Weltkulturerbe im Strudel des Populismus

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Die Hagia Sophia wird zum Instrument von Erdoğans Populismus
Das Gebäude der Hagia Sophia

Die Hagia Sophia wird wieder zur Moschee. Das oberste türkische Verwaltungsgericht hat ein populistisches Vorhaben abgesegnet, das viel internationales Porzellan zerschlägt, wie schon die ersten Reaktionen offenbaren. Ein hoher Preis für ein Ablenkungsmanöver von innenpolitischen Problemen.

Jetzt ist es also offiziell: Die Hagia Sophia wird wieder sakralisiert. Man kann es als symbolischen Akt der Entsäkularisierung der Türkei verstehen: Atatürk hatte das einzigartige, ursprünglich christliche und dann islamische Gotteshaus zum Museum gemacht. Das ist jetzt Geschichte. Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat entschieden, was sich lange angebahnt hatte: Es hat die Profanisierung im Jahr 1934 für ungültig erklärt. Das Gebäude, das zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, sei rechtmäßiges Eigentum der Religionsbehörde Diyanet, die auf den Eroberer Konstantinopels, Sultan Mehmet II., zurückgehen soll. Damit ist der Weg für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan frei, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Wie schon so oft trampelt "der Irre vom Bosporus", wie ihn Satiriker und Europa-Abgeordneter Martin Sonneborn gern nennt, auf der internationalen Diplomatie herum, um den Religiösen und den Nationalisten seines Landes zu gefallen. Die FAZ nennt das einen "Triumph des Populismus über Tourismus und Wissenschaft". Erwartungsgemäß gab es einen weltweiten Aufschrei, während erdoğantreue türkische Medien laut Süddeutscher Zeitung von der "Rettung der Türkei aus der Tyrannei der Kreuzfahrer" schrieben.

Die Kreuzzug-Rhetorik findet sich auch auf der anderen Seite: Der griechische Regierungssprecher sprach von einem "historischen Fehler" der Erdoğan-Regierung und von einer "Beleidigung der christlichen Welt", auf die es "eine entsprechende Antwort" geben müsse, berichtete die Frankfurter Rundschau. Was das genau sein könnte, blieb offen. Die Präsidentin des Landes äußerte sich besonders drastisch und bezeichnete die Rückumwandlung als "zutiefst provokanten Akt gegen die internationale Gemeinschaft" (tagesschau.de). Dieser Schritt beleidige auf "brutale Weise das historische Gedächtnis, untergräbt den Wert der Toleranz und vergiftet die Beziehungen der Türkei zur gesamten zivilisierten Welt". Griechenlands Kulturministerin sieht gar einen "Rückfall ins Mittelalter".

Auch die deutschen Reaktionen fielen deutlich aus: Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel (CDU), sagte in einem Interview mit domradio.de: "Ich sehe die Maßnahme als Abwendung von Europa, von westlichen Werten, auch Abwendung von Toleranz und Respekt der jeweils anderen Religionen gegenüber". Florian Hahn, europapolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schrieb auf Twitter, die Nutzung der Hagia Sophia als Moschee stehe symbolisch für die wachsende Entfremdung zwischen der EU und der Türkei unter Erdoğan. "Es kann daher nur eine Konsequenz geben: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen beendet werden! Sie sind nur noch Farce."

Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, ist ebenfalls nicht begeistert. Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die Hagia Sophia ist Welterbe und ein Symbol friedlichen Zusammenlebens der Religionen. Dass man daraus eine Moschee macht, ist eine absolute Fehlentscheidung. Die Türkei wird nun als das Land verurteilt werden, das mit so einem Erbe nicht umgehen kann." Man solle mit religiösen Symbolen keine Politik machen, erklärte er außerdem. Er wünsche sich, dass man beim alten Zustand bleibe.

Die Unesco veröffentlichte denn auch ein Statement, in dem sie die Umwidmung der Hagia Sophia "tief bedauert". Die Entscheidung der türkischen Behörden sei ohne Abstimmung mit der UN-Sonderorganisation gefällt worden. Sie erinnerte an den universellen Wert des Gebäudes und an die Pflicht des zuständigen Staates, sicherzustellen, dass dieser Wert nicht beeinträchtigt werde. Über etwaige Anpassungen müsse die Unesco vorab informiert werden, damit diese gegebenenfalls von ihrem Komitee überprüft werden könnten.

Ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche sprach von einem "Schlag gegen die Orthodoxie", hieß es in der Frankfurter Neuen Presse. "Das geistige und kulturelle Erbe einer ganzen Welt sollte nicht als Geisel einer politischen Situation genommen werden." Am Sonntag meldete sich dann auch der Papst zu Wort: Er sei "schwer getroffen".

Besonders wenn es um Religion geht, sind Gefühle ja bekanntlich schnell verletzt. Das Manöver des türkischen Staatschefs scheint hier Gräben wieder aufzureißen, die mühsam mit viel Fingerspitzengefühl über einen langen Zeitraum einigermaßen zugeschüttet worden waren. Und das alles nur, wie vermutet wird, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken: Die Umfragewerte sind im Keller, die Wirtschaft leidet, verstärkt durch die Corona-Pandemie, deren Management anfangs chaotisch ablief. Wie klug das kurzfristig gedachte Vorgehen des autokratischen Staatsoberhaupts ist, wird sich zeigen müssen. Denn mit seinem Manöver hat er Europa und Russland gleichzeitig gegen sich aufgebracht.

Erdoğan forderte derweil Respekt für seine Entscheidung ein und treibt sein populistisches Projekt unbeirrt und zügig voran: Schon Ende nächster Woche soll in der meistbesuchten Touristenattraktion der Türkei das erste Freitagsgebet stattfinden.

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