Der Blogger und Aktivist Amed Sherwan hat dem Islam abgeschworen. Er zieht deswegen nicht nur den Hass fanatischer Muslime auf sich, sondern wird auch zunehmend von Rechtsextremisten angefeindet. Hier schildert er, wie es dazu gekommen ist und warum er sich davon nicht einschüchtern lässt.
Anders als viele Kriegsflüchtlinge habe ich mir Deutschland nicht nur ausgesucht, um hier in Sicherheit leben zu können. Deutschland macht mich glücklich und bedeutet für mich Freiheit. Denn solange ich niemandem damit schade, kann ich hier glauben, denken und sagen, was ich will, ohne dafür mit Repressionen rechnen zu müssen. Oder doch nicht?
Anfangs war ich allerdings gar nicht in der Lage, meine Meinung zu formulieren. Ich sprach etwas Englisch, musste mir deutsche Sprachkenntnisse aber erstmal mühsam erarbeiten. Und auch sonst bot mir das neue Leben viele Hürden und Probleme. Ich war einsam, hatte furchtbares Heimweh und litt unter Alpträumen. Für meine Fluchtgründe interessierte sich kaum jemand und ich hatte ganz andere Sorgen, als politisch oder journalistisch aktiv zu sein. Erst zwei Jahre später machte ich im Rahmen eines Schulpraktikums erste Erfahrungen damit. Ich interviewte einen schwulen Freund aus dem Irak für die Lokalzeitung, mein Anleiter half mir mit dem Aufbau und der Rechtschreibung und ich konnte stolz meinen allerersten eigenen Artikel präsentieren.
Ich hatte die schlimmsten Sprachbarrieren inzwischen überwunden und viele Freunde gefunden. Deutschland war meine neue Heimat geworden und ich hatte einen Bereich gefunden, wo ich etwas beitragen konnte. Mit meinem muslimischen Hintergrund auf der einen und meiner Begeisterung für die westliche Kultur auf der anderen Seite würde ich Welten öffnen können. Genau sowas hatte ich mir immer erträumt. Deshalb meldete ich mich natürlich sofort, als ein lokales Flüchtlingsmagazin gegründet wurde. Unter der Überschrift "Atheismus als Fluchtgrund" schilderte ich meine Erlebnisse in Irakisch-Kurdistan und meine Freude darüber, nun in einem Land mit Meinungs- und Religionsfreiheit zu leben.
Doch wie die Ironie des Schicksals es wollte, erlebte ich mit diesem Artikel die Grenzen eben dieser Meinungsfreiheit. Konservative Muslime empfanden meine Schilderungen als islamfeindlich. Dabei hatten sie den Artikel offensichtlich gar nicht wirklich gelesen. In den darauffolgenden Auseinandersetzungen erhielt ich Morddrohungen, wurde ausgegrenzt und verlor viele Freundschaften. Ich war zutiefst schockiert darüber, dass mir sowas mitten in Deutschland passieren konnte.
Das Erlebnis veränderte mich. Ich war nicht aus dem Irak geflüchtet, um mir wieder von konservativen Muslimen den Mund verbieten zu lassen. Auf Facebook hatte ich schon im Irak geschrieben und natürlich auch in meinen Anfangsjahren in Deutschland, erst auf Kurdisch und dann auf Englisch. Aber seit meinem Praktikum wusste ich, wie meine Texte auch auf Deutsch funktionieren konnten. Statt meines Anleiters stand mir nun meine Freundin zur Seite. Ich verfasste Skizzen auf einer Mischung aus Englisch, Deutsch, Autokorrektur und Voicenachrichten, sie machte den sprachlichen Feinschliff. Dass wir dabei oft unterschiedlicher Meinungen waren, machte den Prozess nur interessanter und meine eigene Argumentation besser.
"Ich wollte die Islamkritik nicht den Rechtspopulisten überlassen"
Ich konnte mich endlich selber zu Wort melden und meine Erfahrungen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Ich wehrte mich gegen die Anfeindungen aus der muslimischen Exilcommunity und erhielt dafür viel Zuspruch aus islamkritischen Kreisen. Mein flüchtlingssolidarischer Freundeskreis hatte hingegen große Sorge, ich könne mit meiner Kritik zum Islamhass anstacheln. Aber auch von ihnen wollte ich mir nicht untersagen lassen, die Sachen so darzustellen, wie ich sie nun mal erlebt hatte.
