Ein Blick auf den Umgang der Partei mit der Judenfeindschaft in den eigenen Reihen

Jedes Jahr ein Skandal: Die AfD und der Antisemitismus

BONN. (hpd) Der aktuelle Antisemitismus-Skandal in der AfD-Fraktion im Landtag von Baden Württemberg ist nicht der erste Vorfall dieser Art in der erst kurzen Geschichte der Partei. Diesmal hat man aber offenkundig besondere Probleme, eine klare Abgrenzung von einem Anhänger antisemitischer Verschwörungsvorstellungen vorzunehmen. Ein Blick auf ältere Skandale und eine Kommentierung des neuesten Skandals.

Einige rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien haben beim Feindbild "umgeschaltet": Nicht mehr der Antisemitismus, sondern die Muslimenfeindlichkeit steht im Zentrum. Dabei geht die Agitation gegen die Anhänger des Islam gelegentlich mit pro-israelischen und pro-jüdischen Bekundungen einher. Diese Ausrichtung hat für Rechtsextremisten und Rechtspopulisten gleich drei Vorteile: Die Islam- und Muslimenfeindlichkeit dient als "Türöffner" – so formuliert es die NPD – in die Mitte der Gesellschaft. Man meint, sich so einem Antisemitismusverdacht entziehen zu können. Und dann kann einseitig den Flüchtlingen und Muslimen die Judenfeindschaft zugeschrieben werden.

Auch in der "Alternative für Deutschland" (AfD) und deren publizistischem Umfeld (Junge Freiheit) finden sich derartige Positionen. Bezogen auf den Antisemitismus wird gar eine "Null Toleranz"-Politik behauptet. Doch wie glaubwürdig und überzeugend sind solche Bekundungen? Werfen wir den Blick auf einige Fälle in der Geschichte der Partei:

Derartige Ereignisse gab es bereits in der AfD-Frühphase, wo noch der als libralkonservativ geltende Bernd Lucke den Parteivorsitz innehatte. Dazu gehört als erstes Beispiel der Fall des seinerzeitigen Schatzmeisters des hessischen Landesverbandes Peter Ziemann, waren doch von ihm im Dezember 2013 einige Einstellungen im Internet bekannt geworden. Dort forderte er eine Ablösung des gegenwärtigen politischen Systems: "Nur so können wir die satanischen Elemente der Finanz-Oligopole von den westlichen Völkern wieder abschütteln, die wie die Zecken das Blut der Völker aussaugen und die Körper mit tödlichen Bakterien verseuchen."

Als solche Akteure galten ihm die Rockefellers, die Rothschilds, George Soros "und die ganzen freimaurerisch organisierten Tarnorganisationen, die ein Großteil unser Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern". Die Anlehnung an antisemitische Verschwörungsideologien war offenkundig. Nachdem diese Aussagen öffentlich bekannt geworden waren, verlor Ziemann sein Parteiamt.

Ein knappes Jahr später kam es zu einem ähnlichen Ereignis: Im September 2014 schloss die AfD im brandenburgischen Landtag den Abgeordneten Jan-Ulrich Weiß aus der Fraktion aus, da er eine antisemitische Karikatur über Facebook verbreitet habe. Weiß erklärte daraufhin, er hätte die gemeinten Bilder und Texte nur angeschaut und für gut befunden. Dabei handelt es sich um zwei Fotos des britischen Investmentbankers Jacob Rothschild und eine Karikatur, die mit folgendem Text versehen waren: "… Mein Name ist Jacob Rothschild. Meine Familie ist mehr als 500 Trillionen Dollar schwer. Wir haben weltweit so gut wie jede Zentralbank im Besitz. Wir finanzieren immer beide Seiten von jedem Krieg, schon seit Napoleon. Wir steuern deine Nachrichten, Medien, ol (sic!) und deine Regierung …" Dazu fand sich eine Karikatur, welche die "Mr. Burns"-Figur eines geldgierigen Firmenbesitzers aus der TV-Serie "Die Simpsons" zeigt. Die Anspielungen auf Einstellungen im Sinne des politischen und sozialen Antisemitismus waren unverkennbar.

