Jubiläumstagung

fowid ist eine Instanz geworden

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Die Tagung fand in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin statt
Blick durch den Veranstaltungssaal

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Matthias Krause (Ketzerpodcast) schenkte Carsten Frerk eine echte fowid-Torte, angelehnt an das Tortendiagramm der Konfessionszusammensetzung Deutschlands.
Carsten Frerk und Matthias Krause mit einer fowid-Torte

Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten liefert die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland zuverlässig empirische Daten und Statistiken zu allen Aspekten, die mit dem namensgebenden Thema zu tun haben. Das Jubiläum und der Geburtstag ihres Leiters Carsten Frerk wurden am Wochenende im Rahmen einer festlichen Tagung in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin begangen, zu der namhafte säkulare und konfessionelle Vertreter angereist waren.

Foto: © Ricarda Hinz
Michael Schmidt-Salomon und Prof. Ulla Wessels, Foto: © Ricarda Hinz

"fowid ist eine Instanz geworden, wenn es um Zahlen zu Weltanschauungen geht", hieß es in der Begrüßung durch Michael Schmidt-Salomon, Vorsitzender der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), und seiner Stellvertreterin Prof. Ulla Wessels. 2005 war die Forschungsgruppe aus der Giordano-Bruno-Stiftung hervorgegangen und wird seitdem von Carsten Frerk geleitet, der am Tag zuvor seinen 80. Geburtstag feiern konnte. Ob Parteipräferenzen nach Religion, die aktuelle Höhe der Staatsleistungen oder der Anteil der Konfessionsfreien an der Bevölkerung – die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) wertet Studien aus und nimmt eigene Erhebungen vor. Diese werden frei zugänglich auf ihrer Website veröffentlicht – der einzige Ort, neben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der ein eigenes sozialwissenschaftliches Institut betreibt. Vertreter der Kirchen waren diesmal auch als Referenten und aufs Podium der Veranstaltung eingeladen.

Empirische Daten zur Säkularisierung

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Carsten Frerk, Foto: © Ricarda Hinz

Carsten Frerk hielt den Eröffnungsvortrag, der die herausragende Bedeutung des Projekts für die säkulare Szene in Deutschland unterstrich. Das "Datenarchiv für Journalisten, Forscher, Interessierte" sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen: "nicht in Berlin, sondern im Internet" – mittlerweile werde die Seite 1.000-mal pro Tag aufgerufen, was viel sei bei einer so speziellen Zielgruppe. Anerkannte Medienanstalten von ARD bis dpa nutzen fowid-Informationen ebenso als Quelle wie religiöse Verwaltungsorgane und kirchliche Medien. Die sorgfältige Recherche sei der Grund für den Respekt, den fowid mittlerweile genieße. Anlässlich des Jubiläums habe die Forschungsgruppe zwei Umfragen von damals unter Kirchenmitgliedern erneut durchgeführt, die in dieser Woche veröffentlicht werden. Das Ergebnis: Auch nach den zahlreichen Kirchenaustritten in dieser Phase sind die Werte derer nach wie vor hoch, die nicht noch einmal in die Kirche eintreten würden und die austreten würden, wenn sie wüssten, dass die Kirche gar nicht so viel Soziales finanziert, wie es den Anschein macht.

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Prof. Detlef Pollack, Foto: © Ricarda Hinz

Von welchen Faktoren ist der religiöse Wandel abhängig?, fragte der renommierte Religionssoziologe von der Universität Münster, Prof. Detlef Pollack, der als zweiter seine Forschung präsentierte. Theorien dazu seien riskant, da sie mehr besagten, als die Empirie belegen könne. Er stellte fest: Mit dem steigenden Wohlstandsniveau einer Gesellschaft nehme die Religiosität ab. Es gebe einen Unterschied zwischen institutioneller und individueller Religion: Die Religiosität innerhalb der Kirchen sei nach wie vor höher als außerhalb. Dort fehle die Bestätigung durch andere, die auch glauben. Die Durchdringung der Gesellschaft durch die Kirchen nehme seit der Aufklärung stetig ab. Insgesamt seien den Menschen heute andere Dinge wichtiger. Der Kipppunkt in dem sich selbst verstärkenden Prozess sei bereits überschritten.