Ich wollte die Islamkritik nicht den Rechtspopulisten überlassen, die selber genau die Werte propagierten, die sie im Islam kritisierten. Ohne meine Islamkritik aufzugeben, distanzierte ich mich daher genauso deutlich von Muslimenhass und Rassismus. Die Idee, mit der Aktion "Allah is gay" auf dem CSD in Berlin für mehr Toleranz im Islam zu werben und gleichzeitig die Vielfalt im muslimischen Kulturkreis zu zeigen, entstand ganz spontan aus diesen Gedanken heraus.
Erfolg ist gefährlich
Aber kaum hatte ich meine Aktion angekündigt, trudelten die Morddrohungen fanatischer Muslime bei mir ein. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Idee hinter der Aktion zu verstehen, sondern sich einfach von Schlüsselwörtern reizen lassen. Das Szenario war mehr als bedrohlich, aber glücklicherweise ging alles gut. Ich erhielt nicht nur großen Zuspruch aus unterschiedlichsten Kreisen, ich konnte die Aktionen mit Personenschutz durchführen. Im Irak wäre ich für diese Aktion vermutlich gestorben, hier wurde mein Recht auf freie Meinungsäußerung von der Polizei geschützt. Ja, das war Meinungsfreiheit!
Seither gebe ich viele Interviews, nehme an Veranstaltungen teil, mache Videos und schreibe weiter Beiträge über Religionskritik, Rassismus, Flucht und Alltagserfahrungen. Ich bin kein wissenschaftlicher Experte, aber ich kann als ganz normaler Geflüchteter Perspektiven beitragen, die manchmal im Diskurs fehlen. Und ich erlebe an der positiven Resonanz, dass mein Blick auf die Dinge einen Wert hat und Brücken bauen kann.
Doch Erfolg ist gefährlich. Seitdem meine Beiträge auch von größeren Onlinemagazinen geteilt werden, werde ich von Hassnachrichten regelrecht überschwemmt und in allen Social-Media-Portalen beschimpft. Einige Rechtsextreme mit vielen tausenden Followern machen aktiv Stimmung gegen mich. Neue Hassnachrichten erscheinen gerade im Minutentakt im Netz und fordern Gleichgesinnte dazu auf, meine Beiträge zu kommentieren. Die Hasskommentare beziehen sich kaum auf die Inhalte meiner Beiträge, die viele der Kommentatoren offensichtlich gar nicht gelesen haben, sondern ziehen mich als Person und mein Privatleben durch den Schmutz. Unterstützung kriegen die Rechten interessanterweise von einigen (Ex-)Muslimen, die mich als "Schande für dein Volk" bezeichnen.
Doch damit nicht genug, die Rechtsextremen drohen mir, der Welt schon noch zeigen zu werden, dass ich genauso ein 'krimineller Schmarotzer' bin wie alle anderen Flüchtlinge. Sie haben meine Profile durchgesucht und sind dabei auf alte Fotos gestoßen, auf denen ich auf kurdischen Großdemonstrationen für Solidarität mit den Kurden in Syrien zu sehen bin und zwar auch mit Fahnen, die inzwischen verboten sind. Es handelt sich dabei um eine Fahne mit dem Portrait von Öcalan und einer Fahne der kurdischen Verteidigungseinheit YPG.
Ich besitze selber keine Fahne dieser Art, aber mich störte die Doppelmoral daran, dass Kurden in Deutschland dafür kriminalisiert wurden, friedlich Bilder hochzuhalten, während die Türkei zeitgleich die kurdischen Gebiete mit deutschen Panzern einnahm. Ich habe mich mit meinen Freundinnen und Freunden aus Syrien solidarisiert und mich gegen das Fahnenverbot positioniert. Meine Kritik an dem Verbot sagt aber nichts über meine eigene Position. Ich betreibe selber keinen Personenkult um Öcalan und stehe der YPG weder nahe noch komplett kritiklos gegenüber.
