsphilosophischen Salon: "Ist Gott bald obsolet"
Christian Modehn hat sich bereits vor einiger Zeit mit der "atheistischen Spiritualität" von Comte-Sponville befasst: "Mystik ohne Gott"
6 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Kann das sein, dass hier ein paar Dinge durcheinandergewürfelt wurden. Von Menschen durcheinandergewürfelt, denn Gott - so wissen wir von Albert Einstein - würfelt nicht.
"Ist Gott bald obsolet?"
Die Frage, die ich aus Comte-Sponvilles Essay herauslese ist doch eher: "Ist Spiritualität bald obsolet?" Gott ist tot, da gehe ich mit Nietzsche konform. Ja, Gott hat sich noch nie blicken lassen.
Religionen, die sich auf einen der unzähligen Götter berufen, haben sie im Animismus entwickelte Spiritualität genutzt, um ihre Gesellschaftskontrollsysteme zu legitimieren. In organisierter Spiritualität (= Religion) erzogene Menschen (wie eine jüngst veröffentlichte Studie belegt) neigen eher dazu, auch an Unwahrscheinliches zu glauben. Dies hat es Führungseliten immer einfacher gemacht, die In-Group bei Laune zu halten - und sei es durch jenseitige Versprechen.
Diese Religionen (inklusive ihres erfundenen Gottes) werden in Bälde verschwinden, weil sie als Kinderkrankheiten der Zivilisierung der Menschheit erkannt wurden. Kinderkrankheiten mit teilweise tödlichen Folgen. Der Impfstoff dagegen ist Aufklärung und Vernunft.
Was sicher bleiben wird - weil es evolutionärer Bestandteil des Menschen ist - ist etwas, was man als "Spiritualität" bezeichnen mag. Dazu zählt für mich die Fähigkeit, ein Bild, eine Blume oder einen Sonnenuntergang schön zu finden. Oder sich in Gedanken in der Ewigkeit des Universums zu verlieren, dazu gehören Sehnsucht und der tiefe Wunsch, das Unendliche zu schmecken. Letztlich: Mehr sein zu wollen, als bloße Materie, die sich bewegt, um sich zu ernähren und sich ernährt, um sich bewegen zu können.
Das muss es und das wird es geben, solange Menschen existieren. Doch die bronzezeitlichen Profiteure dieser Sehnsüchte braucht niemand. Sie haben nichts Gutes im Sinn und haben der Welt Tod und Verderben gebracht. Und die "harmlosen" Formen davon, die nicht mehr morden und verderben, erweisen sich als völlig sinnleer und überflüssig.
Der Gott ist tot - es lebe der Mensch!
Kay Krause am Permanenter Link
Mit der Aussage, dass "Gott" tot sei, ist gleichzeitig gesagt, dass dieses Etwas (wie auch immer jeder es für sich definieren möchte) zumindest doch irgendwann einmal "gelebt" hat.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Der Nietzsche' Gottestod bezog sich auf den Tod der Idee des christlichen Gottes - ausgelöst durch den Niedergang des Christentums.
Und erkenntnistheoretisch können wir auch nur feststellen, dass "Gott" nie auf der Erde war. Das negiert nicht seine mögliche Existenz, postuliert aber, dass "Gott" von niemandem bisher wahrgenommen worden sein kann.
Ich kann nicht ausschließen, dass es auf einem Alpha Centauri-Planeten Blumen gibt, aber ich habe sie noch nie gepflückt, gesehen, gerochen oder geschmeckt. Daher ist die Gotteshypothese so sinnlos, wie bei Fleurop Alpha Centauri-Blumen zu bestellen...
Florian Zimmermann am Permanenter Link
André Comte-Sponville identifiziert sich als Atheist, nicht Agnostiker. In seinem inhaltlich und sprachlich sehr ansprechendem Buch: "Woran glaubt ein Atheist?
"Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber ich weiß, dass ich glaube, dass er nicht existiert. Atheismus ist ein negativer Glaube [...], aber es ist ein Glaube - weniger als ein Wissen, aber mehr als das simple Eingeständnis des Nichtwissens und die vorsichtige oder bequeme Weigerung, sich zu äußern. Deshalb bin ich Atheist, kein Agnostiker, und darauf bestehe ich."
Klaus Bernd am Permanenter Link
Vielen Dank für den Buchtipp aber warum spricht ACS eigentlich von einem "negativen Glauben" ? Es ist nicht einzusehen, warum man diese Kategorie überhaupt einführen sollte.
Von einem "negativen" Glauben zu sprechen, wertet diesen eher ab zu einem minderwertigen oder gar schädlichen Glauben. Seine Definition von Glaube erinnert mich an den Aphorismus von Jules Lequier: "Wenn man glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, sollte man wissen, dass man glaubt, aber nicht glauben, dass man weiss."
Kay Krause am Permanenter Link
Ich kann das nur unterstreichen!