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Edgar Wunder, Foto: © Ricarda Hinz

Edgar Wunder vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD steuerte Erkenntnisse aus der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) bei. Er suche stets nach irritierenden Elementen in seiner Forschung, kündigte er dem Publikum an. Und so postulierte er zunächst, dass Säkularisierung für ihn ein unklarer Begriff sei, der nicht von allen gleich verwendet werde. Zudem ist er der Meinung, dass diese nicht automatisch in eine säkulare Gesellschaft führe. Mehr Einigkeit gab es beim bekannten Tortendiagramm, das auch fowid erhebt und das die Konfessionszugehörigkeiten in Deutschland wiedergibt. Die aktuelle KMU sei repräsentativ für die Gesamtbevölkerung und zum ersten Mal habe sich auch die katholische Kirche daran beteiligt. Das große Team, das die Studie durchführt, fand unter anderem heraus, dass die Konfessionsfreien mit 92 Prozent die höchste "Haltequote" im Vergleich mit den Religionsgemeinschaften haben (wer konfessionsfrei ins Leben gestartet ist, bleibt es auch). Die KMU prognostiziert eine baldige Austrittswelle aus den Freikirchen, ein komplettes Verschwinden des Glaubens an Wahrsager und dass es 2050 nur noch 20 Prozent Kirchenmitglieder geben wird. Die soziale Reichweite der Kirchen sei aber noch höher als ihre religiöse, das liege am Ausbau kirchlicher Infrastruktur (Kitas etc. – die allerdings staatlich hauptfinanziert werden). Zwei besonders interessante Aspekte: Säkulare engagierten sich weniger ehrenamtlich als Kirchlich-Religiöse. Und: Im Osten zeigten Konfessionsfreie die höchste Neigung zum Autoritarismus – im Westen sei es genau andersherum.

Gesellschaftliche Folgen der Säkularisierung

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Prof. Christoph Antweiler, Foto: © Ricarda Hinz

Einen ganz anderen Blickwinkel nahm der vierte Vortrag ein: Ursprünglich war an dieser Stelle Prof. Heiner Bielefeldt von der Universität Erlangen-Nürnberg vorgesehen. Aufgrund einer Erkrankung war jedoch kurzfristig der Ethnologe Prof. Christoph Antweiler eingesprungen. Er nahm eine globale Perspektive ein und stellte als ein besonderes Beispiel das größte islamische Land der Welt vor: Indonesien. Es sei partiell säkular und lebe eine "zivile Säkularität": Man zeige sich öffentlich religiös und sei privat indifferent. Der Staat sei der Moderator zwischen unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Land, die allesamt im Vergleich zum Islam in der Minderheitenrolle sind, und stelle weltliche Rechtsprinzipien über religiöse Normen. Die gesellschaftliche Harmonie sei dabei das Wichtigste, Religion sei eine private Orientierung. Atheismus sei nicht verboten, aber kaum sichtbar. Dem steht entgegen, dass in der Region Aceh die Scharia gilt. Religiöses Denken präge Menschen, auch wenn sie nicht religiös seien, resümierte Antweiler. Es gebe einen evolutionären Vorteil von Religion. Auch Tribalismus sei in allen Menschen angelegt und er plädierte dafür, diesen positiv humanistisch zu nutzen, zugunsten einer gemeinsamen Menschheit – ein Konzept, das es nicht in vielen Kulturen gebe. Weltweit dominierten nach wie vor religiöse Weltbilder.

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Prof. Ansgar Hense, Foto: © Ricarda Hinz

Prof. Ansgar Hense vom Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands stellte die Frage, ob es ohne Staatskirche – die es laut Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit dem Grundgesetz ja nicht gibt – denn ein Staatskirchenrecht geben könne, das es aber ja gebe. Er sprach vom Staats-Kirchen-Verhältnis Deutschlands als "offene Grundstruktur mit säkularen Rahmenbegriffen". Die Gottesformel sei "Verfassungslyrik von juristischer Unerheblichkeit". Er könne keine unmittelbaren juristischen Konsequenzen aus dem Wandel der Wahrnehmung von Kirche feststellen. Hense rief erwartungsgemäß mehr Widerspruch im Publikum hervor als die anderen Redner, womit er humorvoll und bewusst umzugehen wusste. Es entspann sich im Nachgang eine Debatte über das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das laut Gesetzestext lediglich ein Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht ist. Ein Einwand aus dem Plenum lautete: "Die Kirchen haben selbst bestimmt, was sie bestimmen dürfen, und der Staat billigt das."

