Besonderes Aufsehen erregt derzeit das Musiktheaterprojekt "ZAIDE. EINE FLUCHT", welches der Verein Zuflucht e.V. gemeinsam mit geflüchteten KünstlerInnen entwickelt und in der Alten Kongresshalle in München zur Aufführung gebracht hat. Denn bis kurz vor Schluss war nicht klar, ob es eine Premiere geben würde. Dem Hauptdarsteller Ahmad Shakib Pouya stand die sofortige Abschiebung nach Afghanistan bevor. Pünktlich zu Beginn der Endproben und kurz vor dem Abflug erhielt der Musiker einen einstweiligen Aufschub und die Premiere am 11. Januar war gerettet.
Ob Wolfgang Amadeus Mozart es wohl für möglich gehalten hätte, dass man eines Tages ein Libretto in arabischer Sprache zur Aufführung eines seiner Werke (in Form von Übertiteln) präsentieren würde? Wohl kaum. Und im Fall seiner "Zaide" erst recht nicht. Denn es handelt sich hierbei um ein Singspiel-Fragment, von dem lediglich eine Zahl musikalischer Nummern erhalten ist. Das Libretto ist verschollen. Da "Zaide" als Vorläuferin der bekannt gewordenen "Entführung aus dem Serail" gilt und die Figuren der beiden Werke sich eindeutig ähneln, lässt sich der zugrundeliegende Plott mit etwas Phantasie erschließen: Zwei Liebende fliehen aus der Gefangenschaft in einem fremden Land und haben dabei einige Hindernisse zu überwinden. Da nun aber keine Handlungs-Dialoge überliefert sind, ist bei der Vervollständigung der Textfassung viel künstlerische Freiheit gestattet. Und so wird Mozarts funkensprühende Musik zur Folie für eine Erzählung wie sie brandaktueller nicht sein könnte.
Der erste Teil des Abends liefert dem Publikum eine Idee davon, was geschehen muss, damit Menschen sich dazu entschließen, eine liebgewonnene Heimat zu verlassen. Was alles in ihnen vor sich geht, was sie bereit wären zu tolerieren und zu erdulden, um dort bleiben zu können, wo sie aufgewachsen und sozialisiert sind. Als Handlungsmotivator wird auf - ebenso einfache wie geniale – auf ein Phänomen aus der Welt der Märchen und Sagen gesetzt: Der unbesiegbare Drache, vor dessen tödlicher Brutalität und Unerbittlichkeit nurmehr die Auswanderung bleibt. Damit ist die Flucht-Ursache innerhalb der Erzählung einerseits plausibel und schnell nachvollziehbar zum anderen aber so unkonkret, dass sie zeit- und ortlos gelten kann. Mit seinem Bühnenbild greift Xaver Unterholzner diese Haltung auf, indem er einen wahren Un-Ort schafft. Das treppenartige hölzerne Gerüst auf dem sich die Szenen abspielen könnte vom Hafen bis zur Drachenhöhle alles sein. Schweren Herzens entscheiden sich die Liebende Zaide und Gomatz zur Flucht und machen sich gemeinsam mit allen, die dazu physisch in der Lage sind, auf eine lange und gefährliche Reise in eine ungewisse Zukunft.
Arabische und deutsche Übertitel helfen dabei, den deutschen, englischen und arabischen Dialogen und Arien zu folgen. Nach der Pause rufen zwei Hornisten wieder zurück in den Saal. Begleitet von Siegfrieds Hornruf macht sich das Publikum gefasst auf eine Fortsetzung des Drachenkampfes.