Rechtsextreme bedrohen die Meinungsfreiheit
Den Rechten ist mit diesem Thema aber auch nicht gelungen, mein Profil sperren zu lassen. Sie haben stattdessen einen ganz absurden Weg gewählt: Um auf den wachsenden Antisemitismus hinzuweisen, habe ich vor einiger Zeit ein Bild von einer Situation gepostet, wo ein jüdischer Bäcker in den USA eine empfangene Hassnachricht mit einem Hakenkreuz zeigt. Mit Verweis auf dieses Symbol ist es ihnen offensichtlich gelungen, meinen Facebook-Account für 30 Tage zu sperren. Damit ist mir nicht nur mein wichtigster privater Kommunikationskanal genommen worden, sondern auch mein zentralstes öffentliches Sprachrohr.
Während ich im Irak im Gefängnis saß, gelang es mir über Freunde, weiter auf Facebook zu posten und ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen. Als mich Islamisten in Deutschland bedrohten, konnte ich mich über Facebook dagegen wehren und mir Hilfe organisieren. Aber jetzt, wo mich Rechtsextreme angreifen, ist mein Facebook-Account der Onlineattacke hilflos ausgeliefert. Das macht mir große Sorgen.
Immer wieder berufen sich gerade Rechtsextreme auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Aber wenn ihnen die Inhalte nicht passen, ist ihnen offensichtlich kein Mittel zu krass, um anderen die Freiheit zu nehmen. Sie bringen die Meinungsfreiheit in Deutschland damit aus meiner Sicht ernsthaft in Gefahr. Aber mich haben weder Gefängnis, Folter, Ächtung, Flucht oder Morddrohungen davon abgehalten, meine Meinung öffentlich zu sagen. Und natürlich werden mich auch Rechtsextreme davon nicht abhalten.
7 Kommentare
Kommentare
CnndrBrbr am Permanenter Link
Was war (außer der Frisur) eigentlich nochmal der Unterschied zwischen Nazis und Salafisten?
Marvin am Permanenter Link
Was ist denn nun der Unterschied zwischen Islamhass und schonungsloser Islamkritik?
S. K. Paden am Permanenter Link
Hass ist, wenn man kopflos, brutal, unreflektiert und mit dem Wunsch zu verletzen auf etwas draufhaut mit Worten oder mit Fäusten und Waffen. Wie z.B.
Kritik hat was mit dem Kopf zu tun. Kritik untersucht einen Gegenstand, einen Glauben, eine Weltanschauung, eine Lehre und definiert die Aspekte daran, die schädlich, falsch, der Realität widersprechend oder dumm sind.
Hass will kaputt schlagen, Kritik will in Frage stellen.
Karol Dittel am Permanenter Link
Lieber Amed Sherwan,
Ich persönlich finde Ihren Engagement schon bewundernswert. Eben nicht, weil man zusammen so schön hetzen kann, wie so manch Ihrer Kritiker das vielleicht so sieht. Aus meiner Sicht geht es hierbei aber eher um die Schaffung einer "Lobby". Oder anders gesagt, um die Stärkung und Vertretung der atheistischen und auch humanistischen Positionen in allen Gesellschaften dieser Welt. Das mögen Religiöse und Konservative so eigentlich überhaupt nicht. Sie fürchten auch um die Deutungshoheit der Welt und die Deutung der gesellschaftlichen Regeln. Und noch vielen Dingen Mehr.
Natürlich provoziert so eine Aktion wie "Allah is gay" ziemlich stark. Wenn ich mich so in die Lage eines glaubenden Menschen versetze, dann kann ich das absolut nachvollziehen. Ein großes Stück weit auch nachempfinden. Man ist als Atheist kein Unempath. Die atheistische Position lässt sich aber nicht vertreten in dem man gar nichts macht. Es ist schon eine heiße Debatte und ein Kraftakt beiderseits einen Dialog zu finden. Der eine sieht aber seine Aktionen als Signal und der Versuch sich bemerkbar zu machen der andere, der Empfänger, als Beleidigung. Manchmal eine ziemlich ausweglose Situation wie es scheint *gg Ich glaube das macht uns allen zu schaffen ;)
Ich kenne das. Ich bin in Polen geboren. Zur Zeit ein ziemlich fundamentalistisch katholischer Haufen. Durchaus auch viele sehr liebenswerte Menschen gibt es da auch... egal ob glaubend oder nicht. Aber eben auch sehr viele... ja... Fundamentalisten. Anders kann ich das nicht beschreiben. Wenn ich da bin und so manchmal zuhöre wenn Menschen über Politik und Gesellschaft sprechen dann bekomme ich nicht selten Angst. Nicht um mich. Es geht um mehr. Weit mehr. Der zustand unserer Zivilisation macht mir Kummer und beschert mir viele unruhige und schwer verdauliche Gedanken.