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Jacqueline Neumann, Foto: © Ricarda Hinz

Die Gründungsdirektorin des Instituts für Weltanschauungsrecht, Jacqueline Neumann, gab im letzten Vortrag des Tages einen Gesamtüberblick über das Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität und arbeitete die rechtspolitischen Folgen, die die stattfindende Säkularisierung haben sollte, klar heraus. Sie griff noch einmal die Definition auf, die Edgar Wunder in Frage gestellt hatte: Säkularisierung sei der Rückgang institutioneller Religionsbindung, der Bedeutungsverlust religiöser Autorität und das Wachstum nichtreligiöser und pluraler Lebensformen. Der Staat müsse alle gleich behandeln und sichtbar äquidistant agieren. "Wenn also die Gesellschaft pluraler wird, darf der Staat nicht religiöser werden, sondern muss konsequenter neutral werden." Die verfassungsrechtliche Architektur werde von vier Pfeilern getragen: Trennung, Neutralität, Gleichheit und Freiheit. Für den Staat ergäben sich daraus drei Verbote: Ein Identifikationsverbot, ein Privilegierungsverbot und ein Diskriminierungsverbot. Wichtig sei dabei auch eine nach außen sichtbare Distanz. In einem Amt etwa werde die individuelle Freiheit durch die Funktionspflichten überlagert (Stichwort: Kreuz im Gerichtssaal) und Tradition ersetze keine Norm. Der Staat müsse Entscheidungen weltanschaulich neutral begründen können. Neutralität erst auf Antrag erzeuge neue Spannungen. "Neutralität ist Menschenwürde in religionsrechtlicher Gestalt – der Staat respektiert, dass jeder Mensch Sinn und Wahrheit selbst definiert." Die Säkularisierung sei dafür der Prüfstein.

Prominent besetzte Podiumsdiskussion

Nach dem durch zahlreiche Pausen für Gespräche aufgelockerten Tag der sachlichen Faktenpräsentation konnten sich die unterschiedlichen Standpunkte nun in einer Diskussionsrunde miteinander messen. Das Podium war breit aufgestellt: Philipp Möller, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien, die ehemalige FDP- und SPD-Spitzenpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier, Ali Ertan Toprak, CDU-Mitglied und Ehrenpräsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland sowie Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Die Abgeordnete Kathrin Michel, Sprecherin für Säkularität und Humanismus der SPD-Bundestagsfraktion, musste kurzfristig krankheitsbedingt absagen, Bodo Ramelow, Bundestagsvizepräsident und Sprecher für Kirchen und Religionspolitik der Linksfraktion beteiligte sich mit einer Videobotschaft.

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Philipp Möller, Ingrid Matthäus-Maier, Michael Schmidt-Salomon, Anne Gidion, Ali Ertan Toprak (v.l.n.r.), Foto: © Ricarda Hinz

Die wurde zu Beginn abgespielt, darin plädierte er für ein neues Verhältnis von Staat und Religion, das der Vielfalt anders begegne (etwa wie im italienischen Modell der Kultursteuer). Er sprach sich gegen die Gültigkeit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) und für eine "Ankerperspektive" aus. Dem widersprach Matthäus-Maier vehement: Die WRV sei geltendes Recht und ein Kompromiss. Was aber abgeschafft werden müsse, ist das Reichskonkordat aus der Nazi-Zeit. Toprak reagierte alarmiert auf die Kooperation von Staat und Kirche mit konservativ-rechten Islamverbänden. Ihn störe es, dass Säkularismus in Deutschland immer als Angriff aufgefasst werde. Möller nannte es eine Situation der Ungleichzeitigkeit, dass die säkularen Mehrheiten in der Bevölkerung noch nicht in der Politik angekommen seien. Diese gefährliche Diskrepanz schwäche das Vertrauen in die Demokratie. Religiöse Privilegien müssten abgeschafft werden. Gidion, die Cheflobbyistin der EKD, wollte den Begriff Privilegien so nicht stehen lassen: Die Kirchen erfüllten Aufgaben und bräuchten Rechtsschutz dafür. Man solle sich lieber darauf fokussieren, eine inhumaner werdende Gesellschaft zu bekämpfen. Michael Schmidt-Salomon, der moderierte, wies darauf hin, dass jedoch die offene Gesellschaft gerade auch durch autoritären Christianismus bedroht werde, etwa in den USA oder in Russland. In den USA werde der Jesus diskreditiert, an den sie glaube, entgegnete Gidion. Möller nahm die Kirchenvertreterin, die sich selbst als Botschafterin bezeichnete, in die Pflicht: Man müsse gemeinsam die Kräfte zurückdrängen, die die offene Gesellschaft bedrohten. Den Säkularismus als Chance, die Gesellschaft zu schützen, solle man wahrnehmen, auch durch Privilegienverzicht.

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