Linke, Ex-Muslime und die Kritik am Islam

amed_sherwan.jpg

Amed Sherwan

In Deutschland scheinen rechte Kreise die Kritik am Islam für sich gepachtet zu haben. Viele Ex-Muslime scheinen damit keine Probleme zu haben.

Ich bin in meinem Herkunftsland als Ex-Muslim verfolgt worden und setzte mich auch in Deutschland weiterhin kritisch mit meinem ehemaligen Glauben auseinander. Ich sehe mich aber nicht als Islamkritiker, denn ich habe mich nie wissenschaftlich mit der Religion beschäftigt. Ich diskutiere Alltagssituationen und streite für Glaubens- und Meinungsfreiheit. Ich respektiere, dass Glauben für Menschen wichtig sein kann und verteidige das Recht darauf, den eigenen Glauben frei entfalten zu können. Aber ich wehre mich entschieden dagegen, dass einige meinen, sie könnten und müssten ihre Glaubensvorstellungen anderen aufdrücken. Ich mache daher immer wieder auch provokative Aktionen, um die Probleme in muslimischen Communities aufzuzeigen.

Aufgrund meiner Aktivitäten bin ich allerhand Anfeindungen ausgesetzt. Nicht nur strenggläubige, auch viele andere Muslim*innen sehen sich durch meine Provokationen in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Einige beschimpfen und beleidigen mich deswegen. Andere schicken mir Morddrohungen. Und ich bin für meine Aussagen auch schon auf offener Straße zusammengeschlagen worden. Es gibt aber durchaus auch Muslim*innen, die meinen Aktivismus loben und mir dafür danken, dass ich eine kritische Debatte anstoße. Mir geht es nicht darum, Gläubige pauschal zu verurteilen. Ich sehe einfach die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung.

Warum eine andere reaktionäre Ideologie unterstützen?

In Deutschland scheinen rechte Kreise die Kritik am Islam für sich pachten zu wollen. Und so begegnen mir immer wieder rechtsnationale Menschen, die meine Aktionen loben und ganz selbstverständlich denken, dass ich als Ex-Muslim rassistische Propaganda gegen Muslim*innen unterstütze. Wenn ich ihnen dann aufzeige, dass ich als muslimisch gewesener Mensch auf keinen Fall eine rassistische Agenda unterstützen werde, fangen auch sie an, mich zu bedrohen und zu beschimpfen. Doch warum sollte ich eine Ideologie unterstützen, die genauso reaktionär ist wie der Glaube, den ich verlassen habe? Und warum sollte ich mich Bewegungen anschließen, deren Ziel es ist, genau die Fluchtrouten zu schließen, die mein Leben gerettet haben?

In islamischen Ländern ist die Religion das Werkzeug rechter Kräfte. Und Kritik an der Religion kommt selbstverständlich aus linksliberalen Kreisen. Und auch hier in Deutschland finde ich meine Wertvorstellungen in linkspolitischen Kreisen wieder. Denn ich wünsche mir eine vielfältige, solidarische und freie Gesellschaft. Der Zugang zu linken Kreisen ist für mich anfangs aber schwer gewesen. Und ich empfinde es immer noch als inhaltlich und sprachlich anspruchsvoll. Oftmals ist es für mich sehr anstrengend, aber dafür ist es im Ergebnis meistens auch konstruktiv.

Erwartung an linke Politik

Natürlich gibt es auch Linke, die meine Aktionen unsinnig, kontraproduktiv oder verletzend finden. Und es gibt viele Menschen im linken Spektrum, die ich als naiv erlebe. Fundamentalistische religiöse Gruppen passen für mich nicht zu einem linken Weltbild. Es ärgert mich daher, wenn Menschen in ihrem Bemühen um Offenheit migrantische Gruppen unterstützen, die alles andere als tolerant und offen sind. Ich erwarte gerade von linker Politik, dass Menschen und Gruppen unabhängig von ihrer Herkunft betrachtet werden. Und Gruppen, die Homosexualität als Krankheit sehen und Karikaturen als Entschuldigung für Gewalt, steht aus meiner Sicht keine Unterstützung aus linken Kreisen zu.

