Postmodernes Denken zeichnet sich durch Skepsis gegenüber Rationalismus und universellen Werten aus. In einem Vortrag in Nürnberg Mitte November sprach der emeritierte Informatikprofessor Bernd Schmidt über die negative Wirkung dieser Skepsis auf Wissenschaft und Gesellschaft.
Postmoderne Ideen haben nicht nur gesellschaftlich vorherrschende Meinungen über Kunst oder zur Gestaltung unseres Lebens verändert, sondern auch unsere Annahmen über die Beschaffenheit der Welt, erklärte Prof. Dr. Bernd Schmidt am 15. November 2018 in der von Kortizes und der GWUP Mittelfranken organisierten Veranstaltung zum UNESCO-Welttag der Philosophie in der Sternwarte Nürnberg.
Wer hinter einer Kritik postmoderner Ideen tendenziell eher konservative Überzeugungen vermutet, liegt bei Prof. Dr. Bernd Schmidt nicht ganz falsch. Obwohl der emeritierte Informatikprofessor selbst nicht-gläubig ist, engagiert er sich als Vortragender und Seminarleiter vor allem in katholischem Umfeld. Im Feuerbach-Tagesseminar vor ein paar Wochen plädierte er für eine gesellschaftliche Förderung liberaler Religiosität, weil nur sie und nicht der Atheismus der menschlichen Natur zuträglich sei.
Auch bei der Veranstaltung über die Postmoderne klang an, dass er sich in einem Milieu zu Hause fühlt, das man wohl als gemäßigt konservativ bezeichnen darf. So gehört es für ihn auch zum beklagenswerten Einfluss der Postmoderne, dass früher verbindliche Vorstellungen über Ehe und Familie sowie über Umgangsformen und Ästhetik erodiert seien. Der an den Vortrag anschließenden Fragerunde nach zu schließen, war das Publikum hier anders gestrickt. Zumindest mochte sich niemand dieser Klage anschließen.
Durchaus auf Zustimmung stieß jedoch der Teil von Schmidts Vortrag, in der er postmoderne Kritik an Naturwissenschaft und Humanismus zurückwies. Wie er erklärte, zeichnet sich die Postmoderne durch eine Abkehr von jeglichen Absolutheitsansprüchen aus. Ihre Kritik trifft daher nicht nur den Anspruch von Religionen oder politischen Ideologien auf alleinige Wahrheit, sondern genauso erkenntnistheoretische und ethische Annahmen, die die Grundlage sowohl von säkular-humanistischen wie Skeptiker-Überzeugungen sind.
Wie Schmidt erklärte, wird im postmodernen Denken schon das Konzept einer Realität, deren Ordnungs- und Strukturprinzipien mit rationalen Methoden erforscht werden könne, abgelehnt. Postmoderne Vorstellungen stellen also genau das in Frage, was zu den epistemologischen Selbstverständlichkeiten in säkularen und esoterikkritischen Kreisen gehört. Aber auch die Ethik ist betroffen, wenn etwa die Idee von humanistisch begründbaren Regeln und Normen, die allgemeine Anerkennung finden könnten, allein wegen ihres Anspruchs auf Universalität Ablehnung durch postmodern geprägte Zeitgenossen erfährt.
Postmodernes Denken betone die Gleichzeitigkeit und das Nebeneinander von miteinander Unvereinbarem, erläuterte Schmidt. Statt einer zusammenhängenden Ordnung und allgemeinverbindlichen Regeln würden nur Collagen und Patchwork aus Pluralität und Individualität anerkannt und angestrebt. Denn Weltmodelle und die Sprache, die wir nutzen, um sie zu beschreiben, seien nach postmoderner Vorstellung nur reine Konventionen.
Ludwig Wittgenstein habe dies "Sprachspiele" genannt. In seiner Sprachphilosophie sei er davon ausgegangen, dass sich Worte nicht auf die Wirklichkeit beziehen, sondern ausschließlich durch ihren Gebrauch festgelegt werden, so Schmidt. Dass die Naturgesetze tatsächlich auf Naturerscheinungen beruhten, habe Wittgenstein für eine Täuschung gehalten, auf der für ihn die ganze moderne Weltanschauung beruhte.
