Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern existiert in Deutschland nur eine rudimentär ausgeprägte Stipendienkultur. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will dem durch seine finanzielle Förderung von 13 ausgewählten Stiftungen im Rahmen der Initiative "Stipendium Plus" Abhilfe schaffen. Es stellt sich jedoch heraus, dass 10 dieser 13 Förderwerke höchst spezifische weltanschauliche und/oder politische Voraussetzungen an ihre Bewerber stellen.
Angesichts dessen, dass nur ein geringer Anteil der Bevölkerung die Bedingungen für eine solche Förderung erfüllt, handelt es sich beim Selbstanspruch des "Stipendium Plus" um Augenwischerei, welches seinen Anspruch auf eine pluralistischen Bildungs- und Wissenschaftsförderung komplett verfehlt. Insbesondere politisch neutrale und konfessionsfreie Studenten mit einem naturalistischen, humanistischen und kritisch rationalen Weltbild haben in der regierungssubventionierten Studienförderung fast keinen Platz.
Weltanschauungsstatistik
Knapp über ein Drittel der deutschen Bevölkerung, das macht 27 Millionen Menschen, gehört keiner Religionsgemeinschaft an und ist somit konfessionsfrei. Der Anteil der Bevölkerung, der sich selbst als religiös bezeichnet, liegt mit nur 43% allerdings deutlich unterhalb der Hälfte, woraus zwangsläufig folgt, dass ein Großteil der formalen Kirchenmitglieder die Weltanschauung ihrer Institutionen persönlich gar nicht teilt. Im Einklang dessen bescheinigen weitere Umfragen, dass zumindest 80% der Konfessionsfreien ein überwiegend naturalistisch-humanistisches Weltbild vertreten und überraschenderweise sogar fast 60% der christlichen Kirchenmitglieder. Es lässt sich also festhalten, dass insgesamt grob 60% "Prozent der Menschen in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben führen, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott." Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse herrscht keine faire Gleichberechtigung der Bürger unterschiedlicher Weltanschauungen, sondern eine Privilegierung religiöser Weltanschauungsgemeinschaften, insbesondere der beiden christlichen Kirchen. Beispiele dafür sind zahlreich und finden sich im Arbeitsmarkt und Gesundheitswesen, in Schulen, im Rundfunk, Steuerrecht und der Verfassung, aber eben auch in Hochschulen und im akademischen Förderbereich.
Parteienstatistik
Was die Mitgliedschaft in politischen Parteien anbelangt fallen die absoluten Zahlen und relativen Bevölkerungsanteile erheblich kleiner aus. Nur rund 1,22 Millionen Menschen in Deutschland gehören einer Partei an, was geringen 1,5% der Bevölkerung entspricht. Selbst wenn man großzügigerweise das Wahlverhalten der Bürger mit einer allgemeinen Verbundenheit der jeweils gewählten Partei gleichsetzen wollte, so läge der Anteil der Nichtwähler und Wähler sonstiger Parteien noch immer bei über 30 % bei Bundestagswahlen, über 40% bei Landtagswahlen und bis zu 60% bei Kommunalwahlen. Auch bei einem solchen Verständnis wäre der Anteil "neutraler" oder "unabhängiger" Akteure also immer noch groß.
Finanzen
Die Gesamtsumme mit der das Bundesbildungsministerium diese Organisationen finanziell unterstützt, beläuft sich auf 233 Millionen Euro pro Jahr. Die Zuschüsse an die vier konfessionellen Begabtenförderungswerke beliefen sich laut BMBF im Haushaltsjahr 2013 auf insgesamt 27,5 Millionen Euro, wobei das katholische Cusanuswerk mit 9,4 Millionen Euro davon den größten Einzelposten kassierte.
Stipendium Plus
"StipendiumPlus ist Bestandteil einer pluralistischen Bildungs- und Wissenschaftsförderung. Als vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte Begabtenförderungswerke spiegeln wir die Pluralität unserer Gesellschaft wider: es gibt religiös und politisch orientierte Begabtenförderungswerke, ein unternehmerisch- und ein gewerkschaftlich orientiertes Werk sowie ein weltanschaulich, konfessionell und politisch unabhängiges Werk. Als Gemeinschaft … teilen wir diese Leitvorstellungen: Individualität, demokratische Pluralität und sozialverantwortliches Handeln. Wir wollen dich ermutigen, dich für eine offene Gesellschaft qualifiziert zu engagieren." (Quelle: http://www.stipendiumplus.de/service/faq.html)
Der erste Teil dieses Textes liest sich nicht schlecht und ist für sich betrachtet ein wünschenswertes Projekt. Warum also macht der zweite Teil dieser Definition das Vorhaben zunichte? Aus zwei verschiedenen Gründen: zum ersten verfehlt dieser Ansatz die demografische Realverteilung weltanschaulicher und politideologischer Interessen, zum zweiten ist der starke Fokus auf religiös-spirituelles Engagement als wichtiges Aufnahmekriterium in fast all diesen Stiftungen objektiv nicht nachvollziehbar.
