Anleitung zum Widerspruch

Im besten Sinne Aufklärung

Schon vor einigen Jahren betrieb die Autorin Franzi von Kempis unter dem ironisierenden Pseudonym "Die Besorgte Bürgerin" bei YouTube einen Kanal. Dort setzte sie sich bereits mit Verschwörungstheorien und der Welt der "Wutbürger" auseinander. In ihrem jüngst erschienenen Buch knüpft sie daran an und gibt dem Leser Argumentationshilfen für Debatten an die Hand.

Bereits die zwei ersten Sätze aus dem Vorwort erklären, worum es in dem Buch geht: "Sexistische Sprüche bei der Weihnachtsfeier, Impfgegner beim Kindergeburtstag, antisemitische Kommentare unter einem Facebook-Post – wir alle kennen Situationen, in denen wir mit Halbwahrheiten oder einem problematischen Weltbild konfrontiert werden. Doch was entgegnet man, wenn jemand den Klimawandel leugnet, an die BRD-GmbH glaubt oder gegen Geflüchtete hetzt?"

Cover

Zugegeben: Es gibt mehr Verschwörungstheorien und mehr Fake-News, als sich in einem Buch zusammenfassen und widerlegen lassen. Franzi von Kempis beschränkt sich daher auf sechs davon: Was kann man Menschen entgegnen, die den Klimawandel leugnen? Welche Antworten gibt man Menschen, die Antisemitismus verbreiten? Wie kann man mit Menschen reden, die an Verschwörungstheorien glauben? Wie redet man mit Menschen, die der Überzeugung sind, dass der Islam das Abendland zerstören möchte? Wie argumentiert man mit Menschen, die Probleme mit Frauen und Gelder haben und last but not least: Was antwortet man Menschen, die gegen Geflüchtete hetzen?

Jede dieser Frage wird umfangreich und sachlich beantwortet. Das Buch kann insofern sogar als Nachschlagewerk und Handbuch gelten, da es immer wieder Zusammenfassungen der stichhaltigsten Argumente gibt, die grau hinterlegt in eigenen Kästen aus dem Text hervorstechen.

"Da sind die einen, die hetzen und wüten, die liken und teilen, die beleidigen und schimpfen. Die laut sind, egal ob online oder offline. […] Und dann sind da die anderen, die vor so viel Wut erstarren, die sich über Falschinformationen ärgern und wundern, die um die besseren Worte ringen, aber oft einfach verstummen. Weil sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. […] Und die deshalb oft die schweigende Mehrheit genannt werden." Vor allem an diese "schweigende Mehrheit", die in den sozialen Netzwerken, aber auch am Stamm- und Familientisch stumm bleiben, weil sie nicht wissen, wie sie auf aggressiv vorgetragene Scheinargumente reagieren können, richtet sich das Buch.

Die Autorin erklärt vorab, wie man sich in solchen – häufig als unangenehm empfundenen – Debatten verhalten sollte: Zuerst einmal müsse man sich klar werden, wie wichtig einem das Gegenüber ist. Denn es mache einen Unterschied, ob man mit einem engen Freund oder Familienmitglied reden würde oder mit einem Fremden bei Facebook.

Fakten allein gewinnen keine Diskussion

Menschen, die den Klimawandel leugnen, lassen sich nur schwer erreichen, indem man ihnen die aktuellsten wissenschaftlichen Studien zitiert. Sie – wie auch viele Anhänger von Verschwörungstheorien – reagieren eher emotional als auf rationale Argumente. Deshalb sei es ein guter Weg, die Ängste der Klimawandel-Leugner ernst zu nehmen und erst dann mit harten Fakten zu argumentieren.

Für die häufig vorgebrachten Scheinargumente bietet Franzi von Kempis zusammenfassend kurze und knackige Argumente, die sie dann noch einmal zusammenfasst. Ein Beispiel:

Wie reagiert man, wenn jemand sagt, die menschlichen CO2-Emissionen seien zu gering für den Klimawandel?

  • Im Vergleich zu natürlichen CO2-Emissionen sind die vom Mensch klein. Aber ihre Wirkung ist groß: Sie verschieben das natürliche Gleichgewicht.
  • Ohne den natürlichen Treibhauseffekt wäre die Erde von Eis überzogen. Die menschengemachten CO2-Emissionen verstärken aber diesen Effekt. Menschen produzieren immer mehr CO2-Emissionen, die CO2-Schicht in der Atmosphäre wird immer dichter und die Erde immer wärmer.