Auch über Jean-Francois Lyotards Beitrag zu postmodernem Denken sprach Schmidt. Lyotard habe naturwissenschaftliche Erkenntnisse ebenfalls zu reinen Erzählungen abgewertet. Er habe gemeint, "szientifisches Wissen" unterscheide sich nicht von "narrativem Wissen", wie es in Mythen und Geschichten einer Gemeinschaft zum Ausdruck komme. Und rational zu argumentieren bedeutete in seinem postmodernen Denken nur, dass man das zur Gesellschaft gehörige Sprachspiel beherrsche.
Wie Schmidt erläuterte, plädierte Lyotard insbesondere für die Überwindung großer Meta-Erzählungen, zu denen dieser Denker nicht nur Hegels Philosophie und den Marxismus rechnete, sondern auch Humanismus, Aufklärung und die "Wissenschaftsgläubigkeit". Sie hätten nach Lyotards Analyse ihre Berechtigung und Legitimation verloren, weil sie für naiven Fortschrittsglauben stünden bzw. für ein allgemein verpflichtendes Menschenbild, das das Individuum in ein Raster zwänge.
Auch Paul Feyerabend ist für Schmidt einer der in diesem Zusammenhang zu kritisierenden Denker. Nach anfänglicher Begeisterung habe Feyerabend mit Karl Poppers kritischem Rationalismus gebrochen und in der Wissenschaft stattdessen für eine durch nichts beschränkte Methodenvielfalt plädiert, nach dem Motto "Anything goes". Laut seiner anarchistischen Erkenntnistheorie sei alles Gerede von Objektivität und Rationalität nur fauler Zauber, erklärte Schmidt.
Allgemein unterscheide sich der Wahrheitsbegriff in postmoderner Vorstellung von dem der Wissenschaften, so Schmidt. Die empirischen Wissenschaften bauten auf der Korrespondenztheorie von Wahrheit auf, nach der etwas wahr ist, wenn es in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist, also mit Sachverhalten der realen Welt. Für postmoderne Denker gebe es dagegen die Möglichkeit der Erkenntnis einer wirklichen, vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen Welt gar nicht.
Statt der Korrespondenztheorie könnten sie also nur der Konsens- oder Kohärenztheorie der Wahrheit folgen, nach denen etwas nur dadurch wahr ist, dass es allgemein akzeptiert ist bzw. wenn es sich widerspruchsfrei in eine Theorie einordnen lässt. Diese Wahrheitstheorien dürften wohl für die meisten im säkularen und skeptischen Lager unbefriedigend bleiben.
Zusammenfassend ist zu Schmidts Vortrag zu sagen, dass auch die sozial progressiv eingestellten Zuhörerinnen und Zuhörer in der Nürnberger Sternwarte, die mit seinem Lamento über erodierende Ästhetik- und Familienvorstellungen nichts anzufangen wussten, von seiner Einführung in postmoderne Denkansätze profitiert haben könnten. Denn es ist heute gar nicht so unwahrscheinlich an Leute zu geraten, die religiöse und esoterische Vorstellungen nicht aus eigener Überzeugung verteidigen, sondern aus einer postmodernen Warte der Gleichberechtigung aller Vorstellungen heraus.
Zu wissen, welche Theorien und Grundüberzeugungen hinter postmodernen Argumenten stecken, kann daher in Diskussionen gerade für nicht konservativ eingestellte Skeptiker und Humanisten nützlich sein. Denn ohne dieses Hintergrundwissen bleibt sonst oft unverständlich, wie es sein kann, dass sich das so vehement vertretene Progressiv-Sein einer pro-religiös oder pro-esoterisch argumentierenden Gegenseite so vom eigenen Progressiv-Sein unterscheiden kann.
7 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Tatsächlich können wir nicht wissen, wie das „Ding an sich“ beschaffen ist, weil zwischen ihm und uns die Verarbeitung durch unsere Sinne und unser Gehirn liegt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... vor ein paar Wochen plädierte er für eine gesellschaftliche Förderung liberaler Religiosität, weil nur sie und nicht der Atheismus der menschlichen Natur zuträglich sei." - Hallo!?! WIE bitte?