Aber all diese Mühe und all dieser Aktivismus wäre unnötig wenn man manche Menschen leben lassen würde wie sie sind. Ein homosexuelles Mitglied meines Freundeskreises hatte mal etwas sehr passendes dazu gesagt. Er sagte dass er persönlich kein Problem mit seiner Homosexualität hätte würde man ihm das nicht dauernd einreden. Und die Schwulen und Lesben müssten nicht so überzeichnete und visuell überladene Aufmärsche machen um sich mit ihrer Situation in der Gesellschaft bemerkbar zu machen. Man würde ihnen automatisch das zugestehen was jedem Menschen in einer demokratischen, humanistischen und aufgeklärten Gesellschaft zusteht und gut wäre es gewesen. Ich sehe das ähnlich.
Ja... ich freue mich, dass Sie so langsam hier auch ankommen. Und, dass Sie sich hier ein geeignetes Umfeld aufbauen konnten. Der hpd und all die Humanisten und Atheisten die dahinter stecken sind schon eine gute Adresse ;) Und ich hoffe wirklich, dass sie auch weiter machen. ich drücke mal die Däumchen.
Nico Schmelzle am Permanenter Link
Lieber Amed,
ich denke es ist ganz typisch für Fanatiker und Fundamentalisten jeder Art, dass ihnen jedes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele recht ist. Einerseits gehört dazu jede Art von Verbrechen (Hetze, Verbreitung von Lügen, Gewalt bis hin zu Mord), andererseits nutzt man auch Kanäle, Methoden und Technologien, die man eigentlich ablehnt und abschaffen möchte.
So haben beispielsweise die Nationalsozialisten die Mittel der Demokratie genutzt, obwohl sie die Demokratie abschaffen wollten (was sie dann auch getan haben). Die Terroristen des IS haben keine Skrupel gestohlene amerikanische Waffen zu benutzen, obwohl sie den "westlichen Lebensstil" und die wissenschaftliche Methode ablehnen (ohne die man niemals hochtechnologische Waffeln hätte entwickeln können). Und natürlich verbreiten religiöse Fundamentalisten und politische Ideologen ihre zutiefst unwissenschaftlichen Ideen permanent über das Internet, über Instagram, Facebook, Twitter, WhatsApp usw., obwohl die Gründer und Mitarbeiter dieser Firmen vermutlich zum größten Teil progressive und liberal denkende Menschen sind und die Entwicklung dieser Systeme wiederum ohne wissenschaftliches Denken unmöglich gewesen wäre.
Ich bin sehr froh, dass du dich von diesen Leuten nicht einschüchtern lässt und deine Meinung offen kund tust. Es gibt immer viele Menschen, die ähnlich Denken wie man selbst, die sich aber nicht trauen das laut auszusprechen. Vielleicht wissen sie noch nicht einmal, ob sie das "denken dürfen", wenn ihre Familie und ihre Freunde ein anderes Weltbild haben. Umso wichtiger ist es also, dass es Leute wie dich gibt, die Klartext reden und zeigen, dass man auch anders denken kann.
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute!
Beste Grüße
Nico
Hans Trutnau am Permanenter Link
"wurde ausgegrenzt und verlor viele Freundschaften" - das kenne ich, Amed Sherwan; allerdings aus dem christlichen Umfeld und ohne Morddrohungen.
Constanze Cremer am Permanenter Link
Das dürfte dann aber ein anderer Schlag Rechter sein, als der AfD'sche...