Ich habe also allerhand Kritik an linker Politik und werde gelegentlich auch von Menschen im linken Spektrum kritisiert. Aber ich bin definitiv noch nie von Linken bedroht, beschimpft oder angegriffen worden. Trotzdem werde ich in fast jedem Interview danach gefragt, ob ich Probleme mit Linken habe. Und die Vorstellung, dass Ex-Muslime von Linken als islamophob beschimpft werden, wird so oft wiederholt und als Wahrheit gesetzt, dass ich die Frage anfangs tatsächlich manchmal reflexartig selbst bejaht habe. Dabei erinnere ich mich an keine konkrete Situation, wo mir ein so undifferenzierter Vorwurf aus linken Kreisen gemacht worden ist.

Ex-Muslime und AfD

Die Vorstellung, Linke würden jede Kritik am Islam als rassistisch abwerten, hält sich dennoch hartnäckig unter Ex-Muslim*innen. Und bei manchem Ex-Muslim nimmt die Kritik an linken Kreisen inzwischen mehr Raum ein als die Auseinandersetzung mit dem Islam. Einige haben sich offen der AfD angeschlossen, andere sind zumindest rechtsoffen und begründen ihre Vorträge vor rechtem Publikum damit, dass sie nun mal keine Einladungen von Linken bekommen würden. Aber wenn ich mir anhöre, welche pauschalen und antimuslimischen Aussagen sie machen, wundert es mich ehrlich gesagt auch nicht. Ich sehe da eine gewisse Analogie zu Menschen, die gemeinsam mit Nazis gegen die Infektionsschutzmaßnahmen demonstrieren und antisemitische Parolen übernehmen und sich dann darüber beschweren, in die rechte Ecke gestellt zu werden.

Das Problem ist aus meiner Sicht nämlich nicht, dass linkspolitische Kreise sich sachlicher Kritik verschließen. Das Problem ist vielmehr, dass viele Ex-Muslime keine differenzierte Kritik äußern. Und das liegt wiederum zu einem großen Teil daran, dass rechte Kräfte versuchen, sich das Monopol an Islamkritik zu sichern und ganz bewusst Ex-Muslim*innen dazu anwerben, als Kronzeugen für sie gegen den Islam auszusagen. Ich habe selbst solche Anwerbeversuche erlebt, viele meiner Bekannten auch. Und wenn du gerade vor dem Islam geflüchtet bist, dann erscheint es natürlich erst mal attraktiv, mit Menschen zusammen zu sein, die nichts anderes von dir verlangen, als gegen den Islam und die "links-grünversiffte" Politik zu wettern.

Gegen Instrumentalisierung

Ich finde es nur noch unerträglich, denn es trägt überhaupt nicht zu Lösungen für die vielen Menschen bei, die jeden Tag unter den repressiven Strukturen in vielen muslimischen Communities leiden. Besonders zynisch ist es für mich, wenn Leute, die nie in einem muslimischen Land gelebt haben und vielleicht sogar nur eine Weile zum Islam konvertiert sind, sich nun als Expert*innen ausgeben. Ich bin auf jeden Fall nicht vor reaktionären Kräften geflüchtet, um mich hier in Deutschland von rechten Gruppen instrumentalisieren zu lassen.

Und ja, ich finde den Islam potenziell gefährlich und ich fordere eine kritische Auseinandersetzung damit, was Religionsfreiheit wirklich bedeutet. Diese Diskussion muss endlich getrennt von sowohl Rassismus als auch Berührungsängsten diskutiert werden. Und da gibt es auch in linkspolitischen Kreisen Nachholbedarf. Aber trotzdem sehe ich echte Lösungen gegen repressive religiöse Strukturen nur bei Menschen, die selbst offen für Vielfalt sind – und nicht bei solchen, die Menschen, deren Meinung ihnen nicht passt, sofort mit der Abschiebung drohen.

Der Artikel erschien zuerst in der Jungle World. Nachveröffentlichung mit Einwilligung des Autors und der Redaktion.

Unterstützen Sie uns bei Steady!