Definition über eine inhaltliche und stilistische Dimension

Populismus – was ist das überhaupt?

"Populismus" ist ein schillernder Begriff, der sowohl als politisches Schlagwort wie als wissenschaftlicher Terminus genutzt wird. Im erstgenannten Sinne kann eine negative Bewertung, wobei es um das konzeptionsloses Buhlen um Massenakzeptanz geht, und eine positive Deutung, wobei es um den postulierten Einklang mit dem Volkswillen geht, unterschieden werden. Auch wenn "Populismus" in der politischen Auseinandersetzung interessengeleitet genutzt wird, spricht dies nicht gegen dessen Gebrauch in einer wissenschaftlichen Perspektive. Denn es gibt von "Demokratie" über "Freiheit" und "Gerechtigkeit" bis zu "Widerstand" kaum einen nicht instrumentalisierbaren Begriff. Würde man jeweils aufgrund dieser Einsicht auf die Nutzung eines Terminus verzichten, dann wäre kaum noch Kommunikation über politische Sachverhalte möglich. Umso notwendiger ist es, dass einschlägige Begriffe möglichst trennscharf definiert werden, um sie einem derartigen Missbrauch zu entziehen. Dies soll hier anhand von "Populismus" versucht werden.

Dabei ergeben sich auf unterschiedlichen Ebenen einige Schwierigkeiten: Erstens besteht kein allgemeiner Konsens in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum konkret Gemeinten. Indessen sind dort einige Gemeinsamkeiten formaler und inhaltlicher Natur herausgearbeitet worden. Zweitens bezeichnet man völlig verschiedene Bewegungen, Parteien und Politiker als "populistisch". Dazu gehörte im 19. Jahrhundert eine US-amerikanische Farmer-Bewegung ebenso wie die russischen "Volkstümler", im 20. Jahrhundert lateinamerikanische Diktatoren ebenso wie der chinesische Maoismus. In der Gegenwart findet sich der Terminus sowohl gegenüber Parteien wie Protestbewegungen von links und rechts, seien dies "Podemos" in Spanien oder der "Front National" in Frankreich, die "Occupy"-Bewegung in den USA oder die "Pegida"-Demonstranten in Deutschland. Demnach gibt es sowohl für den inhaltlichen wie organisatorischen Bereich viele Unterschiede, welche bei einer ersten Definition des Gemeinten und dann auch dessen Typologisierung berücksichtigt werden müssen.

Bereits hier deutet sich an, dass eine inhaltliche Bestimmung von Populismus nicht allein möglich ist. Es kann sich schwerlich um eine entwickelte politische Ideologie oder Theorie wie etwa Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus handeln. Denn es gelten inhaltlich ganz unterschiedlich ausgerichtete Akteure als "populistisch". Gleichwohl scheint ihnen angesichts der Berufung auf das "Volk" eine minimale inhaltliche Gemeinsamkeit eigen zu sein. Hier würde es bei dem Definitionsversuch darum gehen, dieses inhaltliche Minimum zu benennen. Es dürfte aber auch mehr formaler, denn ideologischer Natur sein. Angesichts der für die genannten populistisch Handelnden auszumachenden unterschiedlichen Organisationsformen muss es mit um eine politische Strategie gehen. Daher ist auch eine konkrete Handlungsweise angesprochen. Es geht demnach nicht um eine politische Ideologie, sondern um eine Politikform oder einen Politikstil, also eine Art, wie sich politische Akteure in Beziehung zu dem von ihnen umworbenen Volk bzw. Volsteilen setzen.