In dieser fast lehrbuchhaften Art gibt die Autorin Hinweise und Ratschläge zu Diskussionen.

Hervorzuheben ist das Kapitel über Antisemitismus. Von Kempis erklärt hierin auch historisch, weshalb der Antisemitismus kein Phänomen der Neuzeit ist. Sondern eine sehr lange Geschichte hat. Sie zitiert hierzu Uffa Jensen, Stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, die in einem Interview mit der Autorin sagte: "Da das Christentum mit dem Judentum als Mutterreligion verbunden gewesen ist, gab es von Anfang an die Tendenz der Ablehnung gegenüber Juden. So haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass sie die Juden für alles verantwortlich machen können."

Weshalb es Verschwörungstheorien gibt, die manchen Menschen glaubwürdig erscheinen, erklärt die Autorin ebenfalls: "Unsere Welt ist sehr komplex, ihre Prozesse […] sind nicht für jeden immer auf den ersten – oder ehrlicherweise – den zweiten Blick zu verstehen. Verschwörungstheorien gaukeln einem vor, die Welt auf einfache Art und Weise erklären zu können. Was natürlich falsch ist. Verschwörungstheorien können eine Sache sehr gut: komplizierteste gesellschaftliche oder wirtschaftliche Prozesse  […] mit Hilfe einer großen Weltverschwörung idiotensicher erklären und dabei mit einem ganz klaren Feindbild und Schuldigen auftrumpfen. Sie teilen die Welt in einfache Bilder auf: hier die Guten, da die Bösen."

All die häufig gehörten Scheinargumente der Reichsbürger wie "die BRD ist eine GmbH" oder "kein souveräner" Staat sondern ein "besetztes Land" werden von der Autorin Stück um Stück demaskiert. Gleiches gilt auch für die Scheinargumente der "Impfskeptiker" (die ja tatsächlich Impfgegner sind) und derer, für die Kondensstreifen, die Flugzeuge bei geeigneter Wetterlage am Himmel hinterlassen, ein chemischer Angriff oder der Versuch von Geoengineering sind.

Lohnt es sich, zu widersprechen?

In diesem Kapitel ist auch einer der wichtigsten Hinweise des Buches versteckt.

Häufig denkt man sich: Warum soll ich mit solchen Spinnern überhaupt diskutieren; es lohnt sich nicht, die mit Argumenten überzeugen zu wollen. Dem entgegnet die Autorin: "Warum sich auch ernstgemeinte Antworten lohnen: Nichtbetroffene bekommen informative Antworten, die sie selbst zur Diskussion nutzen können. Man erreicht vielleicht jemandem, der noch kein geschlossenes Weltbild hat, kann dieser Person eine Antwort geben, die auf Fakten, nicht auf Schwurbel basiert."

Denn gerade in den Filterblasen, die, den Algorithmen sei Dank, insbesondere in den sozialen Netzwerken wie Facebook zwangsläufig entstehen, entstehen auch sich selbst verstärkende Selbstbestätigungen von irrigen Annahmen und Verschwörungstheorien. Dies lässt sich nur aufbrechen, indem die "schweigende Mehrheit" sich zu Wort meldet und widerspricht. Sicher: Überzeugte Verschwörungstheorieanhänger mit einem geschlossenen Weltbild sind nicht (mehr) zu erreichen oder gar zu überzeugen. Aber denen, die auf der Suche nach Erklärungen sind, können sachliche Argumente helfen, eben nicht in die Filterblase der Verschwörungstheoretiker abzutauchen.

Das Buch bietet eben genau diese sachlichen Argumente. Es gehört in Griffweite all jener, die sich der Aufklärung verschrieben haben.

Franzi von Kempis. Anleitung zum Widerspruch: Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien, Mosaik, Randomhouse 2019, 15,00 Euro (eBook 12,99 Euro)

Anmerkung: Eine Angabe der Seitennummer bei den Zitaten aus dem Buch war nicht möglich, da für die Rezension das eBook genutzt wurde.

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