Studienstiftung des Deutschen Volkes
Das eine weltanschaulich und politisch unabhängige Förderwerk aus dieser Beschreibung ist die Studienstiftung des Deutschen Volkes. Mit 89 Millionen Euro pro Jahr erhält diese zugleich den größten Einzelposten der Förderbeträge. Wichtig zu beachten ist hierbei, dass sich diese Stiftung in einer Hinsicht grundsätzlich von den anderen 12 unterscheidet. Ein Stipendium von dort erhält bis auf Ausnahmen nur, wer seitens Schulleitungen oder Universitätsverwaltungen dafür vorgeschlagen wird oder als Sieger nationaler Schülerwettbewerbe hervorgeht, oder die richtigen Verbindungen zu Alumni besitzt, da diese Neumitglieder vorschlagen dürfen. Bei allen anderen Stiftungen kann man sich selbstständig bewerben. Das bedeutet im Klartext, dass die Studienstiftung des Deutschen Volkes, die einzig vollständig weltanschaulich und politisch neutrale Option aus dem Fundus, ein sehr elitärer Club ist, der als Option für eine größere Zahl konfessionsloser und/oder politisch freisinniger Studenten wenig taugt. Ob eine derart elitäre Organisation mit immensen privaten Fördergeldern dazu eine staatliche Subvention von 89 Millionen Euro pro Jahr rechtfertigt, steht auf einem anderen Blatt.
Politische Förderwerke
Die sechs politisch orientierten Förderwerke aus dieser Sammlung gehören, wie nicht anders zu erwarten, den großen Parlamentsparteien CSU, CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke. Es ist gemäß den Zugangsvoraussetzungen nicht zwingend notwendig für eine Bewerbung Mitglied in einer Organisation der entsprechenden Partei zu sein. Gleichzeitig wird jedoch sehr deutlich gemacht, dass die eigene Weltanschauung zu größten Teilen mit der des jeweiligen Parteiprogramms oder dessen Präambel übereinstimmen muss. Und man kann sich sicher sein, dass die Prüfer während des Bewerbungsgesprächs eben diesen Einstellungen auf den Zahn fühlen werden, sodass Glaubwürdigkeit in dieser Frage eine wichtige Rolle spielt. Das macht es für jeden kritischen Politikbeobachter und Skeptiker ohne Parteibuch generell schwierig dort Eingang zu finden ohne seine intellektuelle Redlichkeit vollends aufzugeben und das Blaue vom Himmel zu lügen. Wie weiter oben dargelegt ist der Anteil der Bevölkerung, der einer solchen Verbundenheit nicht zugeneigt ist, groß. Hinzu kommt an anderer Stelle, dass es auch Nachteile haben kann in seinem Lebenslauf eine Förderung durch eine ideell und parteilich so eng gebundene Organisation aufzuweisen. Je nach Arbeitgeber kann eine Information des Personalmanagers über die politische Gesinnung auch von Nachteil sein. Zuletzt ist es natürlich so, dass sich Mitgliedschaften in anderen Parteien gegenseitig ausschließen, inklusive Kleinparteien.
Wie soll dieser vorgeschriebene Konformismus bitte förderlich für Individualität sein und die demokratische Pluralität erhöhen? Diese paar Parteistiftungen spiegeln in heutiger Zeit des weltanschaulichen Individualismus, der Politikverdrossenheit und der aufstrebenden Bedeutung von NGOs nicht die Pluralität der Gesellschaft wider. Zuletzt darf man sich fragen ob es mit rechten Dingen zugeht, dass nur die besonders mitgliederstarken Parteien in ihrer Bilanz durch ihre Stiftungen von einem Bundesministerium eine jährliche Zusatzzahlung zur Förderung ihrer Nachwuchsparteipolitiker erhalten.
Konfessionelle Förderwerke
Während bei den Politstiftungen eine formale Parteimitgliedschaft nicht zwangsläufig notwendig ist, verhält sich das bei den konfessionellen Förderern sehr viel strikter. Wer sich bei der Avicienna-Stiftung bewerben will, muss aktiv muslimischen Glaubens sein. Es reicht nicht aus dem Kulturkreis zu stammen. Nur Juden werden vom Ernst-Ludwig-Ehrlich-Werk gefördert und eine katholische Taufe und Mitarbeit in der Kirche sind beim bischöflichen Cusanuswerk Pflicht. Lediglich beim evangelischen Förderwerk ist Protestantismus kein Muss.