Diese Auffassung sieht im "Populismus" eine bestimmte Interaktion, also eine Wechselbeziehung zwischen einem Akteur und seinem Publikum, wobei sich einer derartigen Kommunikationsform die unterschiedlichen ideologischen und organisatorischen politischen Bestrebungen bedienen können. Das wären auf einer inhaltlichen Ebene "linke" wie "rechte", "religiöse" wie "soziale", auf einer organisatorischen Ebene "Aktivistengruppen" wie "Bewegungen", "Kulturorganisationen" wie "Parteien". Diese Einsicht macht deutlich, dass der analytische Gebrauch von "Populismus" auch eine zusätzliche Einteilung und Unterscheidung eben nach inhaltlichen und stilistischen Kriterien notwendig macht. Ansonsten würden falsche Bilder aufkommen und schiefe Zuordnungen erfolgen. Doch zunächst stellt sich die Frage nach den Merkmalen von "Populismus" allgemein. Hier sollen als derartige Besonderheiten die folgenden vier Gesichtspunkte mit einem inhaltlichen Minimum und stilistischen Vorgehen unterschieden werden:

Dazu gehört erstens der Bezug auf das "Volk" als Einheit, wobei die politischen und sozialen Unterschiede von Einzelnen und Interessengruppen zugunsten der Konstruktion eines allgemeinen, erkennbaren, feststehenden und wahren Volkswillens mit antipluralistischer und identitärer Dimension ignoriert werden. Die damit einhergehende Blickrichtung nimmt nicht die Differenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche ethische, politische oder soziale Gruppen oder Milieus zur Kenntnis. Man geht demgegenüber von der Einheitlichkeit und Homogenität des Volkes aus, was aber in komplexen Gesellschaften nicht der sozialen Realität entspricht. Demnach konstruiert der populistische Diskurs eine besondere "Volk"-Vorstellung. Sie passt zu den eigenen Grundpositionen und wird als Referenzpunkt in der öffentlichen Werbung genutzt. Angelegt in dieser Annahme ist bereits die Ausgrenzung von bestimmten Personengruppen, da sie nicht als Bestandteile des so konstruierten "Volkes" sein sollen. Es kann eine Elite sein, es können auch Minderheiten sein.

Als zweitens Kriterium gilt der Rekurs auf das Unmittelbare und die direkte Beziehung von dem populistischen Akteur und dem präsenten "Volk", womit die Bedeutung von Komplexität, Repräsentation und Vermittlung in modernen und pluralistischen Gesellschaften zugunsten des Postulats einer Einheit zwischen beidem ausgeblendet wird. Dabei geht es um mehrere Aspekte: Dazu gehört zunächst das Bedürfnis nach Einfachheit, Überschaubarkeit und Verständnis, das durch gesellschaftliche und technische Modernisierungsschübe neue Nahrung erhält. Die Abgehobenheit von komplexer Politik soll durch die Nähe zu den Verantwortlichen überwunden werden. Dabei geht es aber nur um den eingebildeten "Politiker zum Anfassen", da dies ja in der Realität kaum passieren wird. Mit einschlägiger Agitation geht häufig eine Forderung nach mehr direkter Demokratie einher. Gefahren für die Gewaltenteilung und Machtkontrolle, welche sich aus einer Berufung auf den angeblichen "Volkswillen" ergeben, werden damit aber nicht problematisiert.

Das dritte Merkmal besteht in der Anlehnung an den Alltags- bzw. "Stammtisch"-Diskurs, also an real existierende diffuse Einstellungen, Ressentiments und Vorurteile in der Gesellschaft, wobei es sich nicht allein um Betrug und Manipulation, sondern um die Thematisierung von realen Empfindungen und Problemen handelt. Dazu gehört das Aufgreifen von Ängsten und Sorgen, allerdings in der Ansprache um deren Steigerung und nicht um deren Überwindung willen. Sie werden dann mit bestehenden Einstellungen im negativen Sinne, welche sich gegen bestimmte Personengruppen richten, inhaltlich verknüpft, um sich gegen einen angeblichen oder tatsächlichen Profiteur oder Verursacher zu wenden. Eine einschlägige Agitation bezieht sich auf eingebildete oder reale Probleme und propagiert für sie eine einfache und stereotype Erklärung für die Wirklichkeit. Gerade wenn das Deutungsangebot des Populisten mit dem Empfinden von Unsicherheit in Verbindung gebracht wird, entsteht ein Resonanzraum für dessen erfolgreiches Wirken.

