Den Kirchen laufen die Mitglieder davon. Obwohl die deutsche Gesamtbevölkerung 2018 nur um 280.000 Personen angestiegen ist, verlor die katholische Kirche gegenüber dem Vorjahr rund 300.000 Mitglieder, die evangelische Kirche sogar 400.000. Die Gruppe der konfessionsfreien Menschen wiederum ist um mehr als 800.000 Personen gewachsen. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort.
Eine Prognose des "Forschungszentrums Generationenverträge" an der Universität Freiburg geht davon aus, dass die Kirchen bis zum Jahr 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren werden und damit einen Anteil von unter 30 Prozent an der Gesamtbevölkerung einnehmen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Anzahl der Konfessionsfreien in Deutschland noch einmal deutlich höher wäre, wäre nicht das Gros der Christinnen und Christen bereits im Kleinkindalter durch die "Kindstaufe" ohne eigene Einwilligung zum Kirchenmitglied geworden. Es ist bezeichnend, dass Bürgerinnen und Bürger im Erwachsenenalter zunehmend aktiv von ihrem Recht Gebrauch machen, ihr Leben frei von konfessionellen Bindungen zu gestalten.
Offensichtlich ist es an der Zeit, konstruktive Lösungen für ein faires Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen im gesellschaftlichen Diskurs zu entwickeln und diese dann in Politik und Gesetzgebung zu verankern. Die Trennung von Staat und Kirche wurde bereits vor 100 Jahren in der Weimarer Reichsverfassung festgeschrieben und vor 70 Jahren im Grundgesetz verankert. Dass dieser Auftrag bis heute nicht vollständig eingelöst ist, wurde bisher kaum thematisiert, da die Mehrheitsgesellschaft lange Zeit kirchlich gebunden war. Dass sich dies nun rasant ändert, machen die oben genannten Zahlen deutlich. Der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO) bietet sich in diesen Fragen als natürlicher Ansprechpartner für Politik und Medien an. Folgende Forderungen aus säkularer Perspektive möchte der KORSO in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und stark machen.
Der Abbau einseitiger Privilegien, von denen bisher nur die etablierten Kirchen profitiert haben, ist endlich einzuleiten. Das bedeutet konkret:
- Die historischen Staatsleistungen der Länder an die Kirchen müssen ein Ende finden, der diesbezügliche Verfassungsauftrag wartet seit 100 Jahren auf seine Umsetzung. Dafür ist es nun höchste Zeit.
- Der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) muss überprüft und dahingehend modernisiert werden, dass er der in der Bundesrepublik entstandenen religiösen und weltanschaulichen Pluralität Rechnung trägt und allen relevanten Gruppen vergleichbare Kooperationsmöglichkeiten mit dem Staat ermöglicht.
- Die Mitgliedsbeiträge sollten künftig von allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, also auch von den Kirchen, selbst eingezogen werden, statt für diese Aufgabe staatliche Einrichtungen hinzuzuziehen und damit den Eindruck zu erwecken, es handele sich um eine staatliche "Steuer" ("Kirchensteuer").Die Überrepräsentanz kirchlicher Vertreterinnen und Vertreter in Ethik- und Rundfunkräten muss abgebaut und zumindest den Mehrheitsverhältnissen in der Bevölkerung angepasst werden. Die frei gewordenen Plätze sind durch Repräsentantinnen und Repräsentanten anderer relevanter gesellschaftlicher Gruppierungen sowie vor allem durch ausgewiesene Expertinnen und Experten zu besetzen.
- Die den körperschaftlich organisierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährten Sonderrechte sind zu überprüfen und ggf. zu reformieren, wie beispielsweise im Arbeitsrecht.
- Gesetze, die einseitig im Geiste eines religiösen Bekenntnisses formuliert worden sind, sind zu ändern. Dazu gehört beispielsweise die Bevormundung schwangerer Frauen oder die Einschränkungen der Selbstbestimmung am Lebensende.
Die genannten Maßnahmen bringen weitreichende, notwendige Veränderungen in vielen Bereichen der Gesellschaft mit sich. Der KORSO e.V. unterstützt diesen Dialog im Namen der säkularen Organisationen Deutschlands gerne nach Kräften.
Erstveröffentlicht auf der Webseite des KORSO.
9 Kommentare
Kommentare
M. Landau am Permanenter Link
Besonders schwer wiegen die Benachteiligungen und Diskriminierungen im Arbeitsrecht.
