Am dritten und vierten Kampagnen-Tag standen Rostock, Schwerin und Hannover auf dem Tourplan. Während sich das Interesse im Osten zurückhielt, war es in Niedersachsen umso größer. Dort gab es auch eine unverhoffte Begegnung mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, der die Position seiner Partei zum Thema weltanschauliche Neutralität des Staates noch einmal deutlich machte.
Am Montag ging es richtig los mit der Bustour: Die große Deutschland-Route, die der Oldtimer mit seinen stolzen zugelassenen 70 Kilometern in der Stunde gegen den Uhrzeigersinn bewältigen wird, ging in die erste Etappe. Mit über einer Tonne Infomaterial an Bord begab sich der "Große Rote" auf die Straße, um die ersten 234 Kilometer hinter sich zu bringen. Bei weiterhin empfindlich kühlem Maiwetter war die erste Station des Tages der Universitätsplatz in Rostock, gleich neben dem "Brunnen der Lebensfreude" und dem wunderschönen Gebäude der Universität, die bereits im Jahr 1419 gegründet wurde. Die Polizei ließ es sich nicht nehmen, den Doppeldecker-Bus durch die Fußgängerzone zu lotsen, auch wenn die Busfahrerin reichlich Erfahrung mit dem Rangieren in Menschenmassen hat, sei es auf Filmdrehs oder bei Sightseeing-Touren durch Berlin.
Das Interesse der Rostocker hielt sich allerdings in Grenzen: Nicht nur, weil in der Hansestadt sowieso nicht allzu viele Passanten unterwegs waren, die meisten konnten mit dem Themenkomplex Trennung von Staat und Kirche, weltanschauliche Neutralität – oder überhaupt Religion – nichts anfangen. Ein ähnliches Bild bot sich nach weiteren 91 Kilometern in Schwerin: Als der "Kirchenstaat? Nein danke!"-Bus am Nachmittag am "Pfaffenteich" eintraf – der ehemalige Mühlteich, den sich die Kirche laut einem Stadtführer durch Urkundenfälschung unter den Nagel gerissen hatte – hatte die Beamtenstadt schon ihre Bürgersteige hochgeklappt. Manche der vereinzelten Passanten vermuteten hinter der Aktion Parteiwerbung. Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), der die Buskampagne begleitet, wundert sich darüber nicht: "Die Konfessionsfreien sind eine 'Klasse an sich', aber keine 'Klasse für sich'. Ihnen fehlt also in der Regel das Bewusstsein dafür, dass sie Teil einer Gruppe sind, die durch gemeinsame Interessen verbunden ist. In Ostdeutschland ist dieses Phänomen besonders stark ausgeprägt. Die Menschen dort merken oft nicht einmal, wie sehr sie von religionsaffinen Politikern über den Tisch gezogen werden. Die Buskampagne soll dazu beitragen, dass sich dies ändert."
Einerseits ist diese Haltung durch die DDR-Geschichte erklärbar und nur logisch, andererseits sollte es die weitestgehend säkularisierte Bevölkerung gerade deswegen interessieren, weil die mangelnde Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften dort noch mehr Menschen diskriminiert als im Rest Deutschlands.
Der starke Wind des Nordens forderte auch noch seinen Tribut: Die Haltestellen-Blume kippte durch eine Windböe um und ging zu Bruch. Glücklicherweise liegt Düsseldorf ja noch auf der Strecke, dort kann sie in der Wagenbauhalle von Karnevalskünstler Jacques Tilly repariert werden.
Am nächsten Morgen landeten die nächsten 262 Kilometer auf dem Tacho: es ging nach Hannover. Hier stand der Bus mitten auf dem "Kröpcke", ein Platz, auf dem sich zwei äußerst belebte Einkaufsstraßen kreuzen. Hier bot sich ein völlig anderes Bild: Die Passanten zeigten reges Interesse am Kampagnen-Thema und ließen es sich auch nicht nehmen, beim Ausflug des Busses zum niedersächsischen Landtag, der Staatskanzlei und dem Neuen Rathaus dabei zu sein, obwohl sie dafür bis zum Ende der Fußgängerzone laufen mussten. Das war kurzfristig als Auflage verfügt worden: Die Gäste durften nämlich nicht auf dem "Kröpcke" in den Bus einsteigen, teilte die Polizei mit, das sei eine Entscheidung des Ordnungsamtes. Zwei Mitarbeiter der Behörde wiederum erklärten später, diese Anweisung sei von der Polizei gekommen.
Am Landtag angekommen, trafen die Kampagnengäste überraschend auf Bernd Althusmann, den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Niedersachsen (CDU). Sie konfrontierten ihn mit Fragen nach der fehlenden Neutralität des Staates und wann die Staatsleistungen beendet würden. Er erwiderte, er stamme aus einem Pfarrhaushalt und sei überzeugter Christ. Er werde weiter an den Konkordaten und dem Loccumer Vertrag – einem Staatskirchenvertrag zwischen Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen aus dem Jahr 1955 – festhalten. "Die Trennung von Staat und Kirche ist ausreichend gut gewährt", findet der Politiker, der betont, dass er auch einmal Kirchenstaatsminister gewesen sei. Es gebe eine gute Zusammenarbeit, die sich bewährt habe und die Kirchen leisteten Dinge im sozialen Bereich, die der Staat gar nicht leisten könne.