Der zweite Teil zeigt die Ankunft der Flüchtlinge in der neuen "Heimat". Anders als erwartet, strandet man jedoch nicht in Deutschland sondern in einem arabischen Land. Zaide und Gomatz sind europäische Flüchtlinge, die ihr Problem mit dem Drachen vorbringen und bei den arabischen Behörden auf (sprachliches) Unverständnis stoßen. Das Schicksal, auf das man nun keinen Einfluss mehr nehmen kann, wird als "Zwischenzustand" benannt – ein Begriff der recht gut beschreibt, was eigentlich nicht zu beschreiben ist: das totale Ausgeliefertsein an alles, was nun geschehen wird, an den guten Willen der Menschen, die einem begegnen, einfach nur an Glück oder Unglück. Das Überleben liegt in der Hand von Zufällen. Von ihren unfreiwilligen Gastgebern erfahren die Ankömmlinge, dass in diesem Land die Drachen ausgestorben sind. Deutlicher kann man es nicht sagen: Bereits die Geburt im Land mit oder ohne Drachen entscheidet am Beginn des Menschenlebens darüber, wer am Ende Flüchtling sein und wer aus sicherer Position über dessen Schicksal entscheiden wird. Zaide steht hier stellvertretend für die vielen Geschichten, die das Leben schreibt, wenn Menschen auf der Flucht sind.
Musikalisch wird dabei zu großen Teilen Mozart vom Feinsten geboten. Das Ensemble Zuflucht, unter der Leitung des jungen Gabriel Venzago, intoniert sauber, die Tempi sind spritzig und es ist eine wahre Freude, den jungen Sängerinnen und Sängern zu lauschen, die schon allein durch ihre kulturelle Vielfalt dem Komponisten auf unterschiedliche Art und Weise gerecht werden. Cornelia Lanz lässt in der Rolle der Zaide stimmlich keine Wünsche offen und trägt mit der umfangreichen Partie einen Löwenanteil zum Gelingen des gesamten Abends bei. Dem stets anspruchsvollen Mozart fügt sie neben technisch nahezu perfekter Umsetzung noch eine Wahrhaftigkeit im Ausdruck hinzu, sodass man mit ihr liebt, leidet und fliehen möchte. Mazen Mohsen bringt die Nebenrolle des Osmin mit seiner vollen Bassstimme zum Glänzen. Auf einer Kadenz integriert er eine arabische Melodie in seine Arie und stellt damit klar, dass die Kunst auch in der Frage der Integration dem Rest der Gesellschaft mal wieder einen großen Schritt voraus ist.
Das gesamte Ensemble agiert als dynamische, hervorragend eingeprobte Einheit. Es wird gesungen, gesprochen und getanzt und eines hat der Abend auf keinen Fall: Längen. Was bei einer Dauer von 2,5 Stunden und einer sehr heterogenen Gruppe von Menschen mit unterschiedlicher künstlerischer Vorbildung gar nicht so einfach ist. Dies ist sicherlich auch Verdienst des Regisseurs Dominik Frank, der die Szenische Einrichtung des Projekts übernahm.
Die letzte musikalische Nummer handelt schließlich vom Sterben. Ob es Zaide ist oder Gomatz oder ob beide gemeinsam in den Tod gehen oder eventuell ein Happy End gefolgt wäre, gibt das Fragment nicht preis. Und auch dieses scheinbare Manko wird sinnig interpretiert und genutzt: Pouya beendet den Abend mit einem Lied davon, dass wir es nicht wissen, weil die Oper nicht zu Ende komponiert wurde. Die Geschichte auf der Bühne endet, doch sein Lied schlägt einen Bogen in die Gegenwart des realen Lebens. Denn auch seine Geschichte ist eine, deren Ausgang noch in Dunkel liegt.
Was der Abend einmal mehr deutlich macht, ist die Wichtigkeit der Musik und der Darstellenden Künste für die Völkerverständigung und als Weg zu einer gelingenden Integration. Die vielen Geflüchteten auf der Bühne geben der Masse von der die Zeitungen berichten, ein Gesicht und eine Stimme. Die Musik von W.A. Mozart ist dabei ein Medium, das den ersten Weg zu Verständigung und Annäherung weist. Bleibt zu hoffen, dass unsere politischen Entscheidungsträger an dieser Stelle lernen, die Kunst nicht als notwendiges Übel oder brotlose Beschäftigungstherapie zu sehen, sondern Projekte dieser Art weiter fördern und sich dieses Potential zu Nutze machen.
1 Kommentar
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hört sich unerhört spannend an!