Bei der AfD tauchte im November 2015 eine Person auf, die als CDU-Bundestagsabgeordneter 2004 durch eine öffentliche Rede mit judenfeindlichen Quellenverweisen auf sich aufmerksam gemacht hatte: Martin Hohmann war aufgrund dieser Ansprache als erst zweite Person in der Geschichte der Partei aus ihr ausgeschlossen worden. Danach hatte er erfolglos als Parteiloser kandidiert und sich anschließend ins Privatleben zurückgezogen. Bei den Fuldaer Kommunalwahlen wollte Hohmann indessen als Kandidat der AfD auf dem ersten von 21 Listenplätzen des dortigen Kreisverbandes antreten: Er gehöre der Partei nicht an, empfinde aber eine Nähe zu ihr. Da die AfD in Fulda ihn als Kandidaten nicht nur akzeptierte, sondern Hohmann auch den ersten Listenplatz zuwies, steht diese Entscheidung für ein politisches Bekenntnis zu seiner Person. Denn Homanns frühere Aussagen waren inhaltlicher Gegenstand breiter Medienberichterstattung gewesen. Mittlerweile gehört der frühere Bundestagsabgeordnete auch der Partei an.

Da die AfD-Führung in den erstgenannten Fällen relativ schnell eine Distanzierung vornahm, wenngleich dies erst nach medialer Aufmerksamkeit geschah, steht die Kandidatur Hohmanns für das Bekenntnis zu einer Person mit antisemitischen Bezügen.

Der frühere Parteivorsitzende Lucke hatte noch erklärt, die AfD dürfe "nicht den Schatten eines Zweifels daran lassen, dass politischer Extremismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und religiöse Intoleranz mit dem Gedankengut der AfD" unvereinbar seien. Dabei kann die Frage gestellt werden, ob diese Distanzierung in erster Linie aus innerer Überzeugung oder taktischer Rücksichtnahme motiviert ist. Denn nach der Ablösung und dem Austritt von Lucke erfolgte ein Rechtsruck der Partei, womit ein Anstieg biologistischer wie fremdenfeindlicher Positionierung verbunden war. Zwar kam es hierbei nicht zu antisemitischen Aussagen. Die AfD bewegt sich indessen immer mehr in eine politische Richtung, wo derartige Einstellungen zur politischen Normalität gehören.

Daher konnte auch jüngst nicht verwundern, dass ein in den Landtag von Baden-Württemberg gewählter Abgeordneter eine antisemitische Fälschung schätzte und verteidigte. Der pensionierte Arzt Wolfgang Gedeon hatte vor seiner Kandidatur mehrere Bücher veröffentlicht. Im zweiten Band seiner Triologie "Christlich-europäische Leitkultur" schrieb er unter dem Pseudonym "W. G. Meister" über "Die Protokolle der Weisen von Zion", dass sie "mutmaßlich keine Fälschung" seien. 1

Er meinte weiter: "Ich halte die Beurteilung Fleischhauers ... für plausibel. Danach handelt es sich um die Mitschrift einer Geheimtagung …" Ulrich Fleischhauer war in den 1930er und 1940er Jahren Leiter des antisemitischen Weltdienstes. In dem Buch "Der grüne Kommunismus" meinte der heutige AfD-MdL: Es gebe Gemeinsamkeiten zwischen den Ausführungen in den "Protokollen" zu "Strategie und Taktik und zum Beispiel den politischen Methoden der Brüsseler EU". Damit propagierte er antisemitische Verschwörungsauffassungen in klassischer Weise.

Nachdem dies öffentlich bekannt geworden war, bekundete der Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen in einer Landtagsrede: "… auch der neueste Versuch der politischen Verunglimpfung seitens unserer politischen Gegner, nämlich der Versuch uns nun mit der Antisemitismuskeule zu beschädigen, wird scheitern und in sich zusammenbrechen." Nachdem er sich dann aber offenbar näher informiert hatte, formulierte Meuthen ganz anders: "Einige Äußerungen von Wolfgang Gedeon sind nach meiner Überzeugung antisemitisch."