Nach dieser erhellenden Begegnung, die die unverbesserliche Haltung der CDU einmal mehr offenbarte, ging es zurück zum "Kröpcke". Von dort gingen einige Interessierte direkt weiter zur Abendveranstaltung mit Michael Schmidt-Salomon im "Pavillon" zum Thema "Abschied von der Kirchenrepublik". Sie war so gut besucht, dass zusätzliche Stühle benötigt wurden. Zwei junge Gäste sind aus ihrem streng katholischen Internat extra aus Bielefeld angereist, um dem Philosophen zu lauschen.
Der hpd ist Medienpartner der Säkularen Buskampagne 2019 und berichtet über alle Tage der Tour des Busses durch Deutschland.
21 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hat irgendjemand etwas anderes erwartet von einem CDU Politiker und überzeugten Christen aus einem Pfarrhaushalt. Nein sicher nicht denn dieser hat den Glauben schon mit
Diese Tatsache macht offenes Denken leider unmöglich, das dumme ist nur, dass dieser Mann in Niedersachsen das sagen hat.
Aber das soll uns nicht entmutigen, nicht nachlassen, weiter so bis zum Erfolg, denn auf Dauer lässt sich die Wahrheit nicht verleugnen.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Als ich gestern in Hannover war, kamen mir Leute entgegen, die sich über die Buskampagne aufregten. „Man wolle sie nur vom Glauben abbringen“, so der Tenor.
Wäre es nicht sinnvoller, zusammen mit Juden, Muslimen, Freikirchen und Esoterikern gegen die Bevorzugung der beiden großen Kirchen vorzugehen, um mehr politisches Gewicht zu erhalten, anstatt alle potentiellen Koalitionspartner zu verärgern?
Dass CDU-Politiker dagegen sind, ist selbstredend. Welche Meinung hat denn Kevin Kühnert dazu?
Angela am Permanenter Link
"Wäre es nicht sinnvoller, zusammen mit Juden, Muslimen, Freikirchen und Esoterikern gegen die Bevorzugung der beiden großen Kirchen vorzugehen, [...]?"
Das ist eine wirklich äußerst naive Sicht:
Gerade unter Muslimen sind die begeistertsten Verfechter der hiesigen Verflechtung zwischen Staat und Religionsvertretern, des Kirchenverfassungsrechtes, der etablierten Privilegien für Glaubensgemeinschaften und der völlig unzureichenden Säkularität deutscher Politiker zu finden; und zwar aus dem ganz banalen Grund, weil man sich so langfristig selbst erhofft, von diesem System profitieren und so seine eigenen Vorteile daraus ziehen zu können. Die zunehmende Etablierung von islamischer Religionslehre an deutschen Schulen und die Einrichtung islamischer Theologie an deutschen Universitäten sind da erst der Anfang. Auch die Diskussion um eine "Moscheesteuer" hat einen Vorgeschmack dessen gegeben, wie sehr der organisierte Islam darauf aus ist, seine Vorteile aus der hiesigen staatskirchenrechtes zu ziehen.
Juden und Freikirchen profitieren übrigens auch längst von diesem System; Esoteriker ticken meist zu realitätsfern, um sich über so etwas Gedanken zu machen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"mit Juden, Muslimen, Freikirchen und Esoterikern gegen die Bevorzugung ..." - ich denke, Andreas, das führte nur dazu, dass die Genannten ebenso 'bevorzugt' werden wollte.
pi am Permanenter Link
„Mit Juden, Muslimen, Freikirchen und Esoterikern gegen die Bevorzugung der beiden großen Kirchen vorzugehen“ - hieße, dass diese wie gewünscht dieselben Rechte bekommen? Esoterik-Unterricht?
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Was mir als „naiv“ vorgeworfen wird (Diskussion + Koalition) sind die Grundlagen der demokratischen Mehrheitsbildung.
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
ex-Kirchenstaatsminister "Es gebe eine gute Zusammenarbeit, die sich bewährt habe ..." und meint wohl: "Sprach der König zum Priester: Halte du sie dumm, ich halte sie arm."
A.S. am Permanenter Link
Kleine Ergänzung: Für's dumm halten lassen sich die Bischöfe gut bezahlen...
Matthias Krause am Permanenter Link
Die Schweine in George Orwells "Farm der Tiere":
"Die Gleichheit der Schweine ist ausreichend gut gewährt!"
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nu ja, Althusmann ist halt auch nicht allwissend. Habt Mitleid! S\
Kay Krause am Permanenter Link
Moin, Hans Trutnau! Diese Symbiose"Staat-Kirche" zu bemitleiden, ist für den Steuerzahler ein teures Unterfangen!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das Satire-Ende-Zeichen nicht gesehen?
Junius am Permanenter Link
"Die Konfessionsfreien sind eine 'Klasse an sich', aber keine 'Klasse für sich'.