Dennoch gibt'a auch Positives. Die Kirchensteuer etwa. Die ist ganz in meinem Sinne. Nein, nein, ich verliere keineswegs den Verstand, ich kann nur rechnen. Seit 1949 ist die Kirchensteuer der durchweg meistgenannte Grund für einen Kirchenaustritt. Natürlich gibt es immer wieder "Schübe", etwa nach Skandalen, Enthüllungen und anderem, was immer wieder Austrittswellen nach sich zieht, der jedoch überwiegende Teil der Ausgetretenen gibt die Kirchensteuer als Grund bzw. Hauptgrund an. Also erhöhen wir die Kirchensteuer, sagen wir mal, auf 19%. Noch eine Prise Politsprech: Ich bin voller Zuversicht, dass dann die Zukunftsperspektiven der Kirchen sich sehr bald und 'nachhaltig' in die richtige Richtung entwickeln würden.
Junius am Permanenter Link
Nur ein einziger, aus meiner Sicht aber entscheidender Einwand: die „Gruppe der Konfessionsfreien“ ist nicht gewachsen - einfach, weil es diese „Gruppe“ nicht gibt.
Ich habe zunehmend den Eindruck, die kleine Gruppe organisiserter Säkularer (von denen es im ganzen Lande weniger gibt als eine einzige der beiden Kirchen in einer mittelgroßen Stadt Mitglieder hat) haben den Kontakt zur Wirklichkeit verloren.
Rainer Rosenzweig am Permanenter Link
Danke für diesen Einwand! Er gibt mir die Gelegenheit, ein weit verbreitetes Fehlverständnis auszuräumen, das Sie leider in Ihrem Kommentar vertreten.
Zunächst ist in dem Text des KORSO ist ja bewusst nicht von einer "Partei" oder einer Organisation oder sonst einer homogenen Gruppierung die Rede (Ihr Beispiel von der "Partei der Parteilosen" greift also ins Leere), sondern von einer "Gruppe der konfessionsfreien Menschen". Da der KORSO natürlich weiß, dass dieser Punkt grundsätzlich stark erläuterungsbedürftig ist, haben wir in dieser Stellungnahme ganz bewusst genau diese Wortwahl benutzt.
Aber wenn Sie das schon zum Thema machen, sollten Sie bedenken, dass die Gruppe der Kirchenmitglieder weit weniger homogen ist als die der Konfessionsfreien. Und das ist durch zahlreiche Umfragen empirisch belegt: Bitte beachten Sie hierzu die Analysen der „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ www.fowid.de.
Wenn man also schon die Homogenität der verschiedenen Gruppen anspricht, sollte man den empirisch nachgewiesenen Fakt nicht unerwähnt lassen, dass die Gruppe der Konfessionsfreien in vielen Items sogar homogener ist als etwa die die Gruppe evangelischen Kirchenmitglieder.
Vielleicht hilft Ihnen dieses Argument, Ihren geschilderten Eindruck ein wenig abzumildern?
In diesem Sinne beste Grüße vom KORSO!
Rainer Rosenzweig
P.S.: Einen Hinweis darauf, woran es liegen könnte, dass "es im ganzen Lande weniger [organisierte Säkulare] gibt als eine einzige der beiden Kirchen in einer mittelgroßen Stadt Mitglieder hat", finden Sie übrigens ebenfalls in der obigen KORSO-Stellungnahme...
Rainer Wuschansky am Permanenter Link
In einem Rechtsstaat, auf den man sich hierzulande ja ständig beruft, ist es eine Absurdität aus einer Organisation schriftlich austreten zu müssen, der man nie beigetreten ist.
libertador am Permanenter Link
Ganz so absurd ist es nicht und deckt sich mit anderen rechtlichen Regelungen.
Unverschämt ist aber, dass die Behörden die Meldung für den Eintritt kostenlos machen, für einen offiziellen Austritt aber Geld verlangen.
Claudia am Permanenter Link
Richtig. Das Recht auf Religionsfreiheit wird hierzulande interpretiert als Recht der Eltern, über die Religionszugehörigkeit ihrer Kinder zu entscheiden.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Kurz und knackig zusammengefasst.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Alle 5 genannten Punkte sollten baldmöglichst umgesetzt werden, bevor es noch zu
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Zusatz: Die Menschheit braucht reale Lösungen für die weltweiten Probleme und keine Märchen von irgend einem Erlöser, die diese Probleme mit verursacht haben.