Und schließlich kann hier viertens auf die Bildung von konfrontativen Identitäten verwiesen werden, welche in einem "Wir" gegen "die Anderen" besteht, wobei mit dem Erstgenannten das "einfache" und "wahre Volk" und mit dem Letztgenannten die "Elite" bzw. "Politiker", aber auch Angehörige von Minderheiten unterschiedlichster Art gemeint sind. Es geht dabei zunächst einmal um ein dualistisches Denken, das von den Kategorien "gut-böse" oder "positiv-negativ" geprägt ist. Dabei erscheint das eingebildete oder reale "Volk" immer als der Berufungsfaktor, dem als Feind eine Gegen-Gruppe gegenübergestellt wird. Für die Agitation ergeben sich daraus mehrere Vorteile: Es kann eine scheinbare Erklärung für ein Übel durch den Verweis auf einen Verursacher präsentiert werden. Die Angesprochenen erfahren eine Aufwertung und ihre Identität als dem "Volk" Zugehörige. Und sie können Abgrenzungen und Schuldzuschreibungen gegenüber den angeblich Verantwortlichen vornehmen. Differenzierungen und Kompromisse werden so ausgeschlossen.

Bei der Anwendung der vier Analysekriterien auf unterschiedliche Untersuchungsobjekte, ergibt sich die bereits erwähnte Notwendigkeit noch weitere Typologisierungen vorzunehmen. Eine Differenzierung von Populisten kann sich beziehen auf die inhaltliche Ausrichtung, wofür ein "Links"- oder "Rechtspopulismus" steht, auf eine thematische Orientierung, wofür ein "National"- oder "Sozialpopulismus" steht, auf eine Position, wofür ein "von oben" durch einen Politiker oder ein "von unten" durch eine Opposition steht oder durch die konkrete Trägerschaft, wofür eine Partei oder eine Protestbewegung steht. Erst wenn derartige Aspekte für eine Einteilung hinzugenommen werden, macht der analytische Nutzen von "Populismus" inhaltlichen Sinn. Dies gilt auch und gerade für die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Vergleich. Geschieht dies nicht, hätte man es nur mit einem diffusen Konzept zu tun. So gestatten die genannten Aspekte es nicht nur, die Besonderheiten zu erfassen, sondern auch Ursachenfaktoren zu benennen.

Ein besonderer Gesichtspunkt soll indessen hier noch abschließend erörtert werden: Wie steht es um Differenzierung demokratisch und extremistisch und die Unterscheidung nicht-populistisch und populistisch? Es dürfte deutlich geworden sein, dass das Gemeinte auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt ist. Gleichwohl machen viele Bestandteile von "Populismus" eine Nähe zum Extremismus deutlich. Dies gilt insbesondere für den Antipluralismus der homogenen "Volks"-Vorstellung und das Freund-Feind-Denken bei den konfrontativen Identitäten. Dabei kommt es aber immer darauf an, in welchem Ausmaß sich ein politischer Akteur derartiger Vorstellungen bedient. Denn auch ein demokratischer Politiker kann populistische Elemente nutzen, sofern er die Grenzen im Selbstverständnis nicht überschreitet. Ein extremistischer Akteur wird demgegenüber die einzelnen Bestandteile in besonders stark ausgeprägter Form in sein Selbstverständnis aufnehmen. Dies lässt sich bei den Bestrebungen des gegenwärtigen "Rechtspopulismus" leicht feststellen.


Literaturempfehlungen:
Decker, Frank (Hrsg.) (2006): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Dubiel, Helmut (Hrsg.) (1986): Populismus in Aufklärung, Frankfurt/M.: Suhrkamp-Verlag.

Hartleb, Florian (2014): Internationaler Populismus als Konzept. Zwischen Kommunikationsstil und fester Ideologie, Baden-Baden: Nomos-Verlag.

Müller, Jan Werner (2016): Was ist Populismus?, Berlin: Suhrkamp-Verlag.

Priester, Karin (2012): Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäeleon, Frankfurt/M.: Campus-Verlag).