Dr. Dr. Joachim Kahl hielt ein Seminar über Martin Luther

Die protestantische Reformation aus der Sicht eines säkularen Humanismus

Der marburger Philosoph Dr. Dr. Joachim Kahl ist bekannt für seine humanistisch orientierte Religionskritik – aufgeregtem Anti-Theismus erteilt er eine Absage. Der Autor des Best- und Longsellers "Das Elend des Christentums" nimmt trotz aller Rücksicht kein Blatt vor den Mund und wußte durch eine ausgewogene Einordnung und Kritik der Bedeutung Martin Luthers zu überzeugen. Im Jahr des Reformationsjubiläums widmet er sich der säkularen Sicht auf Martin Luther und skizziert warum dessen Persönlichkeit heute überbewertet wird und nur noch musealen Charakter hat."

Bei Martin Luther gäbe es nichts Neues was man nicht schon im Einzelnen bei dem englischen Kirchenreformer John Wicliff oder beim böhmischen Reformator Jan Hus finden konnte. Luther konnte aber - im Gegensatz zu seinen Vorläufern - sich auf mächtige Schutzherren stützen und wurde vom Kurfürst von Sachsen protegiert was ihm erlaubte seine Parolen zu verbreiten und gegenüber der übermächtigen katholischen Kirche zu bestehen.

Es gibt emanzipatorische Impulse in Martin Luthers Religionsbegriff, allerdings ging es ihm immer nur um die Freiheit des Christenmenschen - Juden und Andersgläubige waren ausgeschlossen. Luthers Verdienst läge in der Subjektivierung des Gottesbegriffes - zu finden im großen Katechismus, einer von ihm verfaßten Lehrschrift, in seiner Erläuterung zum ersten Gebot: "Gott ist dass, woran Du Dein Herz hängst”. Diese radikale Subjektivierung des Gottesglaubens trüge den Keim der Säkularisierung in sich. Das Gott so ins Innere gezogen werde erlaubte z.B. Ludwig Feuerbach in seiner Hauptschrift seinen Atheismus auf Martin Luther zu gründen.

Durch die dauerhafte Glaubensspaltung entstand der Zwang zur religiösen Koexistenz - eine Vorstufe zur Toleranz. Dennoch bleibt im Protestantismus die Lust am theologischen Gezänk, bzw. befördert die Tollwut der Theologen, die "rabies theologiae”. Die Tollwut der Theologen entstünde just aus der neu erworbenen Freiheit des Christenmenschen. Dies ergibt sich aus dem indivudualistischem Prinzip - dass nun jeder selbst sein Priester sein kann.

Die Kernidee Luthers - das allgemeine Priestertum der Gläubigen (der Getauften) - ist für die damalige Zeit ein demokratischer Impuls mit Tendenz zur Volkssouveränität. Die Monopolstellung des Priestertums wurde aufgeknackt. Jeder konnte nun in Glaubensfragen sein eigener Herr sein, allerdings nur geleitet von der Bibel. Das Kleinhalten des Laientums war an die Unlesbarkeit der Bibel gebunden. Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche stellte eine kulturrevolutionäre Tat dar.

Später wurden die ersten Volksschulen etabliert damit die Menschen die Bibel selbst lesen können. Der Glaube wurde - weg vom allgemeinen Priestertum - individualisiert. Durch diese Individualisierung wird Gott wird "in der Seele des Menschen geboren" als mystische Tradition bei Martin Luther. Im Protestantismus gibt es daher keine Seelenmessen, Ablässe oder Fürbitten bei den Heiligen, das stellt eine Rationalisierung innerhalb des Heilsapparates her. Es ergibt sich eine innere Gefährdung der religiösen Haltung: Wenn jeder sein eigener Priester sein kann, kommt man vielleicht früher oder später auf die Frage - brauche ich überhaupt Gott? Denn ich brauche auch keine Messen mehr, keine Wallfahrten und keine Reliqien. Warum brauche ich dann überhaupt am Ende Gott selbst? Durch diese Haltung entsteht eine Steigerung des Selbstwertgefühls durch eine Art "Gottesgeburt im Inneren" bis hin zur Unbeugsamkeit mit Fanatismus und Starrsinn. Das zeige sich auch im Erwählungs- und Wahrheitsbewußtsein Luthers. Er schöpfte aus ihr die Kraft zum Widerspruch - zum "Nein" sagen. Dies könnte somit als "protestantisches Prinzip" gelten, das "Nein" sagen als Anteil eines demokratischen Menschen, es öffnete aber auch das Tor zum Eiferertum und zur Intoleranz. Luther sah z.B. den züricher Reformator Zwingli nicht als wahren Christen wegen dessen unterschiedlicher Interpretation des Abendmahls.

Zu recht wird Luthers Antijudaismus kritisiert, allerdings ist dieser Antijudaismus im Christentum fest verankert, also nichts genuin lutherisches. Martin Luther stellt hier nur den Gipfel einer schrecklichen Tradition dar. Der Protestantismus hat nicht die vollständige Autonomie hervorgebracht, sondern eine Art herätische Selbstermächtigung innerhalb des Christentums. Ein Recht auf Unglaube und Religionslosigkeit war damals undenkbar.

Was bleibt heute von Luther? Im Rahmen der Feiern zum Lutherjahr findet man bei der Evangelischen Kirche Deutschlands eine Selbstbanalisierung durch den Verkauf von Luthersocken, Luther-Playmobil-Figuren und - für kurze Zeit - von Lutherkondomen. Anders als die Evangelische Kirche Deutschlands hält Kahl die durch Luther angestossene Reformation nicht für ein "Tor zur Neuzeit", dies sei eine grobe Überschätzung. Die Reformation war allenfalls ein Geburtshelfer. Luther sei eine Figur des Übergangs, der Protestantismus nur eine Etappe in der Religionsgeschichte.

Joachim Kahl: Heinrich Heine über Martin Luther:

Joachim Kahl: Die protestantische Reformation aus der Sicht eines säkularen Humanismus