Hübsch formuliert! Aber sind die Konfessionsfreien wirklich eine Gruppe von gemeinsamen Interessen? Oder ist Konfessionsfreiheit nicht eher ein Merkmal unter vielen? Über den Tisch gezogen werden wir schließlich auch noch von ganz anderen Leuten.
Dr. Ingeborg Wirries am Permanenter Link
Nach Artikel 31 der Niedersächsischen Verfassung haben sich die Mitglieder der Landesregierung bei der Amtsübernahme vor dem Landtag zu den Grundsätzen eines freiheitlichen, republikanischen, demokratischen, sozialen
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Volke und dem Lande widmen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen üben werde.“
Angesichts der im hpd-Artikel zitierten Aussagen den stellvertretenden Minister-präsidenten von Niedersachsen, Bernd Althusmann muss man/frau doch seeeehr zweifeln, ob er das Grundgesetz (insbesondere Artikel 140) und die daraus auch für ihn geltenden Verpflichtungen überhaupt kennt. Natürlich kennt er sie. Es ist also die reinste, unglaubliche Unverfrorenheit, mit der er sie ignoriert und beiseite wischt.. Es ist also die reinste, unglaubliche Unverfrorenheit, mit der er sein Pfarrerelternhaus und seinen persönlichen Glauben zum Maßstab seines politischen Handelns meint machen zu dürfen und das ja auch tatsächlich tut!
Wer so denkt und dieses private Denken so bewußt hervorhebt, ist ganz vorsätzlich nicht willens, gegenüber allen Menschen in seinem Bundesland Niedersachsen Gerechtigkeit zu üben (insbesondere den ca 40% Konfessionsfreien im Lande) und schon gar nicht dem Verfassungsbefehl des Artikel 140 Grundgesetz Folge zu leisten.
Im Gesamtbericht nach Abschluss der "Säkularen Buskampagne 2019" wird Herr Bernd Althusmann mit seinen Aussagen (immerhin stellvertretend für die nds. Landes-regierung) entsprechend erwähnt werden. Und auch: Welche Beachtung diese Buskampagne in der Berichterstattung der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung inklusive der darin veröffentlichten Leserbriefe gefunden hat.
Apropos Leserbriefe: Kirchenkritische Leserbriefe werden von der Redaktion traditionell fast keine zugelassen; kirchenpositive traditionell umso lieber. Berichte von inner(!)kirchlichen Ereignissen, die die sog. christlichen Kirchen positiv erscheinen lassen sollen umso lieber und ausführlichst. Negative und skandalöse Ereignisse werden behandelt nach dem Motto "So viel wie nötig, so wenig wie möglich" - So viel zur Pressefreiheit, wie der Madsack-Konzern sie versteht!
Kay Krause am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau Dr. Wirries!
Es ist die selbe Chuzpe, Bigotterie und Volksverdummung wie in Kirchenkreisen, deren Doktrin die meisten Politiker ja auch brav folgen!
Petra Bruns am Permanenter Link
Liebe Ingeborg, danke für diesen zutreffenden Kommentar! Ich hatte versucht, für eine Diskussionsrunde am Abend Politiker bzw.
Zeitenzeuge am Permanenter Link
Es ist schon bemerkenswert, wenn sich ein stellvertrender Ministerpräsident offen gegen die Verfassung stellt. Hier war auch der Zeitenzeuge einmal Augen- und Ohrenzeuge als Passagier im Kampagnenbus.
Kay Krause am Permanenter Link
Liebe Frau Dr. Wirries!
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin, Kay Krause,
der Amtseid für kirchenhörige CDU/CSU-Politiker: "so wahr mir Gott helfe!" heißt übersetzt nichts anderes, als "so wahr mir die selbsternannten Gottesvertreter, die Bischöfe, helfen!"
Diese "Gotteshilfe" kostet allen Steuerzahlern sehr, sehr viel Geld.
Viele Grüße
Arno Gebauer
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin, Zeitenzeuge,
ich kann mir nicht vorstellen, dass der stellvertretende Ministerpräsident
"die von den Kirchen geleisteten Dinge im sozialen Bereich, die der Staat
gar nicht leisten könne" aufzählen und quantifizieren kann.
Diese Aussage bestätigt, dass dieser Politiker alles beim Alten lassen will,
weil er glaubt, dass seine Politik die Dienstleistungen der Kirche im sozialen Bereich
nicht neu organisieren kann! Das ist ein politischer Offenbarungseid und ein Hinweis,
dass dieser Politiker und seine religiösen Parteimitglieder erpressbar sind und erpressbar
bleiben !
Das, was die Kirchen für ihre Dienste im sozialen Bereich sich vom Staat
bezahlen lassen, ist deutlich höher als der gesellschaftliche Wert ihrer sozialen Dienstleistungen. Die Monopolstellung der Kirchen im sozialen Bereich
ist unerträglich.
Viele Grüße
Arno Gebauer
Zeitenzeuge am Permanenter Link
Die Politikerformel "So wahr mir Gott helfe" bedeutet eigentlich nichts Anderes als die Geste der auf dem Rücken gekreuzten Finger gegenüber der Schwurformel, weil man die nicht ausführen kann, wenn man glei