Der Band 36 der Schriftenreihe der Freien Akadamie mit dem Titel "Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit" ist erschienen. Damit wird ein Beitrag zum Martin-Luther-Jahr 2017 geboten.
Mit der Entstehung neuer religiöser Deutungskonzepte in der Reformationszeit und deren Institutionalisierung in Konfessionskirchen verschärfte sich die Spannung zwischen religiösen Einheitsansprüchen und zunehmender religiöser Pluralität. Reformatoren wie Luther oder Calvin beanspruchten Deutungsmacht über die Bibelauslegung und setzten sie der Deutungshoheit der hergebrachten kirchlichen Institutionen entgegen. Indem sich Landes- und Stadtobrigkeiten bestimmte Deutungskonzepte zu eigen machten, konnten sie den zuvor schon im Gang befindlichen Ausbau eines landesherrlichen Kirchenregiments nachhaltig steigern. Gleichzeitig wirkte diese Entwicklung als Impuls zur weiteren Pluralisierung inner- und außerhalb der Konfessionen und strahlte auch auf andere Bereiche wie die Entwicklung der Kunst, des Rechts und der Naturwissenschaften aus. Individuelle Religion differenzierte sich in ein öffentliches Bekenntnis und eine privat gelebte Praxis.
Die Beiträge dieses Buches bedenken diese in der Reformationszeit aufbrechende Spannung zwischen den Bedürfnissen nach weltanschaulicher Einheit und nach Pluralität. Noch heute kommt diese Spannung z.B. einerseits in den Rufen nach "Minimalkonsens" und "Wertegemeinschaft" und andererseits in dem Bedürfnis nach Weltanschauungs- und Religionsfreiheit zum Ausdruck.
Reformation bezeichnet im engeren Sinn eine kirchliche Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1555 bzw. 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen führte. Die Reformation wurde in Deutschland überwiegend von Martin Luther (1483–1546), in der Schweiz von Huldrych Zwingli (1484 – 1531) und Johannes Calvin (1509 – 1564) angestoßen. Ihr Beginn wird allgemein auf 1517 datiert, als Martin Luther am 31. Oktober des Jahres seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll.
Die Reformation war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte Europas und in der Geschichte des Christentums. Die Reformation revolutionierte nicht nur das geistliche Leben, sie setzte auch eine umfassende gesellschaftspolitische Entwicklung in Gang. Vorbereitet durch Luthers prinzipielle Trennung von Geistlichem und Weltlichem löste sich der Staat von der Bevormundung durch die Kirche, um nun seinerseits durch eine fürstenstaatliche Ausrichtung der Reformation die Kirche von sich abhängig zu machen. Doch auch dies stellte nur eine Übergangsphase in einer Entwicklung dar, die in vielen europäischen Ländern in die Trennung von Kirche und Staat mündete.
Es entwickelten sich im 16. Jahrhundert verschiedene Positionen in der Reformation, die hier beispielhaft in Beiträgen über Thomas Müntzer, Andreas Gronewald und Johannes Eck zum Ausdruck kommen. Weitere Buchbeiträge befassen sich mit der Zeit von Reformation und deutschem Bauernkrieg, mit Standpunkten zu Astronomie und Astrologie und mit Sichtweisen auf Juden und Judentum in der Reformationszeit.
Herausgeber des Buches sind Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer und Dr. Dieter Fauth. Sie haben zugleich die wissenschaftliche Tagung der Freien Akademie im Mai 2016 zum gleichen Thema inhaltlich vorbereitet und geleitet. Das Buch beinhaltet die Beiträge und Ergebnisse dieser Tagung.
Autoren sind Ulrich Bubenheimer, Dieter Fauth, Dieter B. Herrmann, Fabian Scheidler, Günter Vogler und Alejandro Zorzin.
156 Seiten | Berlin 2017 | ISBN 978-3-923834-34-1 | 19,90 Euro - Das Buch ist über den Angelika Lenz-Verlag, 63263 Neu-Isenburg, Beethovenstr. 96, zu beziehen.
2 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Einige Reformationskollegen Luthers haben gewiss mäßigend gewirkt - auch wegen der ständigen Gefahr durch die römische Kirche. Luthers selbst hatte vieles im Kopf, eines gewiss nicht: Eine Förderung der Pluralität.
Er wollte eine Vereinheitlichung sämtlicher Religionen unter seinem Bibel-/Gottesverständnis, sah selbst Adam, Abraham, Mose und David als Christen an, die im völligen Einklang mit Jesu Lehre (und seiner Exegese) argumentieren würden. Jede andere Auffassung überzog er mit Spott und dem Verbreiter dieser "Falschauslegungen" wünschte er ewiges Brennen in der Hölle.
In der Rückschau war die Reformation dringend geboten, auch wenn Nietzsche Luther dafür nicht besonders mochte, weil er das in den Wogen der Renaissance untergehende Christentum neu entfachte (vgl. "Der Antichrist"), doch einen positiven Schub in Richtung Demokratie, Menschenrechte, Pluralität, Säkularisierung oder gar Emanzipation kann ich nicht erkennen - höchsten mittelbar, weil das ganze heillose Durcheinander im 16. und 17. Jh. die Menschen lehrte, dass es wohl mehr als eine Wahrheit/Meinung geben muss. Ein nicht zu unterschätzender Denkanstoß, der aber Luthers Glauben extrem zuwiderlief.
Gerade der populäre Irrtum, Luther habe die Emanzipation angestoßen muss im Licht der Geschichte genau andersherum gesehen werden (vgl. Roper 1995). Luther hat also durch sein respektloses Auftreten sicher die Kirchenspaltung befördert, doch sie wäre ohne ihn - vermutlich deutlich später - auch gekommen und das vermutlich deutlich friedlicher. Aber so wurde sehr viel Hass gesät, den ich z.B. noch aus katholischen Quellenschriften von 1926 herauslese. Wie erbittert dort über Luther und die Reformation geschrieben wurde (mit Imprimatur) erklärt, warum die Ökumene nicht vom Fleck kommt. Bis heute ist die evangelische Kirche vom Papst nicht offiziell als Kirche anerkannt - was Luther das Messer in seinem Totenhemd aufgehen lassen würde, falls es Taschen hätte...
Dieter Bauer am Permanenter Link
Ob Luther, ob Papst, ob Ajatollah, ob Rabbiner oder irgend ein anderer Religionsoberer, sie ALLE sind Verbreiter von Fantasien bar jeden belastbaren existenziellen Beweises.
Viel, sehr viel Leid wäre der Menschheit erspart geblieben.