Notizen aus Polen

People not numbers

"People not numbers": Das ist der Name eines sehr interessanten und wichtigen Projekts eines jungen Mannes aus Polen.

Dariusz Popiela ist siebenfacher polnischer Meister und Vize-Europameister im Wildwasserkajak. Sein Trainingsort war unter anderem auch der Fluss Dunajec in der Nähe der kleinen Stadt Krościenko in Südostpolen. Er trainierte dort etliche Male und wusste lange nicht, dass ein mit Büschen bewachsener Hügel die Überreste eines jüdischen Friedhofs verstecken, auf dem Hunderte Juden – alle Opfer des Holocaust – begraben wurden.

Er und seine Freunden haben Archive durchsucht und den Kontakt mit dem Krakauer Rabbiner Avi Baumol aufgenommen, der ihnen weitere Kontakte in Israel und den USA beschaffte und Hinweise gab. Sie fanden auch vor Ort Menschen, die versuchen, die Erinnerungen an ihre jüdischen Nachbarn zu schützen. Im Internet haben sie Geld gesammelt und einige anonyme Sponsoren gewonnen. Während der Feierlichkeiten am 17. Juni 2018 in Krościenko am Dunajec, das erste Mal nach 76 Jahren, wurden alle 256 Namen der im Holocaust im Jahre 1942 ermordeten dortigen Juden vorgelesen. Es wurde auch das Denkmal in Form von einer riesigen Mazewa enthüllt.

Foto: Quelle: http://centrumfundacja.pl/kroscienko
Foto: http://centrumfundacja.pl/kroscienko

Dariusz Popiela gründete eine Stiftung mit dem Namen "Familie Popiela Centrum" und arbeitet mit Freunden und Mitarbeitern bereits am nächsten Projekt: "Ludzie, nie liczby – Grybów" (Menschen, nicht Zahlen – Grybów). Diesmal geht es um die Errichtung eines Orts der Erinnerung an ca. 2.000 Einwohner der Stadt Grybów und deren Umgebung. Im Rahmen der "Aktion Reinhard" genannten systematische Ermordung aller Juden und Roma des Generalgouvernements (deutsch besetztes Polen und Ukraine) in der Zeit des Nationalsozialismus und der Liquidierung des Ghettos in Grybów wurden die Juden aus Grybów und den umliegenden Ortschaften in das Vernichtungslager in Bełżec transportiert und in Gaskammern ermordet. Auch hier soll eine Liste mit den Namen von allen Opfern erstellt werden.

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Polen ca. 3,5 Millionen Juden. Nach den Angaben der letzten Volkszählung (2011) leben in Polen noch 7.508 Juden. Wo ist der Rest von dreieinhalb Millionen Juden aus der Vorkriegszeit geblieben?

Ein Teil der Überlebenden ist nach Israel ausgewandert. Viele haben Polen im Jahre 1968, nach der antisemitischen Hetze der damals regierenden Kommunisten, verlassen. Aber das konnten höchstens einige Hunderttausend sein? Der Großteil ist im Holocaust umgekommen. Niemand weißt genau, wie viele es waren. Man kann nur schätzen – drei Millionen? Aber Menschen sind nicht die Zahlen. Leute wie Dariusz Popiela und andere Aktivisten versuchen den Zahlen die konkreten Namen der einzelnen Menschen zu geben.

Nicht nur Juden haben so viele Spuren auf der polnischen Erde hinterlassen. Auch die Spuren von anderen Menschen, mit anderen ethnischen Wurzeln, sollen entdeckt und aufbewahrt werden.

In den Jahren 1947–1950 wurden im Rahmen der "Aktion Wisła" (Weichsel) ca. 480.000 Ukrainer, Lemken, Bojken und andere Völker zwangsweise in die sogenannten "zurückgewonnenen Gebiete" im Norden und Westen Polens umgesiedelt. Sie bewohnten zuvor die Dörfer in Südostpolen. Sie waren orthodoxen Glaubens und wurden beschuldigt, die Ukrainische Aufstandsarmee zu unterstützen, was nur in Einzelfällen stimmte. Diese Menschen hatten damals lediglich zwei Stunden Zeit, um ihre Häuser zu verlassen.

Auch die Deutschen im Jahre 1945 hatten nur einige Stunden, um sich auf die Reise in den Trecks Richtung Oder vorzubereiten. Sie durften dabei nur 20 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Insgesamt wurden so in ersten Nachkriegsjahren ca. 3,5 Millionen Deutsche in die BRD und DDR umgesiedelt.

Diese riesengroßen Zahlen von Juden, Ukrainern, Lemko, Deutschen bedeuten immer einzelne Menschen – Männer, Frauen, Kinder – die ihre Spuren hinterlassen haben. Es wäre wünschenswert, wenn sie alle ihren Namen zurückgewinnen. Es wäre wunderbar, wenn solche großartige Menschen wie Dariusz Popiela das schaffen. Denn: "PEOPLE NOT NUMBERS".