@Roland: meist volle Zustimmung!
little Louis am Permanenter Link
Die Behauptung, Feyerabend habe grundsätzlich mit Popper bzw. "dem" kritischen Rationalismus gebrochen, halte eich für ein seit Jahrzehnten immer wieder nacherzähltes Propagandamärchen.
Auch Popper hat immer darauf hingewiesen, dass die Wisssenschaft bei der Theoriebildung auf eine Art von vorwissenschaftlicher(ev. auch metaphysischer) Spekulation angewiesen ist, ohne die eine Entwicklung neuer Ideeen kaum möglich ist.
Und letztendlich ist es der Falsifikation egal, welcher "Laune" oder welchen "Vorurteilen" die zu widerlegende Theorie entsprungen ist.
Es ist ja gerade das Kernmerkmal des Popperschen "Kritischen Rationalismus", darauf hinzuweisen, dass es keine "reine Empirie" ohne theoretische Vorannahmen oder Grundannahmen geben kann. Das alles kann man in seine Texten ohne Mühe nachlesen.
Auch hat das nur wenig mir Wittgensteins "Sprachspielen" und angeblicher postmoderner "Beliebigkeit" zu tun.
Ich habe das Gefühl, dass Popper in den letzten 40 Jahren so alles Mögliche (und Unmögliche ) angedichtet wurde und immer noch wird. Nicht nur, aber auch aus der liberal tuenden theologischen Ecke.
Die Tatsache aber, dass man die Nichtexistenz des lieben Gottes schwer beweisen und auch kaum falsifizieren kann, heißt noch lange nich, dass man zwingend daran glauben muss.
Die momentanen theologisch- monotheistischen Ideen sind halt nur ein Teil der vielen anderen ebenso möglichen metaphysischen Spekulationen. Und ich glaube (!) es gibt weit bessere. Was allein schon die jahrtausende alte philosophische Tradition beweist. Wobei aktuelle Spekulationen bis hin zu konsitenter SF- Literatur der Theologie kaum nachsteht.
Frohe Weihnachten und ein neues Gutjahr.
Kay Krause am Permanenter Link
Da Gott (welcher von den zahlreich angebotenen auch immer) höchstwahrscheinlich von Menschen erfunden wurde, und eben so höchstwahrscheinlich real nicht existiert, kann doch höchstwahrscheinlich auch irgendeine Art vo
Atheist Steinbr... am Permanenter Link
Ich bin der Ansicht, Moral im Sinne einer bestimmten Ethik, kann nicht naturwissenschaftlich begründet werden.
Zwar kann die Kritik am postmodernen Denken wie im Artikel ausgeführt zusammengefasst werden.
Jedoch ist Ethik im Sinne eines Erkennens eines natürlichen Sosollens nicht möglich, da es sich um ein soziales Phänomen handelt.
Gerade ethische Systeme basieren doch auf Konsens, oder zumindest auf einem Mehrheitsentscheid, oder bei Einsatz von Gewalt auch auf dem Entscheid einer Minderheit.
Geht es bei der Naturwissenschaft um das Erkennen eines Soseins der Natur, so ist Gegenstand von Moral und Humanismus doch die Idee eines sozialen Sosollens, das eben nicht durch die Natur vorgegeben ist. Zwar kann man für Modelle des sozialen Miteinander auf einer Metaebene einen Vergleich anstellen --- etwa welche Moral Freiheit für möglichst Viele bietet oder Leidvermeidung für möglichst Viele bietet. Auch dies ist aber dann nur abgeleitet von darüberstehenden Ideen wie der Gleichheit aller Menschen, und der Annahme das Leid etwas schlechtes sei (christliche Aphorismen wie "Leid ist Gnade" zeigen, dass dies auch anders gedacht werden kann). Letztlich kommt man bei der Begründung einer Moral nur dann aus dem Zirkelschluss heraus, dass die Grundannahmen zugleich die Regeln derselben sind, wenn man den Mut hat sich dazu zu bekennen, dass man von bestimmten Axiomen, also Sollens Aussagen ausgeht, die weithin interpersonell geteilt werden (etwa weil sich davon ebenfalls weithin befürwortete konkrete Regeln ableiten lassen), also auf Konsens beruhen.
Sowohl der Religiöse, der Postmoderne, als auch der Moderne Mensch haben auf je eigene Weise diesen Mut nicht.
