Podiumsdiskussion in Hildesheim

Das nenn' ich heilig

Unter dem Motto "Das nenn' ich heilig" fand am 06. Mai 2019 im Audimax der Stiftung Universität Hildesheim eine Podiumsdiskussion statt. Neben religiöser Prominenz saß auch Religions- und Kirchenkritiker Philipp Möller auf dem Podium. Seine Äußerungen sorgten mehr als einmal für Diskussionsstoff.

Ziel der prominent besetzten Podiumsdiskussion "Das nenn‘ ich heilig" war es vor allem, das Profil der Stadt Hildesheim bei der Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt 2025 zu schärfen. Das Verhältnis von Religionen und Konfessionen im 21. Jahrhundert heute und zukünftig sollte sie beleuchten und die Bürger fragen, was ihnen eigentlich heilig ist. Eingeladen hatte der Freundeskreis Kulturhauptstadt 2025-Stadt und Region Hildesheim e.V. in Kooperation mit der Stiftung Universität Hildesheim, dem Projektbüro KULTURHAUPTSTADT Hi2025 und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Hildesheim Region (HI-REG) mbH.

Die Frage, was ihnen heilig sei, hatte offensichtlich einen Nerv der Hildesheimer Bürger getroffen, denn das Audimax der Universität war bis auf den letzten Platz besetzt – allerdings hauptsächlich von jenen Hildesheimern, die jenseits der 50 im Leben stehen. Ausgewählte Hildesheimer gaben vor Beginn der Diskussion Statements ab, was ihnen heilig ist: Europa, Frieden, Kinder, Familie, Freiheit, Engagement, Freunde, Vielfalt, Nachhaltigkeit, der Hildesheimer Boden, das Gebot "Vergib deinem Schuldiger", Entwicklung, Geschichte, Umwelt. Hochschullehrerin Sylvia Oehlmann erhielt Applaus für ihr Statement, dass sie keinem Menschen und keiner Institution die Definition von "heilig" überlassen wolle. Sie zitierte hierzu George Bernard Shaw: "Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch."

Nach den ausgewählten Personen im Publikum erklärten auch die Podiumsteilnehmer, was ihnen heilig ist. Außerdem wollte die Moderatorin, Pastorin Elisabeth Rabe-Winnen wissen, wie das Wort "heilig" aus der religiösen Sprache in den Alltag komme und wo die Bekenntnisse von Menschen zu dem, was heilig sei, wurzelten. Kristian Folta-Schoofs, Leiter des Instituts für Psychologie der Stiftung Universität Hildesheim, hob hervor, dass heilig sowohl eine positive als auch eine negative Bedeutung habe. Schon Sigmund Freud habe erkannt, dass das Heilige ein guter Nährboden für Zwangserkrankungen sei. Sadiqu Al-Mousllie, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Niedersachsen und Mitglied im Bundesvorstand des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sagte –am ersten Tag des islamischen Fastenmonats Ramadan – heilig sei, was Allah ihm gegeben habe, dass der Mensch mit Vernunft handle und über sich selbst bestimme und freiwillig faste. Nicola Wendebourg, Personaldezernentin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, beschrieb mit akrobatischen Assoziationsketten, wie "das Transzendente im Profanen erscheint" und wir "das Heilige im Hier suchen". Eine Fähigkeit, über die bekanntlich besonders Theologen verfügen, die auch aus dem Profansten wie dem eigenen Haus "einen Geborgenheitsraum" machen können. Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und der Jüdischen Gemeinde Hannover, wollte hingegen nichts als wirklich heilig betrachten. Als Jude sei ihm allerdings die Erinnerung an die Shoah so wichtig, dass man fast von heilig sprechen könne. Der Hildesheimer Bischof Wilmer erklärte, dass für ihn auch die Familie heilig sei und vor allem Offenheit für den Anderen.

Philipp Möller, Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung, sprang mit seinem Statement hingegen sofort mitten in die Politik. Er erklärte, dass Deutschland kein Land sei, in dem Staat und Kirchen getrennt seien, obwohl das Grundgesetz sage, es bestehe keine Staatskirche. Selbstbestimmung sei wichtig und dass die Würde des Menschen unantastbar sei - wobei er gleich mit den Beispielen der Feiertags- und der Sterbehilfegesetzgebung ausführte, wie in Deutschland die Selbstbestimmung durch Religion ausgehebelt wird. Wenn wir friedlich miteinander leben wollten, dann müssten wir uns für die Trennung von Staat und Kirchen einsetzen, für eine Ethik, die nicht nach Heiligkeit frage, sondern danach, was fair sei und was nicht. Nicht die Freiheit sei zu begründen, sondern die Einschränkung der Freiheit. Fair sei eine Gleichbehandlung, und wenn, so Möller, der Islam die gleichen Privilegien wie die Kirchen fordere, dann sei er der Meinung, dass besser den Kirchen die Privilegien genommen werden sollten. Im Übrigen würde es ihn weltanschauliche Bescheidenheit nie sagen lassen, dass es Gott nicht gebe. Sehr wohl liege die Beweislast für die Existenz eines Gottes jedoch bei den Religionen.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, wie gut die Veranstalter daran taten, auch Philipp Möller einzuladen. Ohne ihn wäre es wahrscheinlich ein betuliches Schauspiel geworden, in dem jeder dem anderen versichert hätte, das ihm Heilige zu respektieren, ohne den Inhalt des Heiligen überhaupt zu hinterfragen. Aber schon Möllers Hinweis auf die Beweislast hinsichtlich der Existenz eines Gottes und dass diese bei den Gläubigen liege, führte dazu, dass Al-Mousllie sich diskriminiert fühlte und sich zu der Behauptung verstieg, das Grundgesetz sei ein Geschenk Gottes. Bischof Wilmer behauptete, dass die Unantastbarkeit der Würde aus der Bibel stamme, wobei er aber nicht erwähnte, dass eben jene Würde über Jahrhunderte von den Kirchen mit Füßen getreten wurde. Auch die Bemerkung Möllers, dass Beschneidung ein nicht hinzunehmender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht sei, führte zu scharfen Protesten von Michael Fürst und Sadiqu Al-Mousllie. Trotz aller Proteste von religiöser Seite sei es, so Philipp Möller, geboten, dass der Staat sich weltanschaulich neutral verhalte, keine Religion oder Weltanschauung privilegiere und so Regeln setze für ein faires, gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander.

Die Moderatorin fragte abschließend, ob die Frage nach dem Heiligen schräg sei. Nichts konnte dies besser bestätigen als Sadiqu Al-Mousllies Antwort auf diese Frage. Er zeichnete das Beispiel einer Diktatur, in der die Menschen aller Rechte beraubt sind und nichts zu sagen haben: Dort, so seine zynische Antwort, gäben Gott und Religion den Menschen Trost.