Selbstbestimmung bei Schwangerschaftsabbrüchen

Informationen statt Tabus

Die aufgrund des "Werbeverbotes" bei Abtreibungen verklagte Ärztin Kristina Hänel stellte im Rahmen der Säkularen Buskampagne am Sonntag in Nürnberg ihr Buch vor und machte dabei klar, wie religiöse Tabus Frauen gefährden.

Am Sonntag, den 19. Mai 2019, stellte die Gießener Ärztin Kristina Hänel im Nürnberger Marmorsaal ihr Buch "Das Politische ist persönlich" vor, das mit dem Untertitel "Tagebuch einer 'Abtreibungsärztin'" vor einem Monat im Argument-Verlag erschienen ist. Vor knapp 70 Gästen las sie Passagen des Textes, mit dem sie die Zeit von der Eröffnung des Verfahrens gegen sie bis zum Ende des zweiten Prozesses dokumentiert, und erklärte eindringlich, warum sie für ein Informationsrecht von Frauen beim Schwangerschaftsabbruch kämpft.

Die Veranstaltung, in der Hänel von Todesdrohungen und Ängsten erzählte, aber auch von Stärke und erfahrener Solidarität, fand im Rahmen der Säkularen Buskampagne statt, und wurde von der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) in Kooperation mit den Regionalpartnern Kortizes sowie dem Bund für Geistesfreiheit (bfg) Erlangen und dem bfg Fürth organisiert. An die Lesung schloss sich ein Podiumsgespräch mit dem GBS-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon an, in dem es besonders um die Rolle der Religion in der Abtreibungsdebatte ging.

"Für die Entscheidung der einzelnen Frau spielt Religion nach meiner Erfahrung keinerlei Rolle", erläuterte Hänel. "Ungewollt Schwangere entscheiden nach ihrer Lebenssituation und unabhängig davon, wie sie vorher über das Thema gedacht haben." Sie habe sogar eine Patientin gehabt, die zuvor auf "Lebensschützer"-Demos zur Abschreckung Plastik-Embryonen verteilte und die überzeugt war, bei ihr selbst und ihrem eigenen Abbruch sei alles anders, bei ihr sei es ja eine Ausnahme. Doch für jede Frau seien die ganz persönlichen Lebensumstände entscheidend dafür, ob sie eine Schwangerschaft fortführen kann oder will.

Kristina Hähnel, Foto: © Karin Becker
Kristina Hänel, Foto: © Karin Becker

Auf die öffentliche Meinung übe fundamentalistisch verstandene Religion jedoch einen großen Einfluss aus, so Hänel weiter. Es lasse auch sie nicht unberührt als Mörderin bezeichnet zu werden. Oder wenn eine Website mit dem Namen "Babykaust" Abtreibungen mit dem Judenmord im Dritten Reich vergleiche. Nach unangenehmen Erfahrungen vermeide sie auch den Kontakt mit Evangelikalen, die in ihrer Region aktiv seien.

Der Paragraph 219a StGB, gegen den sie kämpft, führe zu einer Tabuisierung, so Hänel. Er sorge dafür, dass ausgerechnet die mit der meisten Erfahrung und dem meisten Wissen über die medizinische Seite von Schwangerschaftsabbrüchen nicht öffentlich darüber informieren dürfen. "Nur eine hier im Saal macht sich mit Informationen darüber strafbar und das bin ich," machte sie deutlich.

Wie Hänel erklärte, kriminalisiert der Paragraph 219a auch in der aktuellen Neufassung der Großen Koalition weiterhin Ärztinnen und Ärzte, die Informationen auf ihre Webseite stellen und schadet damit denen, die in einer Notsituation unter Zeitdruck auf diese Informationen angewiesen sind. Anders als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, habe die Neufassung neben einer kleinen Liberalisierung nämlich gleichzeitig zu einer Verschärfung geführt.

