Podiumsdiskussion mit den im hessischen Landtag vertretenen Parteien

Wie trennen wir Staat und Kirche?

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Im Gespräch: Vertreter säkularer Organisationen und politischer Parteien in Hessen.

Die erst vor einem knappen Jahr gegründete AG Säkulare Organisationen in Hessen hatte am vergangenen Freitagabend zu einer mit rund 70 Personen gut besuchten Podiumsdiskussion alle im Landtag vertretenen Parteien eingeladen. Auf dem Podium waren denn auch mit Dr. Arijana Neumann (SPD), Dieter Kellermann (FDP), Hermann Schaus (Die Linke) und Marcus Bocklet (B'90/Die Grünen) fast alle dieser Parteien vertreten. Lediglich die CDU hatte zum Bedauern des Veranstalters auf eine Teilnahme verzichtet.
 
Die Podiumsrunde wurde komplettiert durch Martin Wagner, der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten in Hessen (IBKA Hessen) die veranstaltende AG Säkulare Organisationen in Hessen repräsentierte, sowie den Moderator Dirk Vielmeyer. Im Vorfeld der Veranstaltung hatte die AG Säkulare Organisationen in Hessen, zu der neben dem IBKA die hessischen Regionalgruppen der gbs (Giordano Bruno Stiftung) sowie die aktuell fusionierenden humanistischen Organisationen HuGH (Humanistischen Gemeinschaft Hessen) und HVD (Humanistischer Verband Deutschlands – Hessen) gehören, an alle zur Wahl antretenden Parteien säkulare Wahlprüfsteine zum Spannungsfeld Staat und Religion verschickt. Die Antworten der Parteien waren zwischenzeitlich eingegangen und von der AG in einer Broschüre, die am Rande der Veranstaltung an die Besucher verteilt wurde, zusammengefasst.

Die Diskussion begann mit der klassischen Gretchenfrage, mit der der Moderator die Diskussionsteilnehmer überraschte, also mit der Frage, wie sie persönlich es denn mit der Religion halten. Wider Erwarten war nur einer der anwesenden Politiker Mitglied einer Kirche – und zwar ausgerechnet der Vertreter der Linken.

Inhaltlich wurde als erstes Thema das seit bald 100 Jahren ignorierte Verfassungsgebot der Ablösung der zweckungebundenen Staatsleistungen debattiert. Abgesehen von der in dieser Frage schlecht vorbereiteten SPD-Vertreterin waren sich alle Anwesenden einig, dass hier eine Initiative seitens der Politik angezeigt sei. Hermann Schaus (Die Linke) konnte in dieser Frage beim vornehmlich säkular eingestellten Publikum am meisten punkten, konnte er doch auf entsprechende Anträge und Anfragen im Land- und Bundestag verweisen. Marcus Bocklet von den Grünen verwies auf einen entsprechenden Parteitagsbeschluss in Hessen und dass daraus resultierend eine Forderung nach Beendigung der Staatsleistungen in mögliche Koalitionsverhandlungen einfließen würde – mit natürlich offenem Ausgang. Insgesamt wurde das Dilemma beklagt, dass sich angesichts der Verfassungslage Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung in dieser Angelegenheit zuschöben mit dem unbefriedigenden Ergebnis, dass keine Veränderung am Status Quo vorgenommen werde.

Beim Thema Ethik-Unterricht lobte Martin Wagner von der AG zunächst die Situation in Hessen, die mit Blick auf die Gesetzeslage geradezu vorbildlich in Deutschland sei, sei doch der Ethik-Unterricht für alle Schüler*innen, die dies wünschten, "eigentlich" vorgesehen. Allerdings, so Wagner, hapere es an der Umsetzung: Zu wenig Ethik-Lehrer*innen stünden dem hohen Bedarf gegenüber, was an der stiefmütterlich behandelten Ausbildung im Fach Ethik liege. Dieser Missstand wurde von keinem der anwesenden Politiker*innen verteidigt, wenn auch Marcus Bocklet (B'90/Die Grünen) lieber den Schwerpunkt auf das diesbezüglich schon Erreichte legen wollte. Die Einigkeit im Podium ging sogar soweit, dass allenthalben ein gemeinsamer Ethik-Unterricht (einschließlich Religionskunde) als begrüßenswert angesehen wurde. In dieser Frage wurde jedoch gleichzeitig auf die starken Vorbehalte in der eigenen Partei hingewiesen, weswegen diese Positionierung wohl nur als jeweils persönliche Meinungsäußerung gewertet werden kann.

Die Einigkeit setzte sich beim Thema "Religiöse Symbole in öffentlichen Räumen" fort, allerdings schien nicht allen die Existenz solcher Symbole in öffentlichen Räumen bekannt zu sein. Außerdem wurde die Verantwortung teilweise bei den Bürger*innen gesehen, die sich gegebenenfalls gegen entsprechende religiöse Vereinnahmungen wehren sollten – ein Ansinnen, das bei Teilen des rege mitdiskutierenden Publikums auf Unverständnis stieß.

In einer noch misslicheren Lage befanden sich die anwesenden Politiker*innen bei der Frage der finanziellen Förderung kirchlicher Veranstaltungen. Aus aktuellem Anlass wurde die vom Magistrat der Stadt Frankfurt beschlossene Förderung des 2021 in Frankfurt stattfindenden 3. Ökumenischen Kirchentags in Höhe von EUR 5 Mio. heiß diskutiert. Immerhin gehören 61 % der Frankfurter weder der katholischen noch der evangelischen Kirche an. Im Rahmen dieser Diskussion wurde insbesondere von Arijana Neumann (SPD) und Marcus Bocklet (B'90/Die Grünen) die Förderung kirchlicher Veranstaltungen zum Erstaunen des Publikums mit Sportförderung und sozialer Unterstützung Hilfsbedürftiger gleichgesetzt, womit sie sich eklatant über das Verfassungsgebot der Trennung der staatlichen von der religiösen Sphäre hinwegsetzten.

Alles in allem wurde einvernehmlich konstatiert, dass das säkulare Engagement dem sprichwörtlichen "Bohren dicker Bretter" entspricht, bei dem man nicht auf kurzfristige Erfolge hoffen dürfe. Auch wurde die konsequente Nichtbeachtung säkularer Themen in Gesellschaft und Politik durch die Medien – die "Vierte", aber vielleicht mächtigste Gewalt im Staate – kritisiert. Nicht nur das große Interesse an der Veranstaltung und die rege Diskussion mit dem Publikum, sondern vor allem die demografischen Basisdaten zeigen, dass hier eine Thematik schlummert, die eine nicht zu unterschätzende Brisanz und Aktualität birgt, die in der Zukunft eher an Bedeutung gewinnen als verlieren wird. Vor diesem Hintergrund fühlen sich die Initiatoren der AG bestätigt und ermutigt, den begonnenen Weg fortzusetzen und bei passenden Gelegenheiten die säkularen Kräfte zu bündeln, um auf gemeinsame Anliegen aufmerksam zu machen und gemeinsame Interessen durchzusetzen.