Zwar hat der Religiöse den Mut seine moralischen Vorstellungen einzufordern, hat jedoch die Notwendigkeit der Begründung seiner Setzungen externalisiert, indem er behauptet, dass Gott dies unveränderlich für ihn gesetzt habe - und hat sich so gegen eine Diskussion seiner Vorstellungen immunisiert.
Dagegen hat der postmoderne Progressive einfach nicht den Mut über die Maxime seines individuellen Handeln hinaus überhaupt seine Vorstellungen wie ein soziales Miteinander gelingen soll einzufordern.
Während der Moderne an die Stelle der Setzung durch Gott als Legitimationsinstanz die Naturwissenschaft setzt. Soziales technokratisch begründen zu wollen, ist der Versuch der sozialen Auseinandersetzung über die Axiome hinter Moralvorstellungen zu entrinnen, indem man ein wissenschaftlich erkennbares Sosollen postuliert. --- Diese Vorstellung, dass die Naturwissenschaften, die uns technisch doch so viel weiter gebracht haben, auch auf das Soziale anwendbar seien und nicht kontingente Aussagen (kontingent im soziologischen Sinne eines so oder so sein Könnens) hervorbrächten, halte ich für einen Irrtum der schon für den Begründer der Soziologie, Emile Durkheim, Grund genug für die Gründung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin war.
Auch säkularer Humanismus ist Weltanschauung und geht von Grundannahmen aus. Dies ist eine Entscheidung die dem der die Position vetritt zwar vernünftig erscheint, aber letztlich nicht objektivierbar ist, gleich ob sie einer Mehrheit überzeugend vermittelbar, konsistent oder in sich logisch ist.
Da säkularer Humanismus, als in sich nicht homogene Weltanschauung, sich für Pluralismus statt Monokultur ausspricht, spielt er auf einer anderen Ebene als intolerante Weltanschauung mit Alleingeltungsanspruch. Er stellt also einen Kompromiss dar, praktisch eine Art Meta-Weltanschauung in der Platz für individuelle partikulare Weltanschauungen ist, soweit diese für sich keinen Absolutheitsanspruch erheben. Insofern ist der säkulare Humanismus sicher als überlegen zu betrachten.
Roland Fakler am Permanenter Link
@Atheist Steinbr...Moral lässt sich nicht wissenschaftlich begründen. Stimmt! Wie sollte sie?
Also bei näherer Untersuchung ist das halt ziemlicher Quatsch. Was bleibt, ist unsere Vernunft. Sie muss Regeln entwickeln, die auf einem Konsens gründen. Wie wollen wir zusammenleben in einer Familie, einem Staat und mehr und mehr in einer Welt? Dieser Konsens ist aber nur dann erforderlich, wenn wir schon mal davon ausgehen, dass wir in einer Demokratie leben wollen und dass alle gleich sein sollen. Woher nehmen wir diesen Wunsch? Am besten wäre es, dabei die Geschichte zu befragen.
Alle totalitären Weltanschauungen haben letztlich versagt, d.h. sie haben sehr viel Unheil, Krieg und Verfolgung in die Welt gebracht. Also sagen wir, das wollen wir nicht mehr und die beste Möglichkeit, das zu verhindern wäre Demokratie, Gleichheit aller vor dem Gesetz, Menschenrechte für alle….Das läuft natürlich auf den Grundgedanken hinaus: das Leid auf dieser Welt zu vermindern und das Glück zu mehren. Da könnte sich natürlich einer sagen, ja aber es genügt doch, mein Leid zu vermindern und mein Glück zu vermehren, wenn die anderen dabei leiden, ist das doch gar nicht so schlimm oder? Nun sind aber die anderen auch noch da und die müssten ihn eines Besseren belehren und ihm zeigen, dass er nicht allein auf der Welt ist. Also wenn er Frieden haben will und glücklich sein will, dann muss er auch die anderen berücksichtigen. Das funktioniert wiederum nur in einem Verfassungsstaat, in dem nicht einer unkontrollierte Macht hat.
A.S. am Permanenter Link
Die Post-Moderne wird der nächste Kampfplatz zwischen Aufklärung/Vernunft und Religion.