Zwar dürfen Arztpraxen wie die von Hänel nach neuer Rechtslage angeben, dass sie Abbrüche durchführen, aber wenn sie weitere Informationen verfügbar machen – etwa, welche Methoden sie anbieten – machen sie sich nun eindeutig strafbar. "Vorher war es Gerichten noch möglich, teleologisch zu entscheiden, das heißt, sie konnten die Klage abweisen mit dem Hinweis, dass es sich ja um neutrale Informationen handelt und nicht um Werbung", sagte Hänel. Mit der Neufassung gebe es diese Möglichkeit nun nicht mehr. Im Gesetz sei nun definiert, dass jede weiterführende Information automatisch als Werbung zu gelten hat.

Wenn das Verfassungsgericht die Regelung nicht kippe, werden Ärztinnen wie sie noch effektiver öffentlich zum Schweigen gebracht. Das habe die Konsequenz, dass Frauen weiterhin viele Praxen durchtelefonieren müssen, um die Details herauszufinden, die sie brauchen, um medizinisch wichtige Entscheidungen bezüglich des Abbruchs für sich treffen zu können. Solche Barrieren für den Informationsfluss seien inakzeptable Schikanen, besonders in dem Zeitdruck bis zur 12. Schwangerschaftswoche, so Hänel.

Ein Gutes habe der Prozess und die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema jedoch gebracht: "Es wird wieder über die Selbstbestimmung der Frauen bei der schwierigen Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch gesprochen. "Das Schweigen ist gelockert!" Dass ausgerechnet Yannick Hendricks, der mit seiner Anzeige gegen Hänel für eine Durchsetzung des Tabus sorgen wollte, die politische Bewegung für ein Recht auf Information ins Rollen gebracht hat, dürfte dem Abtreibungsgegner nicht schmecken. Auch dass die große Aufmerksamkeit für den Nachwuchsmangel der anbietenden Ärzte dafür sorgte, dass sich die Gruppe "Medical Students for Choice" gründete und angehende Ärzte bei Hänel lernen wollen, ist sicher nicht in seinem Interesse.

Der Gedanke, dass Hendricks mit seiner Anzeige damit sogar zu so etwas wie dem Begründer einer neuen Welle der Frauenbewegung geworden ist, sorgte an dem Abend sowohl auf dem Podium wie im Publikum für Erheiterung. Das Lachen war eine kleine Erleichterung nach viel Betroffenheit, die etwa spürbar war, als Hänel Fälle aus ihrer Praxis vorlas – wie den einer Mutter, die unter einem ganz besonderen Zeitdruck zum Abbruch kam: Sie wollte schnell zurück zu ihrem leukämiekranken 5-jährigen Sohn, der in steriler Quarantäne der Klinik auf sie wartete.

Auch die Geschichten aus einer Veranstaltung der "Catholics for Choice", die Hänel besucht hat, und die sie im Buch wiedergibt, wogen schwer. Denn es gibt sie: Katholiken, die ihre Meinung zu Schwangerschaftsabbrüchen ändern, wenn sie in Regionen der Welt gearbeitet haben, in denen Abtreibungen illegal sind. Es lässt auch streng Gläubige nicht unberührt, wenn sie das Leid der Frauen gesehen haben, wie den Arzt, der miterleben musste, wie eine Medizinerkollegin an einer Sepsis starb nach einer Abtreibung unter unhygienischen Bedingungen. Er setze sich für sichere Abtreibungen ein, nachdem er bei der Beerdigung der verstorbenen Kollegin ihr Kind an der Hand der Oma sah, so Hänel.

Es sei niemandes Traumjob, "Abtreibungen" durchzuführen, sagte Hänel. Auch sie habe das nur übernommen, weil in den Frauenarztpraxen in ihrer Region aufgrund des damit verbundenen Stigmas niemand dazu bereit war. Jemand musste es machen, fand Hänel. Denn Frauen haben ein Recht auf Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Wenn religiöse Tabus und gesetzliche Einschränkungen die Eingriffe unsicher machen, sei laut Hänel die Fruchtbarkeit, die Gesundheit und das Leben von Frauen in Gefahr. "Und wer sind dann die Mörder?"

Foto: © Karin Becker
Foto: © Karin Becker

Kristina Hänel, Das Politische ist persönlich: Tagebuch einer "Abtreibungsärztin", Argument Verlag, 2019, 240 Seiten, ISBN 978-3867545136, 15,00 Euro

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