Rezension

Widerstand der Vernunft

Susan Neiman zeigt in ihrem jüngst erschienen Buch, dass es neue politische Ideen braucht, um Populismus und konservativen Nationalismus aufzuhalten. Wenn heute den Fakten, der Vernunft und dem politischen Mitdenken nicht der Raum gegeben wird, den es bracht, werden die Lügen der "postfaktischen" Populisten Konsequenzen haben. Die Philosophin ruft dazu auf, für Wahrheit und Moral öffentlich einzutreten, Alternativen zu denken und zu leben und den bedenklichen politischen Entwicklungen in den USA und Europa so die Stirn zu bieten.

"Die Welt wird sich ändern, wenn jene Politik, die Trump zum Präsidenten machte, zur Normalität erklärt wird" (S. 69). Klare Worte auf wenigen Seiten zu den Wörtern des Jahres 2016 – "post-truth" und postfaktisch – und ihren Protagonisten, wie auch zu deren Methoden, wie z.B. "gaslighting" (permanente Verbreitung offensichtlicher Lügen, um Gegner zu verwirren) mit vorgetäuschter Authentizität, die bei wenig informierten Menschen Glaubwürdigkeit erzeugt, obwohl die behaupteten Tatsachen frei erfunden sind. Donald Trump, dem es nach Ansicht der Autorin völlig an Schamgefühl fehlt, wird anhand seiner Aussagen und Handlungen in der Vergangenheit, wie auch Gegenwart, als ignoranter, geldgieriger, verlogener Narzisst (S. 16) charakterisiert; einige seiner Mitstreiter, wie Steve Bannon, sowie unterstützende Medien, wie Breitbart News, werden durch zahlreiche Hintergrundinformationen bloßgestellt und die sich aus dieser Konstellation ergebenden politischen, wirtschaftlichen sowie allgemeinen Gefahren für Amerika und die ganze Welt aufgezeigt

Die Philosophin Susan Neiman, geboren in den USA, renommierte Professorin an der Yale University und der Universität Tel Aviv, derzeit Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, beschränkt sich allerdings nicht darauf, die derzeitige Situation in den USA und Europa zu analysieren, sondern erklärt auch die geschichtlichen Hintergründe der gegenwärtigen Fehlentwicklungen und wie ihnen zu begegnen ist. Allgemeine Geschichtsvergessenheit (besonders seit Reagan), Rassismus, der nicht trotz, sondern sogar wegen Obama gestiegen ist, hemmungsloser Populismus z.B. der Tea Party und tief verankerter Urfaschismus, der sich in Irrationalismus manifestiert, führten - gepaart mit Armut und Ängsten vor Arbeitsplatzverlust durch Globalisierung und Automatisierung – zu Entwicklungen, die die Wahl von Trump ermöglichten. Die Autorin erläutert auch eindringlich die Gefahren, wie auch die bereits eingetretenen negativen Auswirkungen eines hemmungslosen Neoliberalismus, der den Begriff Fortschritt für sich okkupiert und dabei die Idee verbreitet, dass echte Werte nur Marktwerte sind (S. 51). "

Was ist zu tun? Susan Neiman appelliert an ihre Landsleute, aber auch an Europa, die eigenen Ideale wieder zu entdecken: "Wird Trump Europa dazu bringen, seine eigenen Tugenden neu schätzen zu lernen, und viele Europäer dazu bewegen, sich zivilgesellschaftlich dafür zu engagieren?" (S 74). Dem leninistischen Prinzip, wonach alles erstmals zum Schlimmsten kommen muss, bevor es besser wird, muss rechtzeitig und sehr entschieden begegnet werden, Aufklärung und Fortschritt liegt in Menschenhänden. Es gilt, grassierendem Pessimismus zu begegnen und auf die "Nacktheit des Kaisers" hinzuweisen. Dazu kommen aus Amerika hoffnungsvolle Zeichen; der Widerstand gegen den Rechtsnationalismus hat bereits begonnen (S. 77) und das Buch schließt dementsprechend mit der Frage (als versteckte Aufforderung): "Welche Europäer möchten sich anschließen"?

Ein an Seiten kleines, an Inhalt großes Buch, das an Klarheit der Analysen und Aussagen nichts zu wünschen übrig lässt und gerade "in Zeiten wie diesen" eine breite Leserschaft finden sollte.

Susan Neiman: "Widerstand der Vernunft – Ein Manifest in postfaktischen Zeiten", © 2017, ECOWIN Verlag Salzburg, ISBN 978-3-7110-0154-2, 77 Seiten, 8,00 Euro (eBook 3,99 Euro)