Auch andere AfD-Führungsspitzen äußerten sich so, der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland meinte etwa zu Gedeons Positionen: "… wenn das kein Antisemitismus ist, dann weiß ich gar nicht, was denn überhaupt Antisemitismus sein soll". Die AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg wollte nun am 22. Juni 2016 über einen Ausschluss von Gedeon beraten und entscheiden. Dieser erklärte in den Sitzung dann aber selbst, er werde seine Fraktionsmitgliedschaft bis zur endgültigen Klärung im September ruhen lassen.

Damit wurde eine Entscheidung in der Frage, ob ein Abgeordneter mit antisemitischen Positionen in der Fraktion verbleiben soll, nicht getroffen, sondern vertagt. Für den Ausschluss hatte Meuthen offenbar keine Mehrheit bekommen. Bei Probeabstimmungen votierten einmal nur 13, einmal nur 15 und einmal nur zehn Mandatsträger dafür. Der Fraktionsvorsitzende hätte indessen 16 Abgeordnete auf seiner Seite haben müssen. Er hatte dafür enormen Druck ausgeübt: So erklärte Meuthen, er werde von seinem Amt zurücktreten und aus der Fraktion ausscheiden, sollte Gedeon weiterhin in ihr verbleiben. Dabei warb Meuthen für seine Position auch mit einem Videoappell. Daraufhin warf ihm die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry vor, die Fraktion mit seiner öffentlichen Rücktrittsdrohung spalten zu wollen. Vor dem Ausschluss Gedeons müsse es "geordnete und seriöse Formen der Aufklärung" geben. Der als zweiter Bundesvorsitzender ihr gleichrangige Meuthen warf Petry daraufhin ein "bizarres Hineinregieren" in die Landtagsfraktion vor.

Beachtenswert ist auch, welche Gründe von Meuthen für den Fraktionsausschluss von Gedeon vorrangig genannt wurden. Zwar hatte er Antisemitismus als "rote Linie" und den Fall Gedeon als Lackmustest für die Partei bezeichnet. Gegenüber den Abgeordneten wies Meuthen aber mehr auf Folgewirkungen hin: Wenn die Fraktion nicht adäquat entscheide, sei "praktisch sicher", dass die AfD unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt werde. Der dadurch entstehende politische Schaden sei "immens und von Dauer". Am Beispiel von anderen europäischen Ländern könne man sehen, dass die dortigen "neuen konservativ-fortschrittlichen Kräfte" erfolgreich seien, die sich glaubhaft von jedwedem Antisemitismus distanziert hätten. "Darum geht es hier um alles". Diese Ausführungen stehen aber nicht für eine inhaltliche, sondern für eine strategische Motivation. Auch wenn Meuthen ein Gegner des Antisemitismus sein sollte, stellt er mit solchen Formulierungen weniger auf die Gefahren für Juden und mehr auf die Folgen für seine Partei ab.

In der Gesamtschau konnte Meuthen für den Ausschluss von Gedeon aus der Fraktion keine Mehrheit mobilisieren. Der Betroffene hatte selbst den "Kompromissvorschlag" gemacht, bis zur endgültigen Klärung der Frage seine Fraktionsmitgliedschaft ruhen zu lassen. Im September sollen nun wissenschaftliche Gutachten zum Antisemitismus-Gehalt von Gedeons Büchern vorliegen. Dafür sucht die AfD einschlägige Fachleute. Hierbei soll mindestens einer der Gutachter jüdischen Glaubens sein. Eine derartige Prüfung hatte zuvor auch Petry angeregt.

Angesichts der Deutlichkeit von Gedeons Aussagen, die sich auch gegen die jüdische Religion richten und mit den "Protokollen" auf verschwörungsideologische Phantasien setzen, stellt sich die Frage nach einer inhaltlichen Notwendigkeit dafür. Dadurch mag das Thema bis September aus den Medien sein. Im Ergebnis bedeutet dies aber, dass entgegen vieler Bekundungen gegenwärtig eine klare Entscheidung gegen einen Anhänger antisemitische Vorstellungen in der AfD nicht möglich ist.


  1. Vgl. auch die Artikel "Wolfgang Gedeon und die 'Protokolle der Weisen von Zion'" sowie "Keine Entscheidung, sondern nur eine Vertagung"