An sich wäre das kein Problem, kann doch eine private Stiftung frei entscheiden nach welchen Kriterien sie ihre Mitglieder fördert. Problematisch aber ist es, wenn der religiös neutrale Staat diese religiöse Inselförderung durch ein Ministerium aus allgemeinen Steuergeldern unterstützt, die von allen Bürgern – also auch dem konfessionsfreien Drittel und der stillen nichtreligiösen Mehrheit – gezahlt werden. Besonders seltsam mutet dies an, da das Ministerium so zwar sehr kleine Bevölkerungsanteile wie jüdische und muslimische Studenten unterstützt, aber Menschen mit humanistischer Lebensauffassung oder einem naturalistischen Weltbild trotz viel größerer Anteile ignoriert – denn wie gesagt: die Studienstiftung des Deutschen Volkes ist keine gleichwertige Alternative.
Die Förderungsbegrenzung auf diese Studienwerke diskriminiert indirekt nicht nur nichtreligiöse Menschen, sondern auch Angehörige anderer kleinerer Glaubensgruppen. Abschließend kommt an diesem Punkt hinzu, dass eigentlich alle Stiftungen von "Stipendium Plus" bei ihren Fördervoraussetzungen ein gesellschaftliches Engagement im Bereich des organisierten Glaubens als überaus positiv bewerten und betonen, während gleichzeitig dediziert säkulare Äquivalente zu diesen keines Wortes gewürdigt werden. Nimmt man hinzu, dass sich gerade die Glaubensstiftungen besonders mit dem Hervorbringen zukünftiger gesellschaftlicher Eliten im Sinne wissenschaftlich und ethisch hoch gebildeter Entscheidungsträger brüsten, gewinnt man zunehmend den Eindruck religionsferne Bürger könnten als moralisch und intellektuell minderbemittelt angesehen werden. Angesichts der Tatsache, dass die moderne Kognitionspsychologie mit zunehmend hartem Datenmaterial eine eindeutig negative Korrelation zwischen dem Glauben an das Übernatürliche und dem Grad an Intelligenz, Bildung und Altruismus belegt, wäre das der arrogante Gipfel der Selbstgefälligkeit und Unredlichkeit.
Fazit
Die überwiegende Mehrheit der in der Initiative "Stipendium Plus" staatlich geförderten Stiftungen trägt aufgrund ihrer stark konformistischen und gruppenbezogenen Fördervoraussetzungen kaum etwas zur Stärkung von Individualität, demokratischer Pluralität und der offenen Gesellschaft bei. Demgegenüber wird sozialverantwortliches Handeln ungerechtfertigt intensiv über kirchliches Engagement definiert und leistungsstarke Studierende ohne religiöses Weltbild und/oder offener politischer Perspektive scheinen dort nicht erwünscht. Karl Popper, als Begründer des kritischen Rationalismus, wäre wohl enttäuscht darüber.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von der Webseite der Partei der Humanisten.
3 Kommentare
Kommentare
Lena am Permanenter Link
Der Artikel liegt prinzipiell richtig, denn "Parteifreunde" und religiöse Menschen haben in der Tat mehr Möglichkeiten (und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit) ein Stipendium zu bekommen als neutrale Perso
Der Autor ist allerdings bei der Studienstiftung nicht auf dem neusten Stand. Seit ein paar Jahren ist eine Selbstbewerbung durchaus möglich (https://www.studienstiftung.de/studienfoerderung/selbstbewerbung/). Deswegen halte ich seine Argumentation diesbezüglich für nicht überzeugend. Zudem hat er die Stiftung der dt. Wirtschaft (https://www.sdw.org/studienfoerderwerk-klaus-murmann/auswahlkriterien) als ebenfalls attraktiven Stipendiengeber für Humanisten übersehen.
Dominik am Permanenter Link
Richtig, die Studienstiftung des deutschen Volkes bietet seit einiger Zeit (7 Jahre fast) die Möglichkeit zur Selbstbewerbung.
Schade ist, dass der Autor die beiden verbleibenden Stiftungen nicht beleuchtet, die wohl ebenfalls nicht weltanschaulich neutral sind:
Die Hans-Böckler-Stiftung ist meines Wissens sehr vergleichbar den parteinahen Stiftungen, der Bewerbungsbogen legt(e) nahe, dass Gewerkschaftsmitgliedschaft zumindest der Eltern ein wichtiges Auswahlkriterium ist.
Die Stiftung der deutschen Wirtschaft wiederum gibt sich im Großen und Ganzen recht neutral, dürfte der Nähe zu Arbeitgeberverbänden wegen aber wohl eher im Neoliberalen Umfeld angesiedelt sein.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Ist die Frage, ob Deutschland mit seinem (fast) kostenlosen Studium überhaupt eine Stipendienkultur braucht, so wie angloamerikanische Länder, wo ein Studiensemester alleine schon 20 - 